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# taz.de -- Was Volkswagen mit Wolfsburg macht: Die klassische VW-Wolfsburg-Fam…
> VW und Wolfsburg haben die Ehe der Familie Modler begleitet. Auch Konzern
> und Stadt haben eine eigene gemeinsame Geschichte.
Bild: 1950 schenkte VW der Stadt Wolfsburg ein Freibad. Es wird noch benutzt un…
Wolfsburg taz | Treue wird belohnt. Im Supermarkt gibt es Treuepunkte, für
25 Jahre Mitgliedschaft in einem Verein die Silberne Ehrennadel. Und in
Wolfsburg eine Fahrt mit dem VW-Bähnle – das immer ganz klassisch mit einem
Käfermotor angetrieben wird.
Das kommt nicht von ungefähr. Wolfsburg ist „die Autostadt“. Dort hat der
immer noch weltgrößte Automobilkonzern Volkswagen seinen Stammsitz, sein
legendärstes Modell ist der Käfer. 124.150 Einwohner zählt Wolfsburg, eine
mittelgroße Stadt im östlichen Niedersachsen dicht an der Grenze zu
Sachsen-Anhalt. 60.000 Frauen und Männer arbeiten hier am Standort bei VW,
die meisten kommen aus der Stadt. In jeder Wolfsburger Familie gibt es
jemanden, der „bei VW“ ist.
Einer von ihnen war Manfred Modler. Bis zu seiner Rente 1993 war der
mittlerweile 81-Jährige im Werk angestellt, 36 Jahre lang, zunächst als
Arbeiter im Ersatzteillager, später in der Finanzabteilung. Er war der
„VW-Buchhalter der ersten Stunde“, wie Konzernsprecher Torsten Cramm sagt.
Und heute, an einem sonnig-warmen Julitag, wird Modler in einem
VW-Käfer-Bähnle durch Wolfsburg direkt an seinen alten Arbeitsplatz im
VW-Werk fahren.
Die Fahrt ist eine Art Treuegeschenk. Nicht nur für Modler allein, auch für
seine Frau Helga, heute 83: Zur Diamentenen Hochzeit der beiden haben VW,
Wolfsburg und die beiden Töchter des Ehepaars dafür gesorgt, dass das
Bähnle wieder „flottgemacht“ wurde.
## Der Käfer war die „Hochzeitskutsche“
Vor 60 Jahren sind die Modlers schon einmal damit durch Wolfsburg
gerauscht, damals war der Käfer ihre „Hochzeitskutsche“, und sie waren das
erste Brautpaar, das sich mit dem Wagen in die Kirche fahren ließ. VW und
Wolfsburg haben nicht nur die Ehe der Modlers begleitet. Konzern und Stadt
haben auch eine eigene gemeinsame Geschichte, die einer solchen Ehe
gleicht. Nur dass beide auch zusammen groß geworden sind.
Dort, wo heute auf 1,6 Quadratkilometern Produktionshallen in der Sonne
liegen, durchzogen von 75 Kilometern werkseigenem Straßennetz, drei
werkseigenen Buslinien, unzähligen Parkplätzen und Radwegen, war bis Mitte
der 1930er Jahre noch Wiese. 1937 gründete sich dann die „Gesellschaft zur
Vorbereitung des Volkswagens“, die ersten Werkhallen entstanden.
Ganz Deutschland beteiligte sich mit Sparverträgen für das nie gebaute
„Kraft durch Freude“-Auto an der Finanzierung. Während des Zweiten
Weltkriegs beschäftigte das Unternehmen Zwangsarbeiter*innen und
produzierte vor allem Kriegsgerät. Der Aufstieg und die ersten zarten
Liebesbande zwischen Werk und Stadt begannen nach dem Krieg – zu jener
Zeit, als auch Manfred Modler herkam.
Er war Flüchtling, wurde in einer Holzbaracke in der Nähe des Werks
untergebracht. Im Winter war es kalt, im Sommer heiß, trotzdem wohnte er
fünf Jahre dort. VW wuchs, lockte Arbeiter*innen aus der gesamten Republik
und Europa an, vor allem aus Italien. „Manche blieben länger, viele gingen
nach einigen Jahren wieder zurück nach Hause“, sagt der Historiker Dieter
Landenberger, der bei VW für die Erinnerungskultur zuständig ist.
Ein Grund dafür war die Trostlosigkeit rund um das Werk: Es gab keine
Wohnungen, keine Schulen, keine Krankenhäuser. Wolfsburg, das waren damals
nicht mehr als ein 700 Jahre altes Schloss mit dem Namen Wolfsburg, das der
Stadt ihren Namen gab, und ein paar trostlose Dörfer.
Wenn das Werk dauerhaft Arbeiter*innen halten will, das begriff man rasch,
muss es investieren: in die Region, in die Infrastruktur, in den Alltag der
Menschen. Das war der Beginn einer langen Liebe. Einer Liebe, der Manfred
Modler beim Wachsen zuschauen konnte. Wie neue Produktionshallen
entstanden, wie ein Haus neben dem anderen in der Stadt hochgezogen wurde.
Wie Millionen Autos vom Hof fuhren, er selbst kaufte sich fast jedes Jahr
ein neues. Er freute sich über Baumärkte, italienische Restaurants und
Bars. „Die Stadt wurde größer und größer“, sagt er: „Das war schön.�…
trat in den Schützenverein ein, baute ein Haus und zog mit Frau Helga zwei
Töchter groß.
## VW-Orchester und drei Wochen Werksurlaub
Und jedes Jahr Mitte Juli stand er mit all den anderen Arbeiter*innen und
Angestellten am Werktor und hörte dem VW-Orchester zu, das zum dreiwöchigen
Werksurlaub spielte. Die Konzerte sind in der Stadt immer noch legendär.
Und bis heute schickt der Konzern „seine Leute“ in die Sommerferien, um in
dieser Zeit die Produktionsstrecken zu modernisieren und an die neuen
Modelle anzupassen. Nach dem VW-Sommerkonzert setzte Modler seine Frau und
die beiden Töchter in den Käfer und fuhr mit ihnen nach Italien. „Wir waren
eine klassische VW-Wolfsburg-Familie“, sagt Modler.
Heute will die Wolfsburg AG die Attraktivität der Stadt steigern und
präsenter machen: Wer hierher und zu VW kommt, soll sich wohlfühlen und
dieses Gefühl in die Welt tragen. Dafür zahlen VW und Wolfsburg zu gleichen
Teilen in das Unternehmen ein, es ist eine besondere Art
öffentlich-privater Partnerschaft.
Konzern, Stadt und Verwaltung sind wie ein Paar miteinander verbunden, eine
Ehe, von der alle profitieren: VW bezahlt unter anderem den
Bundesligaverein VfL Wolfsburg, unterhält ein Freibad, kürzlich schenkte es
der Stadt Ladestationen für E-Autos. Zwischenzeitlich trug VW mit 42
Prozent zu den Steuereinnahmen der Stadt bei, davon werden Kitas, Schulen,
Kinos, Theater subventioniert. Die VW Immobilienfirma baut neue Wohnungen
in der Stadt.
## Gewerbesteuer fällt jetzt geringer aus
Wie in jeder guten Ehe kriselt es hin und wieder. Aber erst seit dem
Abgasskandal seit 2015 könnte die Beziehung aus dem Ruder laufen. Im ersten
Jahr schreibt VW 1,6 Milliarden Euro Verlust, den höchsten in der
Geschichte des Unternehmens. Den Gesamtschaden schätzen Expert*innen auf
etwa 35 Milliarden Euro.
Jetzt fällt die Gewerbesteuer in Wolfsburg zum fünften Mal in Folge
geringer aus. Zu Beginn 2019 erwartete die Stadt ein Defizit von rund 48
Millionen Euro. Um die Verpflichtungen für Bildung, Soziales, Kultur
aufrechtzuerhalten, muss Wolfsburg sparen und Kredite aufnehmen. Selbst
beim Prestigeobjekt VfL Wolfsburg wird VW geiziger. Statt der sonstigen 80
bis 90 Millionen Euro im Jahr bekommt der Fußballverein nur noch 60 bis 70
Millionen Euro.
Die Modlers stört das alles nicht. Seine Liebe zum Werk und ihre gemeinsame
Liebe zur Stadt ist ungebrochen. „Hier ist es schön, hier haben wir alles“,
sagt Manfred Modler. Nimmt seine Frau am Arm und steigt mit ihr ins Bähnle.
28 Jul 2019
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Sommerserie
Volkswagen
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Christine Lambrecht
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Türkei
Stadtentwicklung
Fotografie
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