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# taz.de -- Urbanist über Stadt und Wirtschaft: „Bei Abhängigkeit lauert An…
> Stadt und Wirtschaft können gut zusammengehen, sagt der Urbanist
> Hans-Hermann Albers. Dominiert aber ein Unternehmen, wird das schnell zur
> Falle.
Bild: Ein Unternehmen in der Stadt kann Vorteile haben, eine Autostadt wiederum…
taz: Herr Albers, was haben steigende Friedhofsgebühren in Braunschweig,
zusammengestrichene Kulturveranstaltungen in Baunatal und Kürzungen bei der
Jugendarbeit in Wolfsburg miteinander zu tun?
Hans-Hermann Albers: Vermutlich leiden diese Kommunen unter leeren Kassen
und müssen an der Gebührenschraube drehen und sparen, wo es geht.
Alle drei Städte sind VW-Standorte. Sie haben nach [1][dem Abgasskandal]
Gewerbesteuerausfälle in Millionenhöhe. Wie häufig ist eine so direkte
Abhängigkeit von Kommunen und Unternehmen?
In der Autoindustrie sehr, nämlich immer dann, wenn Unternehmen in einer
Stadt dominant sind – wie VW in Wolfsburg, wie Audi in Ingolstadt oder Opel
in Rüsselsheim –, wobei Opel schon lange keine Gewerbesteuer mehr zahlt. Es
müssen aber gar nicht so große Konzerne sein. Viele mittelständische
Unternehmen haben ihren Firmensitz in kleinen oder mittelgroßen Städten und
sind eng mit denen verwoben.
Zum Beispiel?
Stihl in Waiblingen, Würth in Künzelsau oder auch Ottobock in Duderstadt.
Nicht unbedingt Unternehmen, die jeder kennt.
Nein, es sind oft Familienunternehmen, aber Weltmarktführer in ihren
Bereichen, sogenannte Hidden Champions.
Ob es nun ein Konzern oder ein Hidden Champion ist – warum geben Städte
privaten Unternehmen so viel Raum, dass sie quasi synonym mit ihnen
erscheinen?
Im besten Fall ist es ökonomisch eine Win-win-Situation. Die Städte sagen:
Das Unternehmen ist unser großer Vorteil. Wir haben kaum Arbeitslosigkeit,
haben Steuereinnahmen, einen ausgeglichenen Haushalt. Die Unternehmen
wiederum wollen einen attraktiven Firmenstandort. Vor allem wenn die
Städte weit ab vom Schuss liegen, werden sie deshalb inzwischen selbst
aktiv und tun etwas, um qualifiziertes Personal anzuziehen und zu halten,
den Mitarbeitenden – und sich selbst – eine ansprechende Lebenswelt zu
bieten. Familienunternehmer wohnen in der Regel ja auch nahe der Firma.
Auch der Imagefaktor spielt eine Rolle. Manche Firmen machen bessere
Werbekampagnen für Standorte als das Stadtmarketing.
Ist eine enge Verbindung zu Wirtschaftsunternehmen denn unproblematisch für
die Stadt?
Problematisch ist es, wenn eine ganze Stadt von einem einzelnen Unternehmen
abhängig ist, dann lauert in der Politik, der Stadtverwaltung und der
Bevölkerung auch die Angst: Was ist, wenn es eine Krise gibt, politische
Entscheidungen oder neue Technologien einen Strukturwandel nötig machen und
– beispielsweise wie jetzt beim geplanten Übergang vom Verbrennungsmotor
zur Elektromobilität – Arbeitsplätze auf der Kippe stehen? Was ist, wenn
ein Familienunternehmen seine Unternehmensform ändert und an einen Konzern
verkauft wird, dem der Firmensitz nichts bedeutet?
Profitieren umgekehrt Unternehmen immer davon, mit einer Stadt verwachsen
zu sein?
Es kann auch für die Unternehmen eine Falle sein, wenn sie zu dominant
geworden sind. Ein Standort ist attraktiver, wenn es eine Mischung von
Firmen und Branchen gibt, Stichwort: Diversität. VW und Wolfsburg haben
deshalb vor einigen Jahren mit ihrer gemeinsamen Wolfsburg AG versucht,
anderes Gewerbe anzulocken. Als Hindernis hat sich herausgestellt, dass VW
das Lohnniveau in Wolfsburg relativ hoch gesetzt hat – und andere
Unternehmen da schwer mitkamen oder in der Startphase kaum Mitarbeitende
fanden. In Walldorf ist das mit SAP übrigens ähnlich.
Beteiligen sich viele Unternehmen so direkt an der Stadtentwicklung?
In der Historie siedelten sich Unternehmen nach harten Standortfaktoren an
– etwa billige Energie oder verfügbare Rohstoffe. Heute brauchen Firmen aus
Tech-, Digital- und Kreativwirtschaft ein Umfeld, in dem sich die
Mitarbeitenden zwischendurch regenerieren können. Es gibt ein verändertes
Arbeits- und Freizeitverhalten mit Work-Life-Balance und dem Wunsch,
Familie und Beruf zu vereinbaren. Das wollen die Unternehmen mitgestalten.
Kann das tatsächlich im Interesse der gesamten Einwohnerschaft richtig
sein?
In Mertingen zieht die Molkerei Zott mit ihrer Zentrale in den Ortskern,
für sie geht es um kurze Wege für die Mitarbeitenden zur Kita, um ein
lebendiges Umfeld. Das ist ein Anlauf, die Innenstadt wiederzubeleben, mit
öffentlich zugänglicher Gastronomie im Firmenhaus, mit den Beschäftigten
als Kundschaft für den Handel und anderes Gewerbe drumherum. Das
Unternehmen Ottobock in Duderstadt organisiert in Person des Firmengründers
Hans Georg Näder unter dem Motto „Futuring Duderstadt 2030“ sogar
Zukunftswerkstätten mit starker Bürgerbeteiligung. Dort soll eine
Konferenzhalle entstehen, ein altes Ziegelei- und ein altes Brauereigelände
werden in Wohnareale umgebaut.
Und was sagen die Bürger!nnen dazu?
Wenn sie das Unternehmen als zur Stadt gehörig empfinden wie bei VW oder
Ottobock, die gerade 100. Firmenjubiläum feiern, ist die Kritik oft
verhalten. Studien haben gezeigt, dass in Wolfsburg die Bürgerbeteiligung
gering ist und den VW-Konzepten wenig entgegengesetzt wird. In Duderstadt
hat man eher Sorge, dass der neue Investor – ein internationaler Fonds hat
sich kürzlich eingekauft – Geld aus der Stadt abzieht. Zu Recht: Der guckt
jetzt schon genau auf die Ausgaben, es gibt Pläne für einen Börsengang und
Berichte über eine zunehmende Verschuldung des Unternehmens.
Agieren Familienunternehmen und globale Konzerne in Städten
unterschiedlich?
Auch global agierende Konzerne ankern gern an attraktiven Standorten. Aber
sie haben oft eine andere Haltung. Amazon etwa stammt aus Seattle und ist
dort ein sehr wichtiger Arbeitgeber. Der Konzern übernimmt allerdings wenig
Verantwortung für eine „soziale“ Stadtentwicklung und die Auswirkungen des
Unternehmenswachstums. Als die Stadtregierung 2018 eine Obdachlosensteuer
zur Finanzierung von Angeboten für Wohnungslose erheben wollte, hat Amazon
das gemeinsam mit anderen Unternehmen verhindert. Novartis hat sich in
Basel ein eigenes Quartier geschaffen, dafür hat die Stadt den Hafen St.
Johann und einen Grenzübergang verlegt, eine Straße privatisiert,
Gemeindeflächen verkauft und Zonenpläne geändert. Novartis bezahlte 100
Millionen Franken. Nun gibt es mitten in der Stadt einen abgeschlossenen
Campus, in dem 7.000 Menschen arbeiten, man kommt aber nur mit Zugangscode
hinein.
Müssen Städte sich erpressen lassen?
Es gibt Gegenbeispiele: Als Amazon nach einem intransparenten
Auswahlprozess in New York eine von zwei neuen Zentralen aufbauen wollte
und ein ganzes Stadtviertel dafür beanspruchte, gab es Proteste, weil die
Ansiedlung vor allem als ökonomische Standortentscheidung verhandelt wurde
und Kommune und Zivilgesellschaft nicht beteiligt waren. Amazon fand keinen
Umgang damit und zog sich schließlich zurück, um größeren Imageschaden zu
vermeiden. Das geht in einer ökonomisch gut aufgestellten Stadt mit starken
kritischen Gruppen in der Bevölkerung – wo die Verdrängung
einkommensschwacher Bevölkerung oder von Nachbarschaftsgewerbe droht.
17 Jul 2019
## LINKS
[1] /Abgasskandal/!t5248929
## AUTOREN
Beate Willms
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Stadtentwicklung
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Tourismus
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