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# taz.de -- Verdacht auf Handel mit Raubkunst: Die Definition von Diebstahl
> Präkolumbianische Kunstwerke werden am Dienstag in München versteigert.
> Dabei hatte die Regierung Mexikos protestiert.
Bild: Kulturministerin Alejandra Frausto: bei der mexikanischen Regierung sties…
Sollten Sie spontan etwas Zeit und dazu noch ein paar Euro übrig haben, hat
das Auktionshaus Gerhard Hirsch Nachfolger einiges zu bieten. Etwa ein
„bauchiges Gefäß mit der Darstellung eines Würdenträgers“ aus Ecuador, …
500–1000 n. Chr.“, eine handkolorierte peruanische Landkarte aus dem 17.
Jahrhundert oder eine „Schlange mit leicht geschwungenem Körper“ aus
Mexiko, „ca. 1500–600 v. Chr.“
324 präkolumbianische Kunstwerke aus mehreren Staaten Lateinamerikas will
das Münchner Haus am heutigen Dienstag versteigern: Figuren, Becher,
Ketten, Ringe und vieles mehr. Die geschätzten Preise liegen meist zwischen
50 und 5.000 Euro, eine Jademaske der Olmeken aus dem heutigen Golf von
Mexiko soll 100.000 Euro wert sein.
Bei der mexikanischen Regierung stieß die Versteigerung auf heftige Kritik.
74 der Artefakte müssten nach Prüfung durch das Nationale Institut für
Anthropologie und Geschichte (INAH) [1][als Raubgut eingestuft werden],
erklärte die Kulturministerin [2][Alejandra Frausto]. Das Auktionshaus
dürfe sie nicht verkaufen, damit sie gegebenenfalls nach Mexiko
zurückgebracht werden könnten, betonte die Politikerin und stellte Anzeige
bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes.
Der mexikanische Botschafter in Deutschland, Francisco Quiroga, erklärte
dem Auktionshaus in einem Brief, dass der Verkauf illegal sein könnte und
die organisierte Kriminalität stärke. Viele der Kunstwerke würden auf dem
Schwarzmarkt gehandelt, außerdem verbiete ein mexikanisches Gesetz seit
1934, archäologische Gegenstände aus dem Land zu schaffen.
## Aus dem historischen Kontext gerissen
Aber auch unabhängig davon weist Quiroga darauf hin, dass diese Art der
Kommerzialisierung das kulturelle Erbe Mexikos aus seinem historischen
Kontext reiße und seine Vergesellschaftung verhindere.
Gerhard Hirsch Nachfolger weist die Vorwürfe natürlich zurück. Für alle
Stücke liege ein Nachweis der Herkunft vor, außerdem seien sie durch das
Art Loss Register geprüft, also dem „weltweit größten privaten
Datenspeicher gestohlener Kunst“, wie es auf deren Webseite heißt. Ähnlich
hatte das Auktionshaus Christie’s reagiert, als Mexiko klagte. Man werde
nie Kulturgüter anbieten, die geplündert oder illegal erworben worden
seien, hieß es.
Das klingt wohlfeil, bleibt nur – ganz unabhängig von der mexikanischen
Gesetzgebung – die Frage der Definition von Diebstahl. Die Ausplünderung
Lateinamerikas in Folge der kolonialen Eroberung war juristisch nicht
verboten.
Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador setzt sich schon lange für
die Rückgabe von Raubkunst ein, dessen Frau Beatrice Müller zog 2020 in
dieser Mission durch Europa. Kulturministerin Frausto geht gegen
Modeunternehmen vor, die Motive und Muster indigener Gemeinden ohne
Absprache nutzen.
Diese Kritiken führen durchaus zu Erfolgen: Einige Firmen haben die Waren
aus ihrer Kollektion genommen. Im Sommer gaben zwei deutsche Familien 34
Artefakte an Mexiko zurück.
Zweifellos lässt López Obrador, der sich selbst links einordnet, mit Blick
auf die [3][Unterstützung der indigenen Bevölkerung] ziemlich viel zu
wünschen übrig. Seine Austeritätspolitik sorgt dafür, dass die
Kunsthandwerkerinnen aus den indigenen Gemeinden, mit deren Designs
Modefirmen Geschäfte machen, kaum mehr staatlich unterstützt werden.
Dennoch macht die Kritik der Regierung gegenüber Raubkunst und illegaler
Aneignung geistigen Eigentums eine Debatte auf, die in Lateinamerika
bislang zurückhaltender angegangen wurde als auf dem afrikanischen
Kontinent.
Wer die Kunstwerke trotzdem kaufen will, dem sei angeraten, den Verweis des
Botschafters auf die Kriminalität ernst zu nehmen. Untersuchungen der INAH
zufolge, so Quiroga, sei ein guter Teil der in München angebotenen Stücke
erst vor Kurzem hergestellt worden.
20 Sep 2021
## LINKS
[1] /Indigene-Geschichtsschreibung/!5721251
[2] /Plagiate-im-Modegeschaeft/!5741796
[3] /Geplante-Maya-Bahn-durch-Mexiko/!5791061
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Kolumne Latin Affairs
Mexiko
Auktion
Raubgut
Kriminalität
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