# taz.de -- Prozess zu Kunstraub in Nordzypern: Die Apostel dürfen wieder nach… | |
> Während dem 1974 Krieg in Nordzypern verschwanden massenhaft Ikonen und | |
> sakrale Kunstwerke aus Kirchen. Aber erst jetzt verfügte ein Gericht die | |
> Rückgabe der Schätze. | |
Bild: Ausschnitt aus einer in Zypern gestohlenen Ikone aus dem 16. Jahrhundert,… | |
Fresken, Mosaiken, Madonnen und Heiligenbilder: Kunstwerke von | |
unschätzbarem Wert befanden sich nach dem Krieg von 1974 in Kirchen, | |
Kapellen und Klöstern im Norden Zyperns. Scheinbar herrenlos, denn die | |
griechischen Popen waren überstürzt geflohen und hatten, ebenso wie die | |
Gläubigen, kurz vor dem Einmarsch der türkischen Armee ihre Dörfer | |
verlassen müssen. | |
Geblieben waren nur die muslimischen Bewohner, nun unterstützt durch | |
Immigranten vom Festland. Sie nahmen sich die besten leerstehenden Häuser | |
der geflohenen Griechen. Der Rest verfiel. Aus den offenen christlichen | |
Gotteshäusern wurden Schafställe. Manche erhielten ein schlankes Minarett | |
und fungierten fortan als Moscheen. | |
Diese Gotteshäuser waren Selbstbedienungsläden - mit dem feinen | |
Unterschied, dass es nirgendwo am Ausgang eine Kasse gab. Wer gute Drähte | |
zur türkischen Armee hatte, der konnte mit gestohlener Kunst das Geschäft | |
seines Lebens machen. Über hundert Kirchen wurden geplündert. Allein über | |
15.000 Ikonen verschwanden - und so einiges landete Jahrzehnte später in | |
den Privaträumen betuchter Sammler. | |
Es muss gegen Ende der 1970er Jahre gewesen sein, als sich Militärlastwagen | |
auf staubigen Straßen von der abgelegenen Karpas-Halbinsel nach Westen | |
aufmachten. Auf den Ladeflächen lagen hastig zusammengeklaubte Schätze, wie | |
ein Bild der Maria mit Jesuskind aus dem 14. oder 15. Jahrhundert, ein | |
Engel aus dem 13. Jahrhundert, Mosaiken aus der Panagia-Kanakaria-Kirche - | |
insgesamt mehr als 200 Werke. | |
Glaubt man den Einlassungen des geläuterten Kunstdiebes Michel van Rijn, | |
dann übernahmen an der damals undurchdringlichen innerzypriotischen | |
Demarkationslinie geschmierte UN-Soldaten aus Finnland den Weitertransport. | |
Sie schmuggelten die Kunstwerke in den griechischen Süden. Von dort | |
gelangten sie unter anderem über den Hafen von Larnaka auf Fischerboote, | |
wurden auf eine Yacht umgeladen und in Europa am Zoll vorbeigeschmuggelt. | |
Und landeten schließlich in München, dem Wohnort von Aydin D. | |
Mehr als 30 Jahre später hat das Landgericht München I in der vergangenen | |
Woche in einem Zivilverfahren endlich sein Urteil gefällt. Die gestohlenen | |
Kunstschätze im Wert von etwa 30 Millionen Euro gehen zurück an ihre | |
Besitzer - an die griechisch-orthodoxe, die maronitische und die armenische | |
Kirche. Im Zivilverfahren Republik Zypern gegen den türkischen Staatsbürger | |
Aydin D. hat die Gerechtigkeit mit gewaltiger Verspätung gesiegt. | |
"Es ist eine große Freude und auch Genugtuung, dass diese großen Kunstwerke | |
endlich wieder zurückgegeben werden können", sagt Michalis Koumides, | |
Sprecher der Botschaft Zyperns in Berlin. Aydin D., mittlerweile 73 Jahre | |
alt, muss freilich keinen einzigen Tag hinter Gittern verbringen. | |
Aber warum, um Madonna willen, hat das alles derartig lange gedauert? | |
Etwa zehn Jahre nach dem Raub sucht der Archäologe, Manager und Restaurator | |
Aydin D. offenbar die Werke zu verhökern. Er findet einem Spiegel-Bericht | |
zufolge Kontakt zu der US-Kunsthändlerin Peggy G. aus Indiana. Für mehr als | |
eine Million Dollar wechselt 1988 ein Mosaik des Erzengels Michael den | |
illegalen Besitzer. Doch die Händlerin macht einen entscheidenden Fehler: | |
Sie bietet das Werk zum 20-fachen Preis dem Getty-Museum in Malibu an. | |
Die griechisch-zypriotischen Altertumsbehörden werden so auf den Fall | |
aufmerksam und fordern die Rückgabe der Ware. Der Deal platzt. Das Mosaik | |
muss der griechisch-orthodoxen Kirche Zyperns zurückerstattet werden. Nur | |
Aydin D. kann sich nahezu unbehelligt aus der Affäre ziehen - er muss sich | |
lediglich wegen Steuerhinterziehung mit den deutschen Behörden | |
herumschlagen. Auf die Idee, bei ihm zu Hause nachzuschauen, ob sich dort | |
noch mehr sakrale Kunst befindet, kommt niemand. | |
Wieder knapp zehn Jahre später, im Oktober 1997, am frühen Abend: | |
Zivilpolizisten des bayerischen Landeskriminalamts stürmen ein | |
Geschäftshaus in der Münchner City. Sie haben einen Tipp bekommen. Auf dem | |
Dachboden, im Keller und in weiteren angemieteten Räumen von Aydin D. | |
finden die Polizeibeamten einen 30-Millionen-Schatz. Über 200 international | |
gesuchte Kunstgegenstände aus Zypern finden sich, unzulänglich gelagert, | |
teilweise nur in Packpapier eingehüllt, in simplen Umzugskartons. | |
Allein das aufgefundene Mosaik des Apostels Thomas, brutal herausgebrochen | |
aus der Wand der einsam gelegenen Kirche Panagia Kanakaria, kommt Experten | |
zufolge auf einen Wert von acht Millionen Euro - und findet sich nun unweit | |
des Hauptbahnhofs der bayerischen Landeshauptstadt. Die sakrale Kunst kommt | |
in eine speziell gesicherte Asservatenkammer. | |
Aydin D. wandert in Untersuchungshaft. Doch schnell stellt sich heraus, | |
dass die Taten selbst verjährt sind. | |
Und damit beginnt das Gezerre um den Kunstschatz. Denn Aydin D. besteht | |
darauf, die Werke legal erworben zu haben. Nun muss für jede einzelne Ikone | |
der Nachweis geführt werden, dass diese ursprünglich aus dem Norden Zyperns | |
stammt und gegen den Willen und ohne Wissen des Besitzers verschwand. | |
Nicht nur die Republik Zypern, sondern auch Aydin D. verlangt die | |
Herausgabe der sakralen Werke. Und schließlich taucht auch noch die | |
international nicht anerkannte "Türkische Republik Nordzypern" auf, die in | |
München Ansprüche anmeldet. Die Sache beginnt sich hinzuziehen. | |
Noch einmal sieben Jahre später: Jetzt reicht es den griechisch- | |
zypriotischen Behörden. Generalstaatsanwalt Solon Nikitas reist extra von | |
Nikosia nach München. Er strengt 2004 vor dem Landgericht ein | |
Zivilverfahren an. Das Gericht bestellt mit dem Archäologen und | |
Byzantinisten Johannes Deckert einen Gutachter. | |
Aydin D. überzieht das Gericht mit Befangenheitsanträgen und will, so | |
vermutet es der Rechtsvertreter der Republik Zypern, Enno Engbers, das | |
Verfahren ins Unendliche verzögern. D. beschuldigt das LKA , dieses habe | |
seine Eigentumsnachweise verschlampt. | |
Obwohl sich Experten einig sind, dass die Pretiosen zweifelsfrei aus | |
Nordzypern stammen, ist dieses Expertenurteil noch lange nicht | |
gleichbedeutend mit einem raschen Gerichtsurteil. Auf Zypern reagiert man | |
mit wachsendem Unverständnis auf die bundesdeutsche Justiz. | |
Beim Auswärtigen Amt (AA) in Berlin geht Ende 2005 eine Verbalnote der | |
Regierung in Nikosia ein, bestätigen diplomatische Kreise der taz: Man | |
fordert die rasche Rückgabe des gestohlenen Eigentums. Das AA mahnt 2006 | |
bei der Staatsanwaltschaft München I um etwas mehr Tempo - ohne | |
durchschlagenden Erfolg. | |
Jetzt endlich, am 23. September 2010, ergeht das Urteil: Die etwa 240 | |
Sakralgegenstände sind an die rechtmäßigen Besitzer, die Kirchen Zyperns, | |
zurückzuführen, urteilt das Gericht. "Endlich gibt es Gerechtigkeit", freut | |
sich Zyperns Sprecher Koumides. Doch in München mag sich Anwalt Engbers | |
noch nicht endgültig zu der Entscheidung äußern. Die schriftliche | |
Begründung wird erst im Oktober nachgereicht. | |
Und danach hat Aydin D. einen Monat Zeit, um zu entscheiden, ob er in | |
Berufung gehen will. Sein Anwalt Mezler will telefonisch keine Auskünfte | |
dazu geben. Doch, so viel will er sagen, er sieht "riesige Probleme" auf | |
Prozessbeteiligte zukommen. | |
So ist es denkbar, dass in der klimatisierten Asservatenkammer des | |
bayerischen Landeskriminalamts noch für längere Zeit ein Schatz lagern | |
wird. | |
30 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
Raubkunst | |
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