# taz.de -- Legendäre Fotobuchsammlung verbrannt: Nachruf auf ein Stück Kultu… | |
> Die Waldbrände in Kalifornien sind gestoppt. Doch in Malibu wurde die | |
> legendäre Fotobuchsammlung von Manfred Heiting Opfer der Flammen. | |
Bild: Ein Flugzeug im Kampf gegen das das Woolsey Feuer bei Malibu | |
Nicht ohne Grund nannte Manfred Heiting seine beiden schwergewichtigen | |
Bände von 2012 und 2015 über das deutsche Fotobuch „Autopsie“. Gemeinsam | |
mit dem in Hamburg und Berlin lebenden Kunsthistoriker Roland Jaeger und | |
einem Team von Experten hatte er akribisch wie ein Pathologe jeden | |
einzelnen Band, jede Broschüre, jeden Prospekt aus der Zeit zwischen 1918 | |
und 1945 seziert, derer er habhaft werden konnte – immer am Original aus | |
der eigenen Sammlung. | |
Er beschrieb das Papier und die Drucktypen, den Einband und den | |
Schutzumschlag aber auch die Marketingmaßnahmen und die Bedeutung des | |
einzelnen Buchs für die Geschichte des Genres und damit für die deutsche | |
Kulturgeschichte. Beinahe im Jahresrhythmus, und immer in grandioser | |
Steidl-Qualität gedruckt, folgten weitere Bände über Japan, die Sowjetunion | |
– und zuletzt der über die Geschichte des Fotobuchs in Tschechien und der | |
Slowakei. | |
Als dieser Band vor vierzehn Tagen, am 13. November, an den Buchhandel | |
ausgeliefert wurde, gab es viele der darin beschriebenen und abgebildeten | |
Bücher nicht mehr. Einen Tag vorher, am 12. November, war eine | |
unaufhaltsame Feuerwand auch über das Haus von Hanna und Manfred Heiting an | |
der Cuthbert Road im kalifornischen Malibu hinweggerollt. Rund 36.000 | |
Fotobücher verbrannten innerhalb von Minuten zu Asche, dazu Fotografien, | |
Mobiliar – eine Heimat. | |
## Unermesslicher Verlust | |
Die gute Nachricht: Das Ehepaar Heiting war zu diesem Zeitpunkt in | |
Sicherheit: sie in einer anderen Wohnung, er in Europa. Die schlechte, | |
katastrophale: Der kulturelle Verlust, den die Zerstörung der Sammlung | |
Heiting bedeutet, ist unermesslich. | |
Wenn die Behauptung, eine Sammlung sei immer wertvoller als die Summe ihrer | |
Einzelstücke zutrifft, dann hier. „Der Umfang war wichtig“, erläutert | |
Malcolm Daniel, Fotokurator am Museum of Fine Arts in Houston (MFAH), „weil | |
sie erst zeigte, wieviel es überhaupt gibt. Heiting hatte zum Beispiel | |
nicht nur eine Erstausgabe von Robert Franks Buch ‚The Americans‘. Er hatte | |
jede Ausgabe, in allen 20 Sprachen, in hervorragender Qualität – so konnte | |
man die Unterschiede sehen.“ | |
Sollte sich ein Buch zwischen zwei Auflagen verändert haben, wurde auch das | |
dokumentiert und in allen Varianten abgebildet – mit Vorder- und Rückseite | |
und dem Schutzumschlag, der Heiting besonders wichtig ist: „Er diente ja | |
tatsächlich zum Schutz des Einbandes und wurde nach dem Kauf fast immer | |
weggeworfen. Mir ist es aber wichtig, den Originalzustand zu dokumentieren. | |
Gerade der Umschlag oder eine Bauchbinde haben manchmal zentrale Bedeutung | |
für die Aussage oder das Marketing eines Buches.“ | |
## Einzigartige Sammlung | |
Dafür besucht er Antiquariate und Bibliotheken, andere Sammler und | |
Verlagsarchive und schafft es meist sogar, die sonst nirgends genannte | |
Druckauflage seiner Bände heraus zu finden. | |
„Ein weltweiter Kreis aus Freunden, Beratern und Händlern hatte den Sammler | |
über Jahre unterstützt, diese einzigartige Sammlung nicht nur deutscher, | |
sondern auch japanischer, tschechischer und sowjetischer Fotobücher | |
zusammenzutragen“, erinnert sich Rainer Stamm, Direktor des Landesmuseums | |
Oldenburg, Fotografieexperte und Mitarbeiter des „Autopsie“-Projektes, das | |
einmal zu einer kostenlosen Online-Datenbank führen sollte. e | |
„Die Sammlung Heiting umfasste in allen Bereichen Unikate und Rarissima, | |
die teilweise nur hier zu finden waren. Wir alle sind erschüttert über den | |
Verlust dieser unersetzlichen Sammlung, die keine Bibliothek in ihren | |
Beständen zu bieten hat.“ | |
## Dem Museum of Fine Arts in Houston versprochen | |
Versprochen waren die Bücher schon seit einigen Jahren dem MFAH. Nach | |
Houston hatte Heiting 2002 schon seine ebenfalls legendäre Fotosammlung | |
verkauft: Vintage-Abzüge von Giganten der Fotografiegeschichte wie | |
Renger-Patzsch und Sander, Talbot und Baldus, Atget und Kühn, von Henri | |
Cartier-Bresson und Gustave Le Gray , Man Ray und Alfred Stieglitz. | |
Und von jenen Fotografen, die er während seiner langen Tätigkeit als | |
Design-Direktor der Firma Polaroid kennengelernt hatte: Ansel Adams und | |
Walker Evans, Minor White und Andy Warhol, Helmut Newton und Jürgen Klauke | |
– insgesamt 3.760 Bilder, für die deutsche Museen kein Geld hatten. Vom | |
Erlös begann Heiting dann systematisch Fotobücher zu sammeln. Deren | |
Übergabe war erst für 2023 geplant, damit bis dahin in Malibu die | |
enzyklopädische Forschungsarbeit fortgesetzt werden konnte. | |
Erst 6.000 katalogisierte Bände hatte Heiting schon nach Houston übergeben; | |
noch im Oktober waren Museumsmitarbeiter in Malibu, um weiter Details zu | |
besprechen. MFAH-Direktor Gary Tinterow beklagt nun einen „schrecklichen | |
Verlust für die Geschichte der Fotografie- und Künstlerbücher“. Manche | |
Bücher könnten ersetzt werden, manche nicht, ergänzt Malcolm Daniel und | |
erinnert an eines von nur sieben Exemplaren des Bandes „Foochow and The | |
River Min“, in dem der britische Fotograf John Thomson seine Chinareise von | |
1870/71 dokumentierte. | |
Wieviel Zeit, Energie und auch privates Geld der heute 75 Jahre alte | |
Sammler für die Dokumentation seines ehemaligen Besitzes aufgebracht hat, | |
ist in der Tat gar nicht hoch genug einzuschätzen. In den umfangreichen | |
Steidl-Bänden lebt die Sammlung Heiting wenigstens indirekt weiter. „Es ist | |
unfassbar“, mailte Manfred Heiting am Samstag aus Malibu. „Eine neue | |
Realität setzt ein. Aber es muss ja weiter gehen.“ | |
25 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Koldehoff | |
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