# taz.de -- Ort wehrt sich gegen Klinik-Schließung: Die Axt angesetzt | |
> Das Krankenhaus St. Raphael in Ostercappeln muss schließen. Der marode | |
> Klinikverbund, zu dem es gehört, verkauft das den Anwohnern als gute | |
> Nachricht. | |
Bild: Knapp 2.000 Menschen auf dem Kirchplatz in Ostercappeln: Sie wollen die S… | |
Ostercappeln taz | Am 28. Juni ist die Kirche St. Lambertus der | |
niedersächsischen Gemeinde Ostercappeln brechend voll. 600 Menschen | |
verfolgen einen „Bürgerdialog“ zur Schließung des örtlichen Krankenhauses | |
St. Raphael (SRO). | |
Protest brandet auf. Christina Jaax, Geschäftsführerin des | |
Niels-Stensen-Klinikverbundes (NSK), zu dem das SRO gehört, hat einen | |
schweren Stand. | |
Am 6. Juli setzt der Protest sich fort. 2.000 Menschen sammeln sich zu | |
einer Demo, darunter SRO-Mitarbeitende in Dienstkleidung. Banner wie „Wir | |
retten Leben! Wer rettet uns?“ sind zu sehen. | |
Das 170-Betten-Haus bietet Hunderte Arbeitsplätze und betreut pro Jahr bis | |
zu 21.000 Patienten. „Wir sind bis zum 31.07.2025 weiterhin für Sie da“, | |
steht auf seiner Website. Danach werden seine Leistungen ins Christliche | |
Klinikum Melle (CKM) und ins Franziskus-Hospital Harderberg (FHH) | |
verlagert, beide Teil des Klinikverbundes und rund 30 Fahrminuten von | |
Ostercappeln entfernt. | |
## Kliniken geschlossen oder degradiert | |
Der Grund ist die [1][„Medizinstrategie 2028“] des NSK, 7.000 Mitarbeitende | |
stark, in Stadt und Landkreis Osnabrück, im Emsland. Sie zielt auf | |
Schwerpunktbildung. Deren Kern: der Maximalversorger Marienhospital | |
Osnabrück (MHO). | |
Neben dem St. Raphael in Ostercappeln werden die Geburtshilfe und | |
Gynäkologie in Melle und die Geburtshilfe in Harderberg geschlossen. | |
Leistungen des Osnabrücker Niels-Stensen-Standortes Natruper Holz werden | |
nach Osnabrück verlegt. Vor Kurzem hatte der NSK das Marienhospital | |
Ankum-Bersenbrück zum Regionalen Gesundheitszentrum degradiert. | |
Die geplante Schließung des Krankenhauses St. Raphael sei eine „historische | |
Fehlentscheidung“, schreibt Erik Ballmeyer (CDU), Ostercappelns | |
Bürgermeister, der taz. „Für die Gemeinde würde das einen erheblichen | |
Verlust an Kaufkraft, Lebensqualität und Vertrauen in politische | |
Entscheidungen bedeuten.“ | |
Ballmeyer ist kämpferisch: „Nach anfänglicher Ohnmacht und Ungläubigkeit | |
wechselt in der Öffentlichkeit die Wahrnehmung in Wut und Unverständnis.“ | |
## Kritik am Sanierungskonzept | |
Der Bürgerdialog habe „kein Vertrauen in den Sanierungsplan und die Zukunft | |
der Gesundheitsversorgung gebracht“, sagt Ballmeyer, der selbst mit auf dem | |
Podium stand. „Das kann man auch nicht erwarten, wenn man mit so einer | |
stringenten Linie den Bürgern gegenübertritt.“ | |
Aus Ballmeyers Sicht berücksichtigt das Sanierungskonzept nur | |
Betriebswirtschaftliches und Medizinstrategisches, „völlig eingeengt“. Und | |
selbst diese Aspekte hätten nicht überzeugend dargelegt werden können. | |
Ballmeyer hofft, „dass noch rechtzeitig erkannt wird, dass Alternativen zur | |
Schließung nicht ausreichend geprüft wurden“. | |
Die Gemeinde Ostercappeln habe sich angeboten, finanziell zur Stützung des | |
St.-Raphael-Krankenhauses beizutragen. „Das ist im Rahmen der Erstellung | |
des Sanierungskonzeptes nicht weiter betrachtet worden“, bedauert der | |
Bürgermeister. | |
## Radikaler Wandel des Klinikverbundes | |
Der radikale Wandel des Klinikverbundes hat eine Vorgeschichte. Ökonomisch | |
hänge der Verbund „am seidenen Faden“, sagt Landrätin Anna Kebschull | |
(Grüne) der taz. Sie war beim Bürgerdialog und bei der Demonstration dabei. | |
„Ich verstehe die Trauer, die Angst um die Daseinsvorsorge, die Sorge vor | |
längeren Wegen“, sagt die Landrätin. „Das Problem ist, wenn der NSK sich | |
nicht reformiert, gerät er als Ganzes ins Straucheln, und das wäre für | |
unsere Gesundheitsversorgung fatal.“ | |
Verantwortlich für die Insolvenzgefahr sei, so die Landrätin, die Politik | |
der letzten Jahrzehnte in Berlin, die Rahmenbedingung, dass eine Klinik ihr | |
Geld über Fallpauschalen erhält: „Die Finanzierung hat keine | |
Grundversorgung mitgedacht“, sagt Kebschull. „Man musste Behandlungen | |
bevorzugen, die viel Geld erlösen, ob sinnvoll oder nicht, die Kosten sind | |
explodiert, und die Folge war ein Kliniksterben.“ [2][Das | |
Bundesgesundheitsministerium will diese Fallpauschalen künftig durch eine | |
Vorhaltevergütung ersetzen, eine Grunddeckung]. | |
Es gelte jetzt, Ostercappeln als Gesundheitsstandort zu sichern. „Die | |
Gespräche, die wir dazu führen, gemeinsam mit den Bürgermeistern, der | |
Kreispolitik, dem Krankenhausträger, sind und werden intensiv“, sagt | |
Kebschull. „Wir haben wenig Zeit; je länger wir im luftleeren Raum hängen, | |
desto geringer wird das Vertrauen der Mitarbeitenden des NSK. Dann wandern | |
sie womöglich ab.“ Angesichts des derzeitigen Fachkräftemangels bestehe | |
darin das größte Risiko. | |
„Die Diskussion ist sehr verständlich, teils hochemotional“, sagt die | |
Landrätin. Wichtig sei es in dieser schwierigen Situation, sich nicht zu | |
bekämpfen, sondern gemeinsam eine Lösung zu suchen. | |
Das St.-Raphael-Krankenhaus habe „in den letzten Jahren ein negatives | |
Jahresergebnis von deutlich über einer Million Euro ausgewiesen“, schreibt | |
NSK-Sprecherin Ute Laumann der taz. Keine dramatische Zahl. Aber sie sei | |
auch nicht primär die Ursache der Schließung, so Laumann. | |
Es gehe „um die Notwendigkeit, ein verbundweit abgestimmtes | |
Sanierungskonzept mit der Bündelung von Leistungsbereichen an bestimmten | |
Standorten in der Region Osnabrück zu erreichen“. Beim verbundweiten | |
Defizit bleibt Laumann mit „in achtstelliger Millionenhöhe“ vage. | |
In der Tat funktioniert die Verlagerung des Ostercappelner Medizinangebots | |
nach Osnabrück und Melle nur, wenn die Belegschaft den Wandel mitmacht. Das | |
sei „der wesentliche Erfolgs- und damit auch Risikofaktor“ der Strategie | |
2028, räumt Laumann ein. Man sei aber „sehr zuversichtlich“. | |
Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht auszuschließen: „Wir gehen von | |
maximal 115 Kündigungen aus, davon maximal 70 am Standort Ostercappeln.“ | |
Ob die Reorganisation gelingt, ist auch eine Frage der Kommunikation. Statt | |
deutlicher den seidenen Faden zu erklären, behauptet der NSK, die | |
Schwerpunktbildung stärke die Qualität der Versorgung. „Wenn Kompetenzen | |
noch besser gebündelt werden, sichert das eine maximale | |
Behandlungsqualität“, verspricht Laumann. Aber der Kahlschlag in der Fläche | |
bleibt. | |
Der Um- und Ausbau des Marienhospitals Osnabrück, der das alles auffangen | |
soll, ist schon seit Jahren in Planung und teuer: 340 Millionen Euro seien | |
„im Gespräch“, sagt Laumann. Sie kommen vom Land Niedersachsen. Ab dem Jahr | |
2028 sollen eine Zentrale Notaufnahme, ein OP-Bereich mit 13 Sälen, eine | |
Intensivstation mit 72 High-Care-Betten, zwei Pflegestationen mit 136 | |
Betten für die Allgemeinpflege und eine Technikzentrale entstehen. | |
## Keine Übernahme durch den Staat | |
Eine Übernahme von Ostercappeln durch die öffentliche Hand ist nicht im | |
Gespräch. Die Schließung von Ostercappeln sei „integraler Bestandteil der | |
Medizinstrategie“, betont Laumann. Werde die Strategie nicht umgesetzt, | |
betrage das daraus entstehende Defizit für den NSK „mehr als 20 Millionen | |
Euro pro Jahr“. | |
Zu den NSK-Gesellschaftern gehört auch der Bischöfliche Stuhl zu Osnabrück | |
mit 41 Prozent. Dominicus Meier, ab Herbst [3][Osnabrücks neuer Bischof], | |
ist für die Frage der taz, wie es zusammenpasst, dass der Verbund sich in | |
seinem Leitbild als „christlich“ bezeichnet, zugleich aber die Versorgung | |
massiv einschränkt, noch nicht zuständig. | |
Der Bischöfliche Stuhl sehe, teilt Diözesanadministrator Johannes Wübbe der | |
taz zur NSK-Strategie mit, „keine Alternative zu den darin festgelegten | |
Maßnahmen“. Besonders bedauere man, „dass für den Klinikstandort | |
Ostercappeln keine zukunftsfähige Lösung gefunden werden konnte“. | |
L. (Name der Redaktion bekannt), niedergelassener Arzt aus dem Wittlager | |
Land, der auch für Kollegen spricht, betrachtet die möglichen Schließung | |
des St. Raphael mit „großer Sorge“, wie er der taz sagt. Es sei ein | |
Krankenhaus mit „hervorragender medizinischer Qualität“. Es bleibe leider | |
völlig unklar, wo dessen Patienten künftig versorgt werden sollen. | |
Die Medizinstrategie 2028 überzeuge nicht. Sie sei vor allem eine | |
Finanzstrategie, um der akuten finanziellen Not zu entgehen. „Wir | |
befürchten, dass die Versorgung unserer Patienten schlechter wird, | |
Wartezeiten massiv zunehmen, die verbleibenden Krankenhäuser mit dem | |
Zustrom der Patienten überfordert sein werden.“ | |
## Auf dem Land „unverzichtbar“ | |
Das St. Raphael sei nach Ansicht seiner Kollegen für die Menschen in der | |
[4][ländlichen Region] um Ostercappeln nicht verzichtbar, sagt L. Die | |
NSK-Geschäftsführung sei in der Pflicht, mit der Politik, den Kommunen, dem | |
Kreis und dem Land nach Möglichkeiten zu suchen, das Krankenhaus zu | |
erhalten. | |
Bürgermeister Ballmeyer sieht das genauso: „Diese Möglichkeit muss man sich | |
leisten wollen“, sagt er. | |
18 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.niels-stensen-kliniken.de/aktuelles/medizinstrategie.html | |
[2] /Lauterbach-stellt-Krankenhausreform-vor/!6016604 | |
[3] /Osnabruecker-Bischof-Bode-geht-endlich/!5921880 | |
[4] /Deutsche-Kliniken-in-der-Krise/!5998217 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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