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# taz.de -- Raubkunst im Humboldt Forum: Korrektur am westlichen Monolog
> Bald eröffnen die ethnologischen Sammlungen im Humboldt Forum. Ein
> Filmprogramm fasst am Sonntag Jahrzehnte der Kritik an solchen Museen
> zusammen.
Bild: Im Fokus der Kritik: das Humboldt Forum in Berlin-Mitte
Man hat sich ja schon fast gewöhnt an den neuen Protz-Klotz in Mitte. Das
Humboldt Forum ist zum Anziehungspunkt für Touristen und Einheimische
geworden, zuhauf flanieren sie um und durch den [1][pseudobarocken Koloss]
oder strömen in die Ausstellungen zu Berlin, den Brüdern Humboldt, der
Schlossgeschichte.
Das „dicke Ende“ kommt allerdings noch: Am 22. September eröffnen das
Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst. Beide sind
sozusagen das „Herzstück“ des Ganzen und der eigentliche Grund, warum das
Disney-Schloss von seinen Verfechtern zum Zentrum des „Dialogs der
Weltkulturen“ stilisiert wird und von seinen Gegnern als [2][Hort von
Raubkunst] und neokolonialer Attitüde bekämpft.
Dieses Mal haben die Kritiker die Nase vorn: Schon am Sonntag laden die
Cultural Workers against the Humboldt Forum und das virtuelle Projekt
[3][BARAZANI.berlin] zu einem Kurzfilmprogramm im „Spreeufer“. Und die
Liste der Filme, die vor dem kleinen Veranstaltungsraum schräg gegenüber
des Humboldt Forums gezeigt werden, verspricht einen Rundumschlag. So
zeigen einige Werke, dass die Kritik am Raub von Objekten und Kunstwerken
aus den früheren Kolonien und ihre Musealisierung im „Westen“ keine neue
Erscheinung ist, auch wenn es einer breiteren Öffentlichkeit hierzulande so
scheint, sondern seit Jahrzehnten artikuliert wird.
Schon 1953 thematisierten etwa die Filmemacher Alain Resnais, Ghislain
Cloquet und Chris Marker in „Les Statues Meurent Aussi“ (Frankreich, 30
Minuten) anhand von Ausstellungsstücken aus dem Pariser Musée de l’Homme,
wie Objekte aus Afrika aus ihren soziokulturellen Kontexten gerissen und in
„exotische“ Souvenirs transformiert wurden. In „You hide me“ (1970, Gha…
16 Minuten) befasst sich Regisseur Nii Kwate Owoo am Beispiel des British
Museums mit der Frage, wie die fortgesetzte Präsenz von afrikanischen
Objekten in europäischen Museen eine kolonialistische Epistemologie
fortschreibt. Seine These: Während die Objekte damals als Beleg für die
europäische Wahrnehmung Afrikas als „zivilisationslos“ genommen wurden,
sollen sie heute in den Museen bleiben, um den Nachfahren der Kolonisierten
zu diktieren, welche Teile ihrer Kultur als „große Kunst“ anzusehen sind.
Eine zweite Gruppe von Filmen widmet sich kolonialen fotografischen
Archiven und fragt, ob und wie solche Bilder in einer neuen, dekolonialen
Perspektive gelesen werden können. So werden in „Faces/Voices“ (2019,
England, 18 Minuten) Engländer der Jetztzeit mit Porträtfotografien des
Ethnologen N.W. Thomas konfrontiert, die dieser zwischen 1909 und 1915 in
Nigeria und Sierra Leone gemacht hat. Der Film beobachtet, wie Schwarze
Menschen heute nicht nur die Gewaltgeschichte hinter den Fotos erkennen,
sondern auch Trotz, Neugier und Freude in den porträtierten Gesichtern
entdecken.
Eine dritte Reihe analysiert europäische Erinnerungskultur im Kontext von
Imperialismus, Rassismus und globaler Migrationspolitik. „They Live in
Forests/They Are Extremely Shy“ (2019, England, 4 Minuten) etwa erzählt von
einem Indigenen aus Australien, der 1886 zur Kolonialausstellung nach
London kam und dort die Leiche eines Verwandten als Ausstellungsstück
vorfand, die er zu retten versuchte.
Einen Bogen in die Gegenwart schlägt „Un-Documented: Unlearning Imperial
Plunder“ (2019, England, 34 Minuten): Die Künstlerin Ariella Aisha Azoulay
regt an, dass wir die Fluchtversuche von Nachfahren Kolonisierter in die
Metropolen ehemaliger Kolonialmächte und die Präsenz von geraubten Objekten
in hiesigen Museen als „Zwillingsmigration“ betrachten sollten. Schließlich
sei beides das Ergebnis ähnlicher Prozesse von imperialer Ausbeutung und
Enteignung.
10 Sep 2021
## LINKS
[1] /Humboldt-Forum-nimmt-Betrieb-auf/!5785516
[2] /Raubkunst-in-Berlin/!5757043
[3] https://barazani.berlin/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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Raubkunst
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