# taz.de -- Studierende aus Nigeria: Auf nach China | |
> Für ein Auslandsstudium ist Peking oder Schanghai für Nigerianer | |
> attraktiver als Paris oder London. Europa ist Vergangenheit – China die | |
> Zukunft. | |
Bild: Owoseni Kehinde in seinem Chinese Language Training Institute | |
Abuja taz | Akonjom Great Neke schaut ein wenig misstrauisch an die Tafel, | |
die in einem großen grünen Zelt in Nigerias Hauptstadt Abuja steht. Der | |
Ventilator surrt und sorgt dafür, dass die Hitze einigermaßen erträglich | |
ist. Acht Sprachschüler sitzen auf weißen Plastikstühlen und versuchen, | |
sich auf die chinesischen Schriftzeichen zu konzentrieren. | |
Seit Anfang des Jahres gehört der 16-jährige Neke, ein schmächtiger, | |
ruhiger Schüler, dazu. Bis heute ist vieles neu für ihn. „Einige Dinge sind | |
ziemlich kompliziert. Alle Vokabeln rund ums Krankenhaus sind schwierig“, | |
gibt er zu, „die Sprache mag ich aber und wollte sie unbedingt lernen.“ | |
An diesem Vormittag stehen die Zahlen auf dem Stundenplan. Lehrer Owoseni | |
Kehinde erklärt, wie sie geschrieben werden müssen, spricht sie vor, und | |
die Schüler wiederholen sie im Chor. | |
Kehinde ging 2006 nach China, obwohl er ein Stipendium für Helsinki in | |
Finnland hatte. Neugierig auf das Land hatte ihn ein Freund gemacht. „Schon | |
nach zwei Wochen hat er die ersten Waren geschickt, die ich ihm abgekauft | |
habe. Das hat meine Einstellung zum Land beeinflusst. Ich habe gedacht: Es | |
muss ein sehr gutes Land sein.“ | |
Dafür will er auch seine Schüler am Chinese Language Training Institute | |
begeistern. Seine Sprachschule befindet sich zwar noch im Aufbau. Doch | |
Kehinde ist sicher: Chinesisch wird die Sprache der Zukunft werden und | |
China Nigerias wichtigster Partner. | |
## 50.000 China-Stipendien für Afrikaner | |
Der Riesenstaat in Asien ist längst nicht mehr nur mit seinen Baufirmen – | |
2017 schätzte die Unternehmensberatung McKinsey, dass 920 chinesische | |
Unternehmen in Nigeria operieren – präsent. Es ist auch das Land, aus dem | |
erschwingliche Handys, Laptops und Computerzubehör stammen. Nigeria ist mit | |
seinen rund 200 Millionen Einwohnern ein hervorragender Absatzmarkt. Nach | |
Einschätzung der Kommunikationskommission NCC nutzen mehr als 111 Millionen | |
Menschen in Nigeria bereits das Internet. | |
Jetzt wirbt China massiv um Studierende. Verlässliche Zahlen, wie viele | |
Nigerianer jedes Jahr ein Studium aufnehmen, gibt es zwar nicht. Während | |
des chinesisch-afrikanischen Gipfels (FOCAC) im September 2018 kündigte die | |
chinesische Regierung jedoch an, 50.000 Stipendien für Afrikaner zur | |
Verfügung zu stellen. Dazu kommen weitere Austauschprogramme und die | |
Möglichkeit, an Workshops und Seminaren teilzunehmen. Auch die Afrikanische | |
Union hat ein Programm mit China aufgesetzt. | |
Im Internet findet sich zwischen zahlreichen Bewerbungsplattformen die | |
Homepage des chinesischen Wirtschaftsministeriums. Es wirbt mit | |
Vollstipendien der Regierung für 26 Universitäten im Land. Im Masterstudium | |
erhalten Studierende 3.000 Yuan, Doktoranden 3.500 Yuan, was aktuell | |
zwischen knapp 400 und 450 Euro sind. In Nigeria ist gerade der Mindestlohn | |
auf 75 Euro hochgesetzt worden. | |
## Europa oder USA? Nur für Reiche | |
So weit ist Abiturient Neke noch nicht. „Mittlerweile habe ich mich zwar | |
entschieden, dass ich nicht mehr internationale Beziehungen, sondern | |
bildende Kunst studieren möchte.“ Er hat den Eindruck, dass China für ein | |
Auslandsstudium mehr Möglichkeiten als Europa bietet. Das Programm Erasmus+ | |
der Europäischen Union, an dem auch Nicht-EU-Bürger teilnehmen können, | |
wählte 2017 gerade einmal 39 Master-Studenten aus Nigeria aus. | |
Dabei geht es in Europa oder die USA nicht ohne Stipendien oder sehr | |
wohlhabende Eltern. Die Lebenshaltungskosten sind hoch, der Naira hingegen | |
schwach. Die Währung stürzte 2016 massiv ein und hat sich bis heute nicht | |
erholt. Lag der Wechselkurs zuvor einige Jahre lang recht stabil bei einem | |
Euro zu 200 Naira, sind es nun 1:400. Ein großes Problem für jene, die | |
Gebühren in Euro oder US-Dollar zahlen müssen. | |
Für Studierende aus dem frankophonen Afrika war bisher immerhin Frankreich | |
eine gute Adresse. Doch vor einem halben Jahr kündigte die Regierung in | |
Paris an, die Gebühren für Nicht-EU-Bürger drastisch zu erhöhen. Sie haben | |
sich verfünfzehnfacht. Betroffen sind vor allem Interessenten aus den | |
ehemaligen französischen Kolonien. In China, so lautet mitunter die | |
Kalkulation, lässt sich indes Geld dazu verdienen. Handys und technischer | |
Zubehör können günstig eingekauft und in Nigeria weiterverkauft werden. | |
## In der Supermacht von morgen | |
In Yola, Provinzhauptstadt im Nordosten Nigerias, erinnert sich Munzali | |
Abana gern an seine Zeit in China. Der Dozent der Moddibo Adama University | |
of Technology hat in Peking im Bereich Informationstechnik promoviert. | |
„Natürlich ist Großbritannien sehr beliebt. Ich gehörte jedoch zu den | |
Glücklichen und bekam für China ein Stipendium. Es hat alle Kosten | |
gedeckt.“ | |
Es war ebenfalls ein 3.500 Yuan hohes Stipendium der Regierung. Bereut hat | |
er die Ausbildung nicht, im Gegenteil. „Für meinen Fachbereich ist es eine | |
der besten Universitäten gewesen, und ich konnte in bekannten Magazinen | |
publizieren.“ Eins hat ihn jedoch gestört: „Man war nicht offen mit | |
Informationen. Ich musste vieles selbst herausfinden.“ | |
Dass China beliebt wird, liegt auch daran, dass sich das Land als | |
Supermacht präsentiert. Mit Aktionen wie dem FOCAC-Gipfel lädt es | |
regelmäßig afrikanische Präsidenten ein. Die Finanzierung von Infrastruktur | |
wird kaum kritisiert. | |
Auch Nigerianer, die einige Jahre in China gelebt haben, halten sich mit | |
Kritik zurück. Auf die Frage, ob Owoseni Kehinde Diskriminierung erlebt | |
hat, nennt er nur ein Beispiel. „Am Flughafen dachte man mal, ich hätte | |
Drogen versteckt. Damals hat man mich nicht gut behandelt, sich dann aber | |
entschuldigt.“ Kehinde nimmt sogar die Beamten in Schutz: „Ich kann ihnen | |
keine Vorwürfe machen. Bei Afrikanern sehen sie so etwas schon mal.“ | |
Akonjom Great Neke schreckt das nicht ab. Auch über Internet-Zensur von bei | |
Nigerianern so beliebten Seiten wie Facebook spricht er nicht. „Ich würde | |
am liebsten vier bis sechs Jahre bleiben. China ist heute das Top-Land der | |
Welt.“ | |
Das spiegelt sich, so erwarten die Studenten, auch in der Ausstattung der | |
Hochschulen. In Nigeria ist das Studium selbst an den renommierten | |
Universitäten wie Ahmadu-Bello-University in Zaria, der University of | |
Nigeria in Nsukka und der Obafemi Awolowo University in Ile-Ife eine | |
Herausforderung. Oft streiken die Dozenten. Stromausfälle sorgen dafür, | |
dass die Räume unerträglich heiß werden. Lernmaterial ist vielfach nicht | |
zugänglich. | |
## „China kann für uns zum Modell werden“ | |
Darum muss sich in Nanjing, gut 300 Kilometer nordwestlich von Shanghai, | |
Isah Danja nicht kümmern. Er promoviert an der South West University | |
Nanjing im Bereich Städteplanung und lebt seit acht Jahren in China. Er kam | |
ebenfalls eher zufällig über Geschäftskontakte seines Bruders nach Asien. | |
Gerade im Bereich der Bevölkerungsentwicklung könne Nigeria viel von China | |
lernen, ist er sicher. 2017 wuchs diese laut Weltbank um 0,6 Prozent, in | |
Nigeria hingegen um 2,6 Prozent. Für ein Land, in dem die Infrastruktur | |
nicht mitwächst, ist das ein enormer Druck. „China kann für uns zum Modell | |
werden.“ | |
Einige Ideen will Isah Danja deshalb nach seinem Abschluss zurück in seine | |
Heimat bringen, denn für ihn steht außer Frage: „Egal, wie lange ich weg | |
bin, ich werde zurück nach Nigeria gehen und mein Wissen dort anwenden.“ | |
Sorgen, dass er keine Stelle findet, hat der fast fertige Städteplaner | |
nicht. Denn auch das beflügelt den Wunsch, ins Reich der Mitte zu gehen. | |
Die Studierenden sind sich sicher: Ein Abschluss aus China ist auf dem | |
nigerianischen Arbeitsmarkt eine Jobgarantie. | |
17 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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