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# taz.de -- Krankenhäuser in Finanznot: Jede fünfte Klinik bedroht
> Vor allem kleinen Kliniken fehlt Geld. Die Krankenhausreform soll sie
> entlasten. Doch für viele wird Lauterbachs Gesetz zu spät kommen.
Bild: Alarmstufe Rot: Vielen Krankenhäuser droht noch vor Lauterbachs Reform d…
Berlin taz | Drei Krankenhäuser haben alleine im Juni in Deutschland
endgültig ihre Türen geschlossen: das Hegau-Bodensee-Klinikum Radolfzell,
die Paracelsus Klinik in Bad Ems und der Standort Annweiler des Klinikums
Landau-Südliche Weinstraße. Was an diesen drei kleinen Standorten passierte
– [1][ein Krankenhaus oder einzelne Abteilungen schließen, weil das Geld
fehlt] –, droht zahlreichen Krankenhäusern. Von insgesamt 1.887 ist laut
der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) etwa jedes vierte oder fünfte
von Insolvenz bedroht.
Die Pleite dräut vor allem kleinen Häusern, die mit sinkenden
Patient*innenzahlen kämpfen. Aber auch manche größeren Häuser sind in
einer finanziell prekären Lage: Die Kosten aller Kliniken steigen durch
Inflation und Energiekrise, während die Einnahmen stagnieren. Ein Ende der
Schließungswelle ist mittelfristig nicht in Sicht, obwohl die am
vergangenen Montag von den Gesundheitsminister:innen des Bundes und
der Länder vereinbarte Krankenhausreform Verbesserung bringen soll. Denn
sie wird für viele Kliniken zu spät kommen.
Trotzdem: Eine Krankenhausreform ist dringend notwendig. Darüber herrscht
Einigkeit bei Politik, Krankenhäusern und Angestellten. Unbestritten ist:
Deutschland gibt besonders viel Geld für Krankenhausbehandlungen aus,
erreicht damit aber im europäischen Vergleich nur mittelmäßige Qualität.
Doch das zu ändern, ist ein Mammutprojekt.
Die Krankenhausreform ist auch deswegen so kompliziert, weil sie sowohl die
Kompetenzen des Bundes als auch der Länder berührt, die sich die
Verantwortung für die Krankenhäuser teilen. Die Länder haben unter anderem
die Pflicht, notwendige Investitionen, beispielsweise in Gebäude,
Medizintechnik und Digitalisierung zu decken. Dieser kommen sie schon lange
nicht mehr ausreichend nach, was für viele Kliniken zusätzliche Geldsorgen
bedeutet.
## Lauterbach verspricht Entökonomisierung
Nach zähem Ringen um Inhalte und Kompetenzen, [2][rauften sich Bund und
Länder am Montag zusammen] und einigten sich auf ein [3][Eckpunktepapier].
Bei der Vorstellung sparte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
nicht mit großen Worten: „Das ist eine Revolution.“ Vor allem in Sachen
Qualität solle es deutliche Verbesserungen geben. Die Reform solle außerdem
Entökonomisierung bringen, versorgungsrelevante Häuser vor der Schließung
schützen.
Mit manchem von dem, was im Eckpunktepapier steht, sind die Krankenhäuser
nicht unzufrieden. Das neue Bezahlsystem würde sie tatsächlich von einem
gewissen ökonomischen Druck befreien. Bislang decken die Krankenhäuser ihre
Betriebskosten über [4][Fallpauschalen]. Grob funktioniert das System so:
Je mehr Behandlungen und je komplexer die Eingriffe, desto mehr Geld erhält
das Krankenhaus von den Krankenkassen. Das System gibt somit ökonomische
Anreize, möglichst viele, bestenfalls teure Behandlungen durchzuführen.
Mit der Reform soll sich das ändern. Krankenhäuser sollen ihre
Betriebskosten nur noch zu 40 Prozent durch Fallpauschalen bestreiten, die
restlichen 60 Prozent sollen sie über Vorhaltepauschalen erhalten. Diese
sollen Kliniken bekommen, wenn sie für die flächendeckende Versorgung der
Bevölkerung notwendig sind – unabhängig von der Anzahl der Behandlungen,
die sie durchführen. Das soll besonders kleinen Kliniken auf dem Land
helfen.
Außerdem werden einheitliche Leistungsgruppen mit Mindestvoraussetzungen –
wie Anzahl der jährlichen Behandlungen, technische und personelle
Ausstattung – definiert und den Krankenhäusern zugewiesen. Mit der
Einteilung in Leistungsgruppen soll die Qualität der medizinischen
Versorgung steigen: Nicht mehr jedes Krankenhaus soll alles anbieten,
komplexe Behandlungen sollen in besonders qualifizierten Krankenhäusern
durchgeführt werden. Die kleineren Einrichtungen sollen sich künftig auf
jene Eingriffe beschränken, die sie gut beherrschen.
## Gesetz wird erst in einigen Jahren wirken
Das Eckpunktepapier ist allerdings kein fertiges Gesetz, viele Details
fehlen noch: Über den Sommer will das Gesundheitsministerium den
Gesetzentwurf ausarbeiten. Ob die Länder dann immer noch mit im Boot sein
werden, ist eine spannende wie offene Frage. Nach Lauterbachs Vorstellungen
soll das neue Gesetz jedenfalls im Herbst von Bundestag und Bundesrat
verabschiedet werden. Anfang kommenden Jahres könnte es in Kraft treten.
Bis die Reform dann ihre Wirkung zeigt, werden noch einige Jahre ins Land
ziehen. Denn die Länder müssen das komplexe Gesetz zunächst in
Landeskrankenhausgesetze übertragen – Optimist*innen gehen von 2025
aus, Pessimist*innen rechnen eher mit 2028.
Lauterbach sagte am Montag, die Reform sei eine Existenzgarantie für
ländliche Krankenhäuser. Eine allgemeine Existenzgarantie für Krankenhäuser
ist sie aber nicht. So betont der Minister gleichfalls immer wieder,
[5][Überversorgung] müsse abgebaut werden. Das bedeutet in der Konsequenz
weitere Schließungen.
Unklar ist aber, wen es noch treffen wird. Bislang hat das
Gesundheitsministerium noch nicht veröffentlicht, wie viele und welche
Krankenhäuser schließen müssten, um auf der einen Seite die Überversorgung
abzubauen, auf der anderen die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Ungewiss bleibt also, wie die Krankenhauslandschaft aussehen wird, wenn die
Reform in einigen Jahren tatsächlich greift.
Für Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen
Krankenhausverbandes Deutschland, läuft der Abbau schon jetzt zu
unkontrolliert ab: „Es macht sprachlos, wie Minister Lauterbach
schulterzuckend in Kauf nimmt, dass wahllos Krankenhäuser in die Insolvenz
rutschen.“ Das beträfe auch Häuser, die für eine hochwertige, regionale
Versorgung wichtig seien. [6][Der Bund müsse den Kliniken jetzt schnell mit
nachhaltigen Finanzhilfen] unter die Arme greifen.
Kurzfristige Hilfen vom Bund sind aber unwahrscheinlich. Im Eckpunktepapier
steht zwar, dass eine zusätzliche Unterstützung geprüft werde, Lauterbach
macht aber wenig Hoffnung: Der Bund habe keinen Spielraum, das Geld sei zu
knapp.
## Die Linkspartei legt eigenes Konzept vor
„Diese Reform ist handwerklich so schlecht gemacht, dass sie den ganzen
Sektor verunsichert“, kritisierte Tobias Schulze, gesundheitspolitischer
Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. [7][Dringend benötigte
Fachkräfte] verließen schon jetzt den Gesundheitssektor,
Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften seien nicht an der Gestaltung
der Reform beteiligt gewesen. Diese sei explizit darauf ausgelegt, den
Krankenhaussektor zu verschlanken, Entökonomisierung sei dabei nur ein
Etikettenschwindel.
Die Linkspartei legte am Freitag ihr eigenes Konzept zur Krankenhausreform
vor. Darin fordert sie unter anderem, die Fallpauschalen komplett
abzuschaffen und stattdessen eine bedarfsgerechte kostendeckende
Finanzierung einzuführen. Der Bund müsse den Ländern dabei helfen, den
Investitionsstau der letzten Jahre auszuräumen. Ein neues
Finanzierungssystem müsse dafür Sorge tragen, dass alle medizinischen
Entscheidungen frei von jeglichem betriebswirtschaftlichem Kalkül wären.
Dazu sollten Krankenhäuser rekommunalisiert und gemeinwohl- statt
profitorientiert geführt werden. Für die flächendeckende wohnortsnahe
Versorgung sollen sektorenübergreifende kommunale Versorgungszentren
aufgebaut werden. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, will die Linkspartei
die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor verbessern. Es sei „höchste
Zeit für einen Systemwechsel in der Krankenhauspolitik, der sich am
Gemeinwohl orientiert und den ökonomischen Druck von den Krankenhäusern
nimmt“.
14 Jul 2023
## LINKS
[1] /SRH-Klinikum-in-Zeitz-schliesst-Geburtsstation/!5929295
[2] /Plaene-von-Karl-Lauterbach/!5943399
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K…
[4] https://www.deutschlandfunk.de/deutsches-gesundheitssystem-die-misere-der-k…
[5] /Gesundheitsoekonom-ueber-Krankenhausreform/!5933156
[6] /Krankenhausreform/!5938915
[7] /Fachkraeftemangel-in-der-Pflege/!5853092
## AUTOREN
Luisa Faust
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