# taz.de -- Beschlagnahmte Kulturgüter verkauft: Münchner Kunst-Freiheit | |
> Bayern wollte antike Kunstschätze versteigern, die vor 20 Jahren | |
> konfisziert wurden. Die Auktion wurde nach Protest aus Peru und Ägypten | |
> gestoppt. | |
Bild: Dieses Mosaik wurde an Zypern zuerückgegeben – andere Kulturgüter abe… | |
Plötzlich waren die beiden ersten Auktionslisten von Juni und Juli | |
verschwunden – still und heimlich und ohne einen Kommentar. Wer die | |
entsprechenden Links zur Website des Münchner Finanzamts eingibt, erhält | |
nur noch eine Fehlermeldung. Auf einer dritten Website, auf der die Behörde | |
für den 12. September eine weitere große Versteigerung mit antiken | |
Kulturgütern angekündigt hatte, fand sich immerhin noch ein kurzer Hinweis: | |
„Die Verwertung der antiken Gegenstände und der Kunstgegenstände wurde | |
gestoppt, diese kommen somit nicht zur Versteigerung.“ Wer in München nach | |
einer Erklärung fragt, erhält als Antwort nur: „organisatorische Gründe“. | |
Statt der Antiken bot das Finanzamt im September 23 Lederhosen und | |
Kniebundhosen, fünf Dirndl und vier Trachtenwesten an – Kulturgut der | |
anderen Art. | |
Neben den organisatorischen gibt es für die klandestine Absage allerdings | |
noch andere Gründe. Aufgerufen werden sollten am 12. September nämlich | |
erneut rund 700 Objekte aus verschiedensten Epochen und Kontinenten, | |
darunter viel Goldenes: präkolumbische Gefäße aus der nordperuanischen | |
Lambayeque-Kultur für bis zu 5.000 Euro, ein skythischer Armreif für 6.000 | |
oder ein halbkreisförmiges goldenes Opfermesser („Tumi“) aus der gleichen | |
Gegend und Zeit für 15.000 Euro. Auf rund 110.000 Euro schätzte der | |
Freistaat den Wert der antiken Objekte. | |
Mindestens zwei Botschaften protestierten allerdings gegen den geplanten | |
Verkauf bei der bayerischen Landesregierung. Ägypten und Peru befürchteten, | |
dass in staatlichem Auftrag auch gestohlene Kulturgüter aufgerufen werden | |
könnten, auf die die Länder Ansprüche erheben. Informiert hatte man sie | |
vorher nicht. | |
Am 13. Juni und am 18. Juli wurden in einem unscheinbaren | |
Verwaltungsgebäude in der Nähe des Münchner Hohenzollernplatzes Preise | |
aufgerufen, bei denen der internationale Kunsthandel Schlange gestanden | |
haben muss. Auf den inzwischen gelöschten Websites waren sie abgebildet, | |
darunter: eine präkolumbische Bronzemaske aus der zweiten Hälfte des 1. | |
Jahrtausends nach Christus aus Peru: 60 Euro; eine bemalte altägyptische | |
Mumienmaske: 120 Euro; ein Konvolut prähistorischer Kleinwerkzeuge aus | |
Knochen: 15 Euro – dazu unzählige präkolumbische Terrakottafiguren, Gefäße | |
und Silbernadeln aus der Andenregion und aus Mexiko, Sicheln aus der | |
Bronzezeit, altägyptische Figurinen, byzantinische Schälchen. | |
Auf dem internationalen Kunstmarkt werden für solche antiken Objekte hohe | |
Summen gezahlt, denn das Angebot ist knapp geworden: Viele Staaten haben | |
für Kulturgüter generelle Ausfuhrverbote erlassen; gehandelt werden kann | |
nur noch, wofür offizielle staatliche Ausfuhrgenehmigungen vorliegen – und | |
die werden so gut wie nicht mehr ausgestellt. Für das, was ohne | |
entsprechende Papiere am Markt auftaucht, erheben die Herkunftsstaaten in | |
der Regel eigene Besitzansprüche: Der Verdacht, dass es sich um Beute aus | |
illegalen Raubgrabungen handelt, liegt dann nahe. | |
280 Einzelstücke ließen die Finanzbehörden bei den beiden ersten | |
Niedrigpreis-Auktionen im Sommer an zwei Vormittagen in Schwabing | |
aufrufen. Das mit großem Abstand teuerste Objekt war ein massiver | |
sassanidischer Silberteller aus dem vierten Jahrhundert nach Christus mit | |
einem Mindestgebot von 9.000 Euro, das preiswerteste: zwei | |
altorientalische Tongewichte im Gegenwert einer Packung Zigaretten: 5 Euro. | |
Was an den beiden Tagen zu welchen Preisen tatsächlich Käufer fand, will | |
das zuständige Landesamt für Steuern nicht verraten – wegen des | |
Steuergeheimnisses, teilt sein Pressesprecher Florian Schorner auf Anfrage | |
mit: „Ich bitte um Verständnis.“ Steuergeheimnis lautet auch die einzige | |
Antwort auf die Frage, wie der Freistaat Bayern überhaupt in den Besitz der | |
antiken Kulturgüter kam. | |
## Vor 20 Jahren beschlagnahmt | |
Die Herkunft lässt sich aber rekonstruieren: Tatsächlich stammen die | |
antiken Kulturgüter aus Beschlagnahmeaktionen der Abteilung SG 622 des | |
bayerischen Landeskriminalamtes, die ziemlich genau 20 Jahre zurückliegen. | |
1997/98 waren bei dem seit 1979 in München lebenden türkischstämmigen | |
Händler Aydin D., bei weiteren Händlern und Sammlern rund 3.000 Stücke | |
sichergestellt worden – unter anderem in einem umgebauten Dachgeschossraum | |
und hinter einer doppelten Wand. | |
Der Gesamtwert wurde damals mit 30 Millionen Mark angegeben. Auffallen | |
hätte D. schon zehn Jahre früher können: Schon 1988 hatte er in einem | |
Genfer Zollfreilager für 1,2 Millionen Dollar ein jahrhundertealtes Mosaik | |
mit dem Erzengel Gabriel an die US-Kunsthändlerin Peggy G. verkauft; das | |
sakrale Kunstwerk war aus einer Kirche in Zypern gestohlen worden. Für 20 | |
Millionen Dollar wurde es wenig später dem Getty Museum in Malibu | |
angeboten, das aber die zweifelhafte Herkunft herausfand und die | |
zypriotische Kirche informierte. | |
D. wurde damals nach einjähriger Untersuchungshaft zu zwei Jahren Gefängnis | |
auf Bewährung verurteilt, weil er seinen Anteil von 350.000 Dollar nicht | |
versteuert hatte. Später bestritt er seine Beteiligung. Durchsuchungen | |
fanden damals bei ihm nicht statt. | |
Für eine auch konservatorisch sichere Lagerung stand ab 2001 ein | |
klimatisierter Raum im Kriminaltechnikbau des LKA zur Verfügung. Was | |
folgte, war die Suche nach den rechtmäßigen Eigentümern. Offenbar | |
allerdings nicht sehr schnell: Im Frühjahr 2002 mahnte das Auswärtige Amt | |
ungewohnt undiplomatisch das bayerische Justizministerium, inzwischen | |
verstärke „sich auf die Bundesrepublik Deutschland der außenpolitische | |
Druck sowohl des Staates Peru als auch verschiedener zyprischer Stellen für | |
eine Rückkehr der illegal aus den Herkunftsländern verbrachten Kunstwerke, | |
die bei Herrn D. sichergestellt wurden“. 2005 schickte die Regierung in | |
Nikosia eine Verbalnote nach Deutschland, in der die baldige Rückgabe des | |
Diebesguts gefordert wurde. | |
## Behörden sehen keinen Gesetzesverstoß | |
Die erfolgte aber erst im Sommer 2013 – und nur für einen kleinen Teil der | |
beschlagnahmten Kulturgüter: Zypern erhielt rund 170 Stücke zurück, | |
darunter ein auf 5 bis 8 Millionen Euro geschätztes byzantinisches Fresko | |
aus dem sechsten Jahrhundert mit dem heiligen Thomas, das offenbar nach der | |
türkischen Besatzung ab 1974 aus einer Kirche im Norden des Landes | |
gestohlen worden war. Sie sei froh, dass nach all den Jahren ein Großteil | |
der Schätze in die Heimat zurückgebracht werden könne, ließ sich Bayerns | |
damalige Justizministerin Beate Merk zitieren. Dass noch Tausende von | |
Kulturgütern weiter in der Obhut des Landes blieben, sagte die | |
CSU-Politikerin nicht. | |
Weitere sieben Jahre später will Bayern den Fall und die Suche nun offenbar | |
endgültig beenden und die Steuerschulden durch die Auktionen wenigstens zum | |
Teil eintreiben. Natürlich seien bei einer Versteigerung von Kulturgut die | |
allgemeinen Vorschriften des Kulturgutschutzgesetzes zu beachten, erklärt | |
Florian Schorner vom Bayerischen Landesamt für Steuern: „Rechte Dritter | |
(insbesondere anderer Staaten), die das aktuelle Versteigerungsgut | |
betreffen, sind nicht bekannt; die Gegenstände sind insbesondere in keinem | |
einschlägigen Register eingetragen.“ | |
Ihr Land hätte in den beiden zurückliegenden Auktionen keine Ansprüche | |
mehr, bestätigt auf Anfrage des Deutschlandfunks Georgea Solomontos, | |
Kulturattaché in der Botschaft von Zypern in Berlin: „Nach Prüfung durch | |
das Department of Antiquities sind wir Informiert worden, dass bei diesen | |
zwei Auktionen in München keine Antiquitäten aus Zypern angeboten wurden.“ | |
## Peru und Ägypten waren nicht informiert | |
Was aber ist mit illegalen Raubgrabungen aus anderen Ländern, die | |
naturgemäß in gar keinem Register aufgeführt sein können – weil weder ihre | |
Entdeckung noch ihr Export noch ihr Verkauf jemals bekannt werden konnten? | |
Der peruanische Botschafter in Berlin, Elmer Schialer, sagt dazu: „Leider | |
haben weder die Bayerische Staatsregierung noch ein bayerisches Finanzamt | |
im Vorfeld der Auktionen sich mit unserer Botschaft in Verbindung gesetzt, | |
um die Rechtmäßigkeit dieser Kulturgüter zu prüfen.“ | |
Florian Schorner sieht trotzdem keine Probleme: „Das Kulturgutschutzgesetz | |
steht einer Verwertung nicht entgegen, wenn die dortigen Vorgaben | |
eingehalten und insbesondere die Sorgfaltspflichten nach § 41 GSG beachtet | |
werden.“ Sollte in den Finanzamtsauktionen Raubkunst enthalten sein, | |
dürften allerdings die Erwerber ihre in München gekauften Stücke nach dem | |
deutschen Kulturgutschutzgesetz unter Umständen nicht exportieren. | |
Perus Vertreter Schialer wurde deshalb tätig: „Unsere Botschaft hat eine | |
Mitteilung an das Auswärtige Amt gesendet, damit unser Antrag auf sofortige | |
Aussetzung der Versteigerung dieser peruanischen oder mutmaßlich | |
peruanischen Stücke über die entsprechenden Kanäle an das Finanzamt München | |
übermittelt werden kann, um deren Echtheit und den rechtmäßigen Besitz | |
festzustellen.“ Eine Goldmaske hatte Peru nach Prozessen im September | |
zurückerhalten. | |
Auch die ägyptische Botschaft hat einen Rechtsanwalt eingeschaltet, der von | |
den deutschen Behörden Auskunft verlangt. „Wir sind nicht informiert | |
worden“, erklärt ein Botschaftssprecher. „Die ägyptische Botschaft | |
vermutet, dass in München Werke versteigert werden, die gestohlen wurden | |
und Ägypten gehören. Wir haben keine Genehmigung erteilt. Dass so etwas | |
eine Behörde macht, wundert uns sehr.“ | |
10 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
stefan koldehoff | |
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Rückgabe der Schätze. |