# taz.de -- Dorado für Schatzsucher: Die Duette von Maître und Crieur | |
> Im Pariser Hôtel Drouot wird auf drei Etagen Tag für Tag viel | |
> versteigert: Gemälde, Möbel, Schmuck, Musikinstrumente. Sogar | |
> Saurierskelette. | |
Bild: Letzte Woche wurde dieses Triceratops-Skelett im Hotel Drouot für 6,6 Mi… | |
Unweit der Grands Boulevards steht das Hôtel Drouot, ein ziemlich | |
brutalistisches 80er-Jahre-Eckgebäude aus Glas und Metall, satellitengleich | |
umgeben von den Läden der Antiquitätenhändler, der Experten und Schätzer. | |
Ein Dorado für Sammler, Händler, Museumskuratoren, Glücksritter und | |
Schatzsucher. | |
Auf drei Etagen werden Tag für Tag in 15 Sälen Gemälde, Möbel, Schmuck, | |
Kunstgewerbe, Musikinstrumente, Bücher und all die anderen Sachen | |
versteigert – Gutes, Schreckliches, Sammelwürdiges und Seltsames. Seit mehr | |
als 160 Jahren, als die Kammer der französischen Commissaires-Priseurs das | |
Grundstück an der Rue Drouot von der Stadt erwarb und sich verpflichtete, | |
ausschließlich in dem dort errichteten Gebäude zu versteigern. | |
Ausländische Auktionatoren waren grundsätzlich nicht zugelassen. Das lag | |
schon daran, dass seinerzeit in Frankreich im Wesentlichen nur staatlich | |
angeordnete Versteigerungen abgehalten wurden. | |
## Jederzeit einsehbares Archiv | |
Die Geschäfte liefen gut. Kunst ist nicht erst in jüngster Zeit | |
Spekulationsobjekt und vielversprechende Anlage. Hervorragende Umsätze | |
machte das Drouot Im Zweiten Weltkrieg, als viel (Schwarz-)Geld im | |
ziellosen Umlauf war, was dem gut ausgestatteten Archiv zu entnehmen ist, | |
das jederzeit eingesehen werden kann. | |
Das war nicht immer so, gehört aber heute zur Politik der Transparenz, die | |
übrigens jedem Auktionshaus gut anstünde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts | |
änderte sich ohnehin einiges. Das Staatsmonopol der Versteigerer wurde | |
aufgehoben, infolgedessen hat sich schon bald das Verhältnis von | |
Zwangsversteigerungen zu freiwilligen Versteigerungen komplett gedreht. | |
Ausländische Firmen konnten sich niederlassen – Christie’s und Sotheby's | |
waren umgehend in der Stadt. Etliche Commissaires-Priseurs zogen es nun | |
vor, eigene Geschäftsräume zu beziehen. Gut siebzig Versteigerer blieben | |
und wurden Teilhaber am Hôtel Drouot, das in eine Gesellschaft überführt | |
worden war. | |
## Hübsch anachronistisch anzuschauendes Szenario | |
Hübsch anachronistisch blieb das tägliche Szenario noch eine ganze Weile. | |
Es blitzten immer noch die grotesken Daumier-Momente auf, wenn der Maître | |
den Hammer hob, während der ihm assistierende Experte das jeweilige Los | |
monoton vorstellte. Daneben saßen die originell herausgeputzte Kassiererin, | |
ein Protokollant, der Organisator der Auktion, ein Mitarbeiter, der | |
Auftragsgebote wahrnahm, und um ein Laptop scharten sich Beobachter des | |
Online-Bietgeschehens. | |
Vor diesem dicht gedrängten Personal schritt der Crieur auf und ab und rief | |
die Gebotsschritte in den Saal. Er echote, sang, mal schien ein Klagen | |
mitzuschwingen, mal Triumph, wenn die Hände hochschnellten. Das Duett von | |
Maître und Crieur glich einer Performance, mal zu Ehren zweier versilberter | |
Kerzenständer, mal in Erwartung eines mindestens sechsstelligen | |
Höchstgebots für eine Stradivari. | |
Der Crieur überreichte dem siegreichen Bieter einen Coupon und | |
beschleunigte dessen Gang zur Kasse. Währenddessen rappte er erneut seine | |
Zahlen, grüßte einen Stammkunden, kommentierte dessen Kauf mit einer | |
launigen Bemerkung und achtete darauf, dass der Col rouge auch das richtige | |
Stück vorzeigte. | |
## Drouot 2.0 ist längst Versteigerungsalltag | |
Ganz so anachronistisch läuft es heute nicht mehr. Drouot 2.0 ist längst | |
schon Versteigerungsalltag. Und die Cols rouges, die hierarchisch | |
organisierten Arbeiter, die für die Lagerverwaltung und Warenausgabe | |
zuständig waren? Lange hatten sie einen Staat im Staate gebildet. Ihre | |
roten Krawatten trugen ihnen den Spitznamen ein. Savoyards wurden sie auch | |
genannt, denn sie kamen seit eh und je aus Savoyen, rekrutierten sich aus | |
einem autonom regulierten Beziehungsgeflecht. | |
Bis Anfang 2010. Da wurde Gewissheit, was viele längst vermuteten. Die Cols | |
rouges hatten vielfach auf eigene Rechnung gearbeitet, so manches wertvolle | |
Stück verschwand aus dem Lagerlabyrinth und wurde in einem der umliegenden | |
Bistros neu verhandelt. Der Skandal war perfekt, einige wanderten ins | |
Gefängnis – und das savoyardische System hatte ausgedient. | |
Das System Drouot ist hingegen unschlagbar. Atmosphärisch sowieso. Aber vor | |
allem durch seine logistischen Meisterleistungen: Direkte Anlieferung | |
inmitten der Stadt, Lagerungskapazitäten in diversen unterirdischen | |
Geschossen, eine bewundernswert ausgeklügelte Logistik, die die tägliche | |
Auslastung sämtlicher Säle von der Bestückung über die Vorbesichtigung und | |
die Auktion bis zur Auslieferung nahezu reibungslos gewährleistet. | |
## Über 800 Auktionen im Jahr | |
In über 800 Auktionen wurde 2019 ein Gesamtumsatz von 351 Millionen | |
erwirtschaftet. Im ersten Halbjahr 2021 wurden 200,5 Millionen Euro mit 393 | |
Auktionen umgesetzt. Rechnet man vorsichtig alle Pariser Versteigerungen | |
zusammen, kommt man – ohne Gewähr – auf 733 Millionen Euro. | |
Als Drehkreuz und Mikrokosmos der Sammelleidenschaft zieht das Drouot die | |
Kunstsinnigen an. Man kennt sich. Oder lieber nicht. Stemmt sich gegen den | |
Trubel und zieht Stockwerk für Stockwerk, Saal für Saal seine Bahnen. In | |
einigen Sälen wird nachmittags versteigert, in anderen wird noch | |
vorbesichtigt. | |
Einer der vier Brüder de Bayser, die eine der weltweit renommiertesten | |
Kunsthandlungen für Altmeisterzeichnungen in dritter Generation leiten, | |
lässt zum Beispiel keinen Tag vergehen, an dem er nicht die paar Schritte | |
in die Rue Drouot macht und die Offerte rasch und fachkundig inspiziert. | |
Bewährte Routine. | |
## Moderne Technologie und traditionelle Rituale | |
Die Commissaires-Priseurs arbeiten mit ausgewiesenen, vor allem – darauf | |
ist man stolz – unabhängigen Experten zusammen. Wichtige Stücke werden | |
gewissenhaft bearbeitet und katalogisiert. Sie werden in der Gazette Drouot | |
vorgestellt, dem wöchentlich erscheinenden Journal, das in diesem Jahr auf | |
einen Erscheinungszeitraum von 130 Jahren zurückblicken kann. | |
Die großen Überraschungen bergen die vielen Nachlässe, die Auflösungen, die | |
ohne Aufhebens durchgeschleust werden (müssen). Vielleicht steckt auch ein | |
bisschen Methode dahinter. Niedrige Limite und daraus resultierende enorme | |
Preissteigerungen schüren Spürsinn und Entdeckerlust. Allerdings ist das | |
Feld der Interessenten und der Informierten durch die digitalen | |
Errungenschaften enorm gewachsen. | |
Moderne Technologie und traditionelle Rituale sind nun global vereint. Und | |
alle potenziellen Bieter sitzen um das Lagerfeuer. Da müsste es schon mit | |
dem Teufel zugehen, wenn zwischen Schanghai, Johannesburg, New York und | |
Moskau ein sagenhaftes Kunststück übersehen würde. Oder? | |
25 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
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