# taz.de -- Digitalkunst in China: Verpixelte Ästhetik | |
> In Peking stellt eine Galerie erstmals „Crypto Art“ aus. Ist die | |
> Digitalkunst bloßer Hype oder gar „demokratische Revolution“ der Branche? | |
Bild: Vor der Galerie in Peking | |
Wer die [1][„798“-Künstlerkommune] betreten möchte, muss zunächst | |
Absperrgitter, Überwachungskamera und den abweisenden Blick eines | |
schwarzuniformierten Wachmanns passieren. Dann jedoch befinden sich die | |
Besucher in einem der wenigen übriggebliebenen Freiräume Pekings: Auf dem | |
Gelände einer von DDR-Architekten geplanten Waffenfabrik reihen sich | |
mittlerweile nordkoreanische Kunstgalerie neben Goethe-Institut und | |
Graffiti-Shop. Streetart ziert die heruntergekommenen Bauhaus-Fassaden, | |
auch die Berliner Sprüher-Crew „1Up“ hat im „798“ bereits ihre Spuren | |
hinterlassen. | |
Dass ausgerechnet auf einem ehemals sozialistischen Industriegelände Chinas | |
erste Ausstellung für Krypto-Kunst stattfindet, lässt sich als Ironie des | |
Schicksals werten. Vor der Galerie „UCCA Lab“ rauchen ein paar Studenten im | |
Hipster-Look, in den neonrot und -blau ausgeleuchteten Ausstellungsräumen | |
herrscht die aufgeladene Atmosphäre einer Vernissage: Junge Menschen in | |
exzentrischer Mode, die Hände mit Finger-Food gefüllt. Auf dem ersten Blick | |
also alles ganz gewöhnlich. Doch mit der Ausstellung „Virtual Niche“ sind | |
erstmals die Wände einer Galerie vollkommen von Crypto-Kunst behangen – | |
darunter auch die bisherige Szene-Sensation „Beeple“. | |
Spätestens seit seinem historischen Deal vom 11. März ist Digitalkunst der | |
neue Hashtag in der Kunstwelt. Damals verkaufte der [2][US-Amerikaner Mike | |
Winkelmann – Künstlername „Beeple“] – sein „Everydays: The first 5,0… | |
Days“ im Auktionshaus Christie’s für spekatkuläre 69,3 Millionen Dollar. | |
Der Preis seiner Fotokollage mag sicherlich einem Medienhype geschuldet | |
sein, doch ist sie gleichzeitig auch die inspirierende Geschichte eines | |
Aufstiegs: Über 13 Jahre lang arbeitet ein Informatiker aus Wisconsin stur | |
an seinem Sisyphos-Werk, ohne je auf Profit hoffen zu können. Über Nacht | |
schließlich wurde der 40-Jährige zum drittteuersten Künstler hinter Jeff | |
Koons und David Hockney. | |
Möglich wurde dies erst durch die Blockchain-Technologie, auf die auch | |
Kryptowährungen wie „Bitcoin“ fußen. Die Idee dahinter ist simpel: Digita… | |
Kunstwerke können mithilfe eines sogenannten „NFT“ (Non-Fungible Token“) | |
unverfälschlich, also zum Unikat gemacht werden. | |
## Generation online | |
Walter Benjamin kommt einem in den Sinn, der in seinem Standardwerk „Das | |
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ durch die | |
aufkommende Fotografie und Filmkunst einen grundlegenden Wandel kommen sah. | |
Nun jedoch scheint es, als ob die digitale Kunst wieder zur Bedeutung des | |
Originals zurückfindet. Mit einem „NFT“ können Musiker Liederkompositionen | |
verkaufen, Maler Gemälde und Autoren ihre Manuskripte. | |
„Die junge Generation ist doch die ganze Zeit online. Natürlich spiegelt | |
sich das auch in der Kunst wider“, sagt Xiao Ge, eine zierliche Frau, | |
vollständig in Schwarz gekleidet. Als Malerin hat sich die heute 50-Jährige | |
einen Namen gemacht, später als Kuratorin und zuletzt Chefredakteurin einer | |
der wichtigsten Kunstpublikationen der Volksrepublik. Was sie sagt, hat | |
Gewicht. | |
In der Krypto-Kunst sieht Xiao Ge eine „demokratische Revolution“: Mussten | |
aufkommende Talente früher noch den Gang durch die Institutionen gehen, | |
also von Galeristen vertreten werden und in Museen ausstellen, kann nun | |
jeder Künstler aus eigener Kraft seine Popularität aufbauen. „Es braucht | |
Zeit, bis die Leute das kapieren“, sagt Xiao Ge. | |
## Möglicher Wendepunkt? | |
Sie vergleicht die Bedeutung für die Kunstwelt mit dem historischen Werk | |
„Fountain“ von Marcel Duchamps: 1917 stellte der französisch-amerikanische | |
Dadaist ein handelsübliches Urinal aus. Was zu seiner Zeit nur für | |
Irritation sorgte, gilt heute als Geburtsstunde der Konzeptkunst: Dass sich | |
jemand herausnimmt, Dinge von außen neu zu betrachten, ist bis heute | |
revolutionär. Genauso wird auch „Crypto Art“ einen Wendepunkt darstellen. | |
Doch inhaltlich ist an der ausgestellten Kunst wenig Revolutionäres zu | |
bemerken. Eine verpixelte Videospiel-Ästhetik zieht sich wie ein roter | |
Faden durch die Werke, eine Mischung aus „Star Wars“ und „Super Mario“, | |
dazwischen etwas abstrakte Videokunst. Die in Peking präsentierten Gemälde | |
würden sich gut in der Vorstandsetage eines Firmenmanagers machen, doch | |
Provokation oder Gesellschaftskritik wird lediglich zart angedeutet. | |
Möglicherweise ist die Gefälligkeit der Motive auch der chinesischen Zensur | |
geschuldet, schließlich muss das Kulturbüro jede Ausstellung im Vorhinein | |
genehmigen. | |
Kurator Sun Bohan – schwarzes Sakko, schwarze Gesichtsmaske – hält seine | |
Ausstellung dennoch für einen Startschuss in die digitale Zukunft der | |
Kunstwelt: „Kurzfristig mag Krypto-Kunst ein Hype sein, der sich daran | |
zeigen wird, dass Künstler teure Preise erzielen. Langfristig jedoch wird | |
sie zur zwangsläufigen Entwicklung“. | |
30 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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