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# taz.de -- Josef Heinrich Darchinger: Die Kinder Trizonesiens
> Der Fotograf Josef Heinrich Darchinger fixierte das im Aufbruch
> befindliche Deutschland der Nachkriegszeit. Ein opulenter Bildband
> erinnert nun an jene Zeit, in der sich niemand an die Vergangenheit
> erinnern wollte
Bild: Der Chronist Nachkriegdeutschlands: J.H. Darchinger
Zweiundachtzig Jahre alt ist dieser Fotograf inzwischen: Josef Heinrich
Darchinger verkörpert selbst wie kaum ein anderer seines Metiers das, was
die junge Bundesrepublik auszeichnete. Nämlich ein starkes Gefühl für
gesellschaftlichen Aufstieg, eine echte Chance, das eigene
Bratkartoffelmilieu zu verlassen. Darchinger arbeitete zunächst im Auftrag
der SPD, die die Zeit nach dem Nationalsozialismus auf ihre Weise
illustriert sehen wollte. Hoffnungsfroh, absolut ungestrig, auf keinen Fall
vergangenheitsversessen, sondern das, was irgendwie vorher war, am liebsten
ausblendend. Realpolitisch musste darauf Acht gegeben werden, nicht als
volkspädagogisch, nestbeschmutzerisch wahrgenommen zu werden. Die Menschen
hatten Hunger, soll Herbert Wehner gesagt haben, die waren nicht Sinnes,
sich um den Nazidreck, der ihrem eigenen Stecken anhaftete, zu kümmern.
Weshalb auch? Die meisten Bundesbürger waren ja in irgendeiner Weise mit
den Nazijahren verstrickt, duldend, mitlaufend, als Schweiger oder Täter.
Darchinger, der spätere Chronist der Rheinischen Republik, der Hausfotograf
der sozialliberalen Koalition Willy Brandts und Walter Scheels, der für die
Zeit wie den Spiegel arbeitete, war ein feiner Dokumentar seiner Zeit. In
dem Band "Wirtschaftswunder. Deutschland nach dem Krieg 1952-1967", aus dem
einzelne Bilder vor drei Jahren zunächst von der taz präsentiert wurden,
sind diese Zeugnisse leuchtend zu sehen. Fast prahlerisch wirken die
Kulissen, obwohl diese oft aus Trümmern bestehen.
Ein Mann zeigt im grauen Verkäuferkittel die frischen Gemüse, die er
anbietet; man sieht den VW-Käfer, man stellt sich seine Insassen vor, eine
Welt erkundend nicht mehr in kriegerischer Absicht. Eine Familie ist zu
erkennen, der Vater fläzt sich in der blauen Gartenliege, die Mutter in
einer roten, drei Kinder springen herum; im Hintergrund ist eine
Neubausiedlung zu sehen, eine Art Jerusalem der arbeitenden Klassen.
Neubauten waren der letzte Schrei, in ihnen lockte fließendes Wasser, ein
Boiler würde es erhitzen können. Die Familie hat Darchinger in einem
Eigenheim inszeniert, der Gartenbereich superchic mit Betonplatten
gefliest, Laub ist keines zu sehen, dafür jede Menge pflegeleichten Rasen.
Ein anderes Bild, offenbar aufgenommen, indem das aufnehmende Kameraauge
sehr lange offen gelassen wurde, zeigt ein Kaufhaus von Neckermann, die
Töne dieses Zeugnisses sind rötlich warm, mildes Grün schliert in ein
fahles Orange hinein. Auch diese Fotografie ein Signum einer Zeit, als alle
Schuld ganz ausgeblendet ist und das Leben doch weiterzugehen hatte.
Auschwitz, die Leichenberge von Bergen-Belsen, der Dreck der
Denunziationen, die volksgemeinschaftliche Lust an der Hatz auf
Minderheiten, auf das Andere schlechthin, der faulige Geschmack
nachbarschaftlicher Zumutungen, all dies kann man ahnen und, je nach Alter
und Zeitzeugenschaft, wissen.
Für die von 1940 an geborenen Westdeutschen ist dies eine Fibel des
Heimatlichen. So sah es aus, sollen sie es doch erkennen. Seit langem
schwirrt ein Ton der Versöhnlichkeit um diese Jahre von 1945 bis 1968 -
Kanzlerin Angela Merkel wollte sich 1999 ja auch noch gut an sie erinnert
haben, als sie meinte, Deutschland sei seit 1949 ein freies Land gewesen.
Wenn die wüsste - hätte sie wenigstens eine Idee von jener Zeit. Demokraten
hatten es schwer, noch mehr Liberale, die an die Traditionen der Weimarer
Republik anknüpfen wollten, an Freisinnigkeit und Lebenslust.
Möglicherweise war es die Anfang der Fünfzigerjahre begonnene Ausstrahlung
des Fernsehens, das die Deutschen friedlicher, weniger aggressiv gemacht
hat. Die Kneipenlandschaften verödeten, man blieb zu Hause und starrte in
eine Gerät, das Flimmerkiste genannt wurde, weil es tatsächlich flimmerte.
So erinnern sich Menschen, die damals jung und jugendlich waren, an diese
Zeit: als eine bleierner Schwere einerseits und auf der anderen Seite als
gigantischen Aufbruch, weil alle Moral damals noch völkisch stank und
Furcht erregte, zugleich aber niemand so recht mehr mit wirklich Schlimmem
drohen konnte. Wer wollte, suchte eigene Nischen und eigene Wege, Freiheit.
Darchingers Bilder rühren zunächst an. Ihre Farben sind von fast sich
brüstendem Glanz, die Sonne scheint, nun ja, aufs Schönste. Selbst die
Gebäude, versehrt von Einschusslöchern, teils bombardiert, wirken wie eine
monströse Kulisse, wenigstens wie ein Abenteuerspielplatz. Wer will, kann
diese Fotografien für ein wichtiges Indiz dafür nehmen, dass Vergangenheit
keinen Sinn ergibt, weil das Grauen, ist es passiert, im Bild kaum noch
darstellbar ist. taz-Kollege Dirk Knipphals zitierte vor drei Jahren
Theodor W. Adorno, der in diesen Jahren, eben aus dem amerikanischem Exil
heimgekehrt, auch nur dieses sah, ein Idyll voll Zukunft, die Vergangenheit
ein allenfalls theoretisches Konstrukt.
Es habe ihn irritiert, dass man in dieser hungerwütigen Kulisse des
Aufbruchs nichts mehr sehe von dem, was war; der Sitznachbar in der
Straßenbahn hätte ein Henker sein können, die Frau mit den Einkaufstüten
eine KZ-Aufseherin, vielleicht auch eine notorische Nachrichtenzuträgerin
der Gestapo.
Insofern ist dieser Bildband, sind Darchingers Arbeiten überhaupt wahr. So
war es damals. Die Menschen lebten, hatten überlebt, litten nicht mehr
Hunger, kämpften um Anschluss, um Wohlstand, um den Erhalt oder den
Wiederaufbau von Familien. Man stritt um Kriegsjahre bei Behörden, um
Anerkennung von im Nazigefängnis oder im Konzentrationslager erlittenen
Jahren. Alle hatten Sorgen, und die Kinder aus dieser Zeit erzählen, wie
kühl es in ihrer Familie war, wie depressiv, abgeschlossen. Warum? Weil
niemand erzählte, keiner sich traute oder wagen durfte, von einer Zeit zu
erzählen, die erst mit der Ausstrahlung der US-amerikanischen Serie
"Holocaust" 1979 ins kollektive Gedächtnis der Nation - aber dann mit
Nachdruck - einsickerte.
Trotzdem klingt es übelnehmerisch, erkennt man in diesen Fotografien nur
die Lüge, die hinter allem ersichtlichen Optimismus der Menschen liegt, die
Jupp Darchinger hat aufnehmen können. Die Unwahrheit von jenen Jahren, die
als "Wirtschaftswunderjahre" bezeichnet werden und in denen Schlager wie
"Tanze mit mir in den Morgen", "Schaffe, schaffe Häusle baue" oder "Wir
sind die Kinder aus Trizonesien" ausgesprochen gut gelaunt den Ton angaben,
zur gleichen Zeit aber auch Schnulzen entsetzlich depressiver Machart wie
"Heimatlos" (Freddy Quinn) oder "Das ist alles längst vorbei" (Peter
Alexander) sehr populär waren. Diese Heimat, die sie untergegangen
glaubten, war auch versunken.
Deutschland als Ansammlung von Größenwahnsinnigen: vorbei. In Darchingers
Zeugnissen aus jenen Jahren sieht man die wohlanständige, um Fassung
ringende deutsche Gesellschaft im Zustand der manisch ausgedrückten
Erschöpfung. Alle irgendwie supergut drauf! Man suchte offenbar das Glück
im Kleinen, nicht mehr im Globalen. Das fühlte sich eng an, das machte
beklommen. Im Übergang hatte das offenbar etwas Notwendiges.
JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, taz.mag-Redakteur, wuchs in Hamburger
Hafenverhältnissen auf. Seine Eltern ersehnten nichts mehr als den Bezug
einer Neubauwohnung. Ihr Traum erfüllte sich erst 1962.
LITERATUR: Josef Heinrich Darchinger: "Wirtschaftswunder. Deutschland nach
dem Krieg 1952-1967". Hg. von Klaus Honnef und Frank Darchinger. Deutsch,
Französisch und Englisch. Taschen, Köln 2008, 290 Seiten, 29,90 Euro
18 Jul 2008
## AUTOREN
Jan Feddersen
Jan Feddersen
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Fotografie
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