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# taz.de -- Auktion bei Christie's: Auratische Daten
> Computercodes lösen einen Boom des digitalen Kunstverkaufs aus. Das
> Auktionshaus Christie's hat Werke des Künstlers Beeples für 69,3
> Millionen Dollar versteigert.
Bild: Ausschnitt aus „EVERYDAYS: THE FIRST 5000 DAYS“ einer Collage des Dig…
Gute Neuigkeiten für alle, denen das Zocken mit Kryptowährungen oder
Game-Stop-Aktien allmählich langweilig wird: Man kann jetzt auch mit
digitaler Kunst spekulieren. Und am heutigen Donnerstagnachmittag dürfte in
diesem Marktsegment ein neuer Rekord aufgestellt werden, den sich noch vor
ein paar Wochen niemand hätte vorstellen können.
Das Werk “Everydays: The first 5.000 days“ des amerikanischen Künstlers
Beeple (bürgerlicher Name: Mike Winkelmann) wurde Donnerstag [1][bei einer
Auktion von Christie's angeboten,] um 16 Uhr deutscher Zeit fiel der
virtuelle Hammer. Das Werk wurde für 69,3 Millionen Dollar versteigert.
[2][Winkelmann hat zwar weder eine Galerie] noch einen Wikipedia-Eintrag,
sondern war bisher vor allem einer treuen und rasant wachsenden Fangemeinde
im Internet bekannt – auf Instagram haben 1,9 Millionen Follower seinen
Kanal abonniert. Dort veröffentlicht er seit 2007 täglich ein Bild – selbst
an dem Tag, an dem seine Tochter geboren wurde, und dem, an dem er eine
Lebensmittelvergiftung hatte.
## 5.000 Bilder aus 5.000 Tagen
Das zum Verkauf stehende Werk ist eine Collage aus den ersten 5.000
Bildern, die so in die Zirkulation der Sozialen Medien eingespeist wurden,
angefangen mit einer Kulizeichnung von seinem Onkel bis hin zu den
barocken, obercleveren 3D-Computerbildern mit Comicmotiven und
Computerspiel-Ikonografie, die zu seinem Markenzeichen geworden sind.
Die Bilder könnte sich freilich jeder aus dem Internet herunterladen. Aber
seine gesammelten Werke, die man nun als eine einzige Riesendatei [3][bei
Christie's] ersteigern kann, sind mit einem Non-Fungible Token (NFT), also
einem „einzigartigen Wertzeichen“, gesichert, einem Verfahren, mit dem man
aus potentiell endlos kopierbaren digitalen Daten ein auratisches Original
machen kann. Diese Tokens sind ein Stück Computercode, das – ähnlich wie
bei der Kryptowährung Bitcoin – in einem aufwendigen Rechenverfahren
generiert wird und dadurch einmalig ist.
Dieser Datensatz ist in der Blockchain verzeichnet, einer Art virtuellem
Register, das auf vielen verteilten Computern läuft. Weil diese Datenbank
jede Transaktion verzeichnet, der die Datei unterzogen wird, kann man das
Werk auch nicht einfach weiter verhökern; nach dem „Smart Contract“, der
mit der digitalen Collage verbunden ist, erhält Winkelmann bei jedem
Weiterverkauf 10 Prozent des Verkaufspreises.
## NFTs sind nicht neu
NFTs sind nicht per se neu. Die amerikanische Galerie Transfer bietet
bereits seit Jahren alle Arbeiten ihrer Künstler nur noch mit dem digitalen
Echtheitszertifikat an. Aber spätestens die Christie's-Auktion hat sie in
den Mainstream katapultiert, nachdem das „Nyan Cat“-GIF, das vor 10 Jahren
vom Künstler Chris Torres geschaffen wurde, vor wenigen Tage für fast eine
halbe Million Dollar auf der Plattform Foundation verkauft wurde und der
Sängerin Grimes einige kurze Videoanimationen und digitale Bilder in kurzer
Zeit für sechs Millionen abgenommen wurden.
Auch wenn es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis auch [4][die Jeff Koons
dieser Welt] am neuen Trend mitzuverdienen versuchen – bisher stammen die
Werke, die jetzt Höchstpreise erzielen, nicht von „richtigen“ Künstlern,
sondern eher von netzaffinen Gebrauchsgrafikern wie Mike Winkelmann, der
sein Geld mit Auftragsarbeiten für Musikvideos und Markenartikler
verdiente, bevor er in wenigen Tagen zum Multimillionär wurde.
Die Computer-, Netz- und Virtual-Reality-Künstler, die zum Teil seit
Jahrzehnten nach einem Businessmodel für ihre Werke suchen, dürften von dem
neuen Geldregen erst einmal nicht profitieren – ihre Kunst ist wohl zu
sperrig für das neue Käufersegment, das es dem Anschein nach gerne bunt,
poppig und leicht verständlich liebt.
## Der metaphysische Glaube an den Wert der Kunst
Ob sich hier ein Eldorado für Kunstspekulanten auftut, denen es sogar zu
anstrengend ist, ihre Sammlungen in internationalen Freeports vor der
Steuer zu verstecken, oder gerade eine gigantische, finanzkapitalistische
Blase entsteht, bleibt also abzuwarten. Denn die Rekordpreise beruhen
einzig und allein auf dem geteilten, quasi metaphysischen Glauben, dass
diese Werke auch wirklich solche Summen wert sind. Und vom Glauben kann man
bekanntlich schnell abfallen, wie sich die Veteranen der Dotcom-Blase von
2000 erinnern werden.
Und dann ist da noch der Carbon Footprint: Die holländische Künstlerin Rosa
Menkman hat gerade darauf hingewiesen, dass die Generierung von NFTs
riesige Energiemengen für den Betrieb und die Kühlung von Computern frisst.
Die Digitalwährung Bitcoin verbraucht inzwischen jährlich mehr Strom als
Argentinien, wie Wissenschaftler der Universität Cambridge ausgerechnet
haben.
Die Tücken der Materialität sind durch die Virtualisierung von Kunstwerken
also keineswegs endgültig überwunden: Anfang des Jahres ging die Saga von
dem deutschen Programmierer Stefan Thomas viral, der Bitcoins im Wert von
über 200 Millionen Dollar auf einer Festplatte bunkerte, für die er das
Passwort vergessen hatte. Das wäre ihm mit einem Picasso nicht passiert.
11 Mar 2021
## LINKS
[1] https://onlineonly.christies.com/s/beeple-first-5000-days/beeple-b-1981-1/1…
[2] https://www.beeple-crap.com/
[3] /Kunstversteigerung-in-New-York/!5504804
[4] /Mode-und-fotografische-Inszenierung/!5684543
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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