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# taz.de -- Krieg im Osten der Ukraine: Im Donbass nichts Neues
> Die Regierung in Kiew und Vertreter der Separatisten wollen sich auf die
> sogenannte Steinmeier-Formel geeinigt haben. Viel bringt das nicht.
Bild: Protest gegen eine Annäherung an die prorussischen Separatisten in Kiewe…
Gut eine Woche ist es her, dass die ukrainische Regierung und Vertreter der
Separatisten in der Ostukraine bekannt gaben, sich auf die sogenannte
Steinmeier-Formel geeinigt zu haben. Sie besagt, dass in den nicht von der
ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten Wahlen nach ukrainischem
Recht durchgeführt werden. Bescheinigt die OSZE den korrekten Ablauf, trete
automatisch ein Autonomiestatus für die Gebiete in Kraft.
In Deutschland wurde [1][die Einigung als Schritt auf dem Weg zu einer
Friedensvereinbarung für die umkämpfte Region gedeutet]. Die Vereinbarung
soll den Weg frei machen für ein Gipfeltreffen des ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenski mit Kremlherrscher Wladimir Putin. Das lange ruhende
sogenannte Normandie-Format unter Beteiligung Deutschlands und Frankreichs
soll wiederbelebt werden – vielleicht schon bald.
Unterdessen herrscht in Kiew vor allem Verunsicherung darüber, was die
Formel genau bedeutet. Proteste dagegen nehmen zu. Am Sonntag versammelten
sich schon 10.000 Demonstranten auf dem Maidan, um gegen das zu
protestieren, was sie als Kapitulation vor Russland auffassen. Die
Opposition um Expräsident Petro Poroschenko ist natürlich mittendrin. Der
im Frühjahr gewählte [2][Präsident Wolodymyr Selenski] bemüht sich die
Wogen zu glätten: Es werde „keine Wahlen in Anwesenheit russischer
Gewehrläufe“ geben. Er werde keine „roten Linien“ überschreiten, er sag…
aber nicht, was das bedeuten soll. Aus seiner Sicht muss die Ukraine die
Kontrolle über die Grenze zu Russland übernehmen, bevor gewählt wird.
## Für Optimismus zu früh
Doch für Optimismus ist es wohl leider zu früh. Denn wenn man es genau
betrachtet, wurde sich nicht wirklich auf etwas Neues geeinigt. Bereits im
Protokoll der ersten Minsker Friedensverhandlungen von September 2014 unter
Beteiligung Deutschland, Frankreichs und Russlands sind die Schritte
vorgesehen: Waffenstillstand, Truppenrückzug, Wahlen, Autonomie innerhalb
der Ukraine. Das ist also fünf Jahre her. Doch umgesetzt wurde kaum etwas
davon.
Die Minsker Vereinbarungen waren schon damals ein Papiertiger. Die Ukraine
hat sie nur im Angesicht einer drohenden militärischen Niederlage und einer
möglichen, groß angelegten Invasion durch die russische Armee
unterschrieben. Und auch die Separatisten hatten wenig Anreiz, sie
umzusetzen. Warum sollten sie auch Wahlen zulassen, die sie möglicherweise
verlieren?
Daran hat sich wenig geändert, außer dass die Ukraine nach fünf Jahren
kriegsmüde ist. Selenski setzt mit den Verhandlungen sein Wahlversprechen
um: Er hatte angekündigt, [3][den Krieg zu beenden,] wie, hat er nicht
gesagt. Von freien, fairen Wahlen im Donbas haben weder die
Separatistenfürsten vor Ort etwas noch der Zar in Moskau. Was man dort
unter Wahlen versteht, konnte man jüngst beobachten: Wer nicht auf Linie
ist, darf nicht antreten. Wer protestiert, kommt in den Knast. Der Kreml
könnte durch Wahlen seinen Einfluss verlieren, seine Statthalter in Donezk
und Luhansk ihre Pfründen.
Und Kiew? Solange in Donezk und Luhansk schwer bewaffnete Milizen das Sagen
haben, wären Wahlen dort eine Farce. Welcher proukrainische Politiker
sollte dort antreten? Wie sollten ukrainische Journalisten von den Wahlen
berichten? Wenn Kritik an den Separatisten oder Russland bedeuten kann,
dass sie anschließend in einem Kellerverlies landen, müssten sie schon
lebensmüde sein. Und dann gibt es noch 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge in
der Ukraine, die meisten aus dem Donbass. Sie sollten auch darüber
abstimmen können, wie es dort weitergeht. Wie das gehen soll, ist unklar.
Scheinwahlen, die nur die Separatistenregime legitimieren, würden der
Ukraine einen Teil ihrer Souveränität nehmen.
## Russland ist Konfliktpartei
Der grundlegende Fehler in der Vereinbarung liegt schon darin, mit wem sie
getroffen wurde. Denn eigentlich ist Russland weder Vermittler noch
Garantiemacht, sondern eine Konfliktpartei. Von Anfang an waren es
russische Militärs, die im Donbass die Fäden in der Hand hatten. Die
sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk werden aus Moskau finanziert
und mit Waffen ausgerüstet. Russland schickt seine Soldaten als „Urlauber“
in den Donbass und – wenn es militärisch opportun ist – auch ganze
Einheiten. Ohne Russland gibt es keinen Krieg im Donbass, ohne Russland
gibt es aber auch keine Lösung.
Für den Kreml ist zentral, dass der Konflikt dazu beiträgt, die Entwicklung
der Ukraine zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild mit wachsendem
Lebensstandard zu bremsen. Eine prosperierende, demokratische Ukraine ist
eine Bedrohung für das autokratische System in Russland.
## Sanktionen aufrechterhalten
Erst wenn der Kreml diese Interessen verliert, wird es Frieden im Donbass
geben. Europa könnte dazu beitragen, indem es die Kremlnomenklatur dort
trifft, wo es ihr am meisten wehtut: beim Geld. Dazu gehört der Stopp für
die ohnehin umweltpolitisch sinnlose Ostseepipeline Nord Stream 2. An den
Sanktionen muss festgehalten werden. Sie haben dem Kreml 2014 gezeigt, dass
seine Aggression kostspielig sein kann. Das bedeutet nicht, dass man mit
Russland nicht mehr reden soll, im Gegenteil. Der Punkt ist nur: Worüber?
Europa hat die Wahl, mit wem es Geschäfte macht. Europa ist vom russischen
Gas weniger abhängig als Russland vom europäischen Geld. Auch die Förderung
von Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Ukraine muss fortgesetzt
werden.
Aber auch die politische Klasse in der Ukraine müsste sich bewegen. Sie hat
viel Zeit vertrödelt: Trotz einiger Erfolge bei der Transparenz
öffentlicher Aufträge oder der Vermögensverhältnisse von Amtsträgern steckt
der Kampf gegen die Korruption fest. Statt die Wirtschaft zu öffnen und das
Freihandelsabkommen mit der EU besser zu nutzen, befinden sich wichtige
Wirtschaftszweige weiter in der Hand von Oligarchen. Auch der neue
Präsident hat dazu bisher kaum Konkretes zu bieten.
11 Oct 2019
## LINKS
[1] /Konflikt-in-der-Ostukraine/!5631040
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[3] /Krieg-in-der-Ostukraine/!5604076
## AUTOREN
Marco Zschieck
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