# taz.de -- Krieg in der Ostukraine: Dem Frieden ein Stück näher | |
> Pro-russische Kämpfer lassen vier ukrainische Gefangene frei. Im Ort | |
> Staniza Lugansk unweit der Front beginnt die militärische Entflechtung. | |
Bild: Anwohner überqueren eine beschädigte Brücke an einem Checkpoint bei St… | |
KIEW taz | Hoffnung für die Ostukraine – wenn auch nur ein wenig. Denn in | |
die Bemühungen um einen funktionierenden Waffenstillstand ist Bewegung | |
gekommen. Trotz anhaltender Verletzungen der | |
Waffenstillstandsvereinbarungen gibt es Fortschritte auf der | |
Verhandlungsebene. | |
Vier ukrainische Kriegsgefangene sind in einer einseitigen Geste der | |
[1][selbst ernannten „Volksrepubliken“] von Lugansk und Donezk freigelassen | |
worden. Am vergangenen Freitag trafen die Ukrainer Dmitri Welikij, Jakow | |
Weremeitschik, Eduard Micheew und Maxim Gorjainow aus dem russischen Rostow | |
am Don via die weißrussische Hauptstadt Minsk in Kiew ein. | |
Die vier, die für die ukrainische Seite gekämpft hatten, waren in den | |
„Volksrepubliken“ bereits zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt | |
worden oder standen dort unter Anklage. | |
Vermittelt worden war die Freilassung von dem Oppositionspolitiker Wiktor | |
Medwedtschuk. Der ukrainische Politiker der russlandfreundlichen Partei | |
„Oppositionsplattform für das Leben“ macht aus seinen guten Kontakten zu | |
Russlands Präsidenten Wladimir Putin kein Hehl. | |
## Brüchige Abkommen | |
Derzeit, sagte Medwedtschuk gegenüber ukrainischen Medien, würden in den | |
von Kiew nicht kontrollierten Gebieten 70 Personen festgehalten. Zuvor | |
hatte Medwedtschuk die Freilassung der vier in einer gemeinsamen | |
Presseerklärung mit den Chefs der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, | |
Denis Puschilin und Leonid Passetschnik, angekündigt. | |
Die Freilassung der ukrainischen Kriegsgefangenen am vergangenen Freitag | |
war die erste seit Dezember 2017. Seit der [2][Annexion der Krim durch | |
Russland] im März 2014 und der Ausrufung der „Volksrepubliken“ von Lugansk | |
und Donezk im April 2014 herrscht Krieg in der Ostukraine. Unterstützt | |
werden die ostukrainischen Separatisten dabei von russischen Waffen und | |
Soldaten. | |
Die 2014 und 2015 in Minsk ausgehandelten Waffenstillstandsabkommen waren | |
brüchig, konnten jedoch die Intensität der Kämpfe entscheidend mindern. | |
13.000 Menschen sind nach UN-Informationen durch die Kämpfe in der | |
Ostukraine seit 2014 ums Leben gekommen, darunter 3.000 Zivilisten, 4.000 | |
ukrainische Militärpersonen und 5.500 Kämpfer der anderen Seite. Zwei | |
Millionen Menschen wurden durch den Krieg zu Binnenflüchtlingen. | |
Doch neueste Zahlen zeigen auch, dass der Konflikt in seiner Intensität | |
abnimmt. 2018, so eine OSZE-Sprecherin zur taz, habe die OSZE 43 tote | |
Zivilisten registriert, von Januar bis Ende Mai 2019 seien es 7 Personen | |
gewesen. | |
## Schüsse in friedlicher Absicht | |
Am vergangenen Mittwoch zerstoben zahlreiche Leuchtkörper am Himmel direkt | |
über der ostukrainischen Front. Doch dieses Mal war in friedlicher Absicht | |
geschossen worden. Beide Seiten kündigten mit ihren Leuchtraketen über der | |
Ortschaft Staniza Lugansk, die gerade einmal 30 Kilometer von Lugansk | |
entfernt ist, die erste Etappe der Entflechtung ihrer schweren Waffen an. | |
Und die sei nun, so die OSZE-Beobachtermission am Sonntagabend, | |
abgeschlossen. | |
Für den Schweizer Alexander Hug, der viereinhalb Jahre bis November 2018 | |
erster stellvertretender Chef der OSZE-Beobachtermission in der Ostukraine | |
war, stehen die Entflechtung der gegnerischen Positionen sowie der Abzug | |
der schweren Waffen (Panzer, Mörser, Artillerie und Mehrfachraketenwerfer), | |
so wie sie bei den Verhandlungen in Minsk vereinbart worden war, an erster | |
Stelle. | |
„Nachhaltig wird ein Waffenstillstand in der Ostukraine nur sein, wenn | |
umgesetzt wird, was 2016 in Minsk vereinbart worden ist, nämlich eine | |
Entflechtung der Truppen auf mindestens zwei Kilometer und der Abzug der | |
schweren Geschütze auf mindestens 15 Kilometer.“ so Alexander Hug zur taz. | |
Er hofft, dass dieses Mal klappt, was seit 2016 Dutzende Male gescheitert | |
ist: eine funktionierende gesamte Entflechtung in Staniza Lugansk. Sicher | |
ist er sich nicht. „Solange kein nachhaltiger Waffenstillstand erreicht | |
ist, sind die kleineren, lokalen Waffenruhen als positives Zeichen zu | |
sehen. Diese werden vereinbart, um die Infrastruktur zu reparieren, Tote | |
zu bergen, Zivilisten über die Kontaktlinie zu lassen und humanitäre | |
Hilfsgüter zu liefern. Oder um eine Brücke zu reparieren. Lokale | |
Waffenruhen funktionieren auch, aber meistens nur für kurze Zeit.“ Derzeit | |
sei die Rhetorik der Seiten auf Frieden orientiert, so Hug. Deswegen gelte | |
es jetzt, die Gunst der Stunde zu nutzen. | |
## Neues Gipfeltreffen | |
Möglicherweise wird es schon bald ein neues [3][Gipfeltreffen der | |
Staatschefs des Normandie-Formats] geben. Dieses Format ist eine | |
Kontaktgruppe der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs, die im | |
Juni 2014 bei einem Gespräch der Staatschefs dieser Staaten gegründet | |
wurde. Ende der Woche hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski | |
für Juli ein Gipfeltreffen des Normandie-Formats angekündigt. Zuletzt | |
hatten sich die Staatschefs des Normandie-Formats 2016 in Berlin getroffen. | |
Hug hofft, dass eine funktionierende Entflechtung der schweren Waffen bei | |
Staniza Lugansk zu einem allgemeinen nachhaltigen Waffenstillstand führt. | |
Diesen gelte es dann mit politischen Maßnahmen zu festigen. Es sei für ihn | |
immer wieder ein ermutigendes Zeichen, so Hug, dass die Menschen vor Ort in | |
der Ostukraine keinen Hass gegen die Bewohner auf der anderen Seite hegten. | |
Jeden Tag überquerten bis zu 40.000 Menschen die Kontaktlinien, so Hug, und | |
das sei ein hoffnungsvolles Zeichen. So etwas passiere in anderen | |
Konflikten, die ethnisch oder anderweitig durch eine Gruppendynamik | |
getrieben würden, nicht. | |
Man müsse jedoch auch sehen, dass sich die Gesellschaften in den von | |
verschiedenen Machthabern kontrollierten Gebieten auseinanderentwickelten. | |
„Die Kinder in Donezk haben andere Lehrpläne als die Kinder in Kramatorsk, | |
obwohl alle Ukrainer sind. Die Menschen bezahlen mit unterschiedlichen | |
Währungen, hören verschiedene Nachrichten und feiern andere Feiertage.“ | |
Diese Entwicklung dürfe sich nicht verfestigen, seien doch die Bewohner von | |
Donezk und Kramatorsk Staatsbürger eines Landes. | |
Ein Schritt zur Festigung eines nachhaltigen Waffenstillstandes könnte, so | |
Hug, die Einrichtung einer Bahnverbindung von Kiew nach Donezk und Lugansk | |
sein. Dafür gibt es historische Vorbilder: Im Nordirland-Konflikt in den | |
80er Jahren trug der „Peace Train“ von Belfast nach Dublin, den Aktivisten | |
aufs Gleis gesetzt hatten, zu einer Verständigung zwischen den beiden | |
verfeindeten Seiten bei. | |
1 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Wahl-in-der-Ostukraine/!5549624 | |
[2] /Fuenf-Jahre-nach-der-Krim-Annexion/!5580865 | |
[3] /Gipfeltreffen-mit-Putin-in-Berlin/!5349457 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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