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# taz.de -- Konservative Freikirchen in den USA: Gottes rechte Hand
> Konservative Freikirchen heizen Wahl- und Kulturkämpfe an. Linke sind
> Feinde, Donald Trump ist ihr Retter. Besuch bei der Dream City Church.
Bild: Die Anhänger der Dream City Church in Phoenix in den USA stehen hinter D…
Phoenix taz | Grinsend stellt der Pastor Ash Matthesius eine Frage ans
Publikum: „Was wäre, wenn der Prophet Jona ‚woke‘ gewesen wäre?“ [1][…
mit sensiblem Gerechtigkeitsbewusstsein] und „mit Skinny Jeans und Tattoos
auf dem Unterarm?“ Einige Mitglieder der Gemeinde der Dream City Church
schmunzeln über den Vergleich, den der junge Pastor von der breiten Bühne
der Kirche aus zieht.
Als Bibelvers hat Matthesius heute eine Parabel über den biblischen
Propheten Jona gewählt. Die baut er aus zu einem Exkurs über die Brandmauer
zwischen dem aufrechten Christentum und allem, was weltlich und verdorben
ist. Dabei wird er auch persönlich: „Da draußen mögen sie den ganzen
LGBTQ-Kram erzählen und dass das alles in Ordnung ist“, wettert er. „Doch
meinen Sohn werde ich mit anderen Werten erziehen.“
Dream City ist eine sogenannte Mega-Church, eine Megakirche, die allein im
Großraum von Phoenix, im US-Bundesstaat Arizona, fünf verschiedene Ableger
unterhält.
Der Hauptcampus, auf dem Ash Matthesius heute spricht, liegt an einem
Berghang inmitten von Vorstadtlandschaften. Kakteen und dorniges Gebüsch
wachsen um das Gelände mit seinem tempelartigen Hauptgebäude, der große
Parkplatz könnte auch zu einer Shoppingmall gehören. Rund 20.000 Mitglieder
besuchen regelmäßig die Gottesdienste von Dream City. An diesem Sonntag
sind in der Kirche nur ein paar hundert Menschen, Platz bietet der große
Saal für weit über 1.000.
## Unterstützung für Donald Trump
Evangelikale Christ:innen sind eine der stärksten Kräfte in der
US-amerikanischen Politik, und verfügen besonders in der Republikanischen
Partei über enormen Einfluss. Trotz [2][Donald Trumps] mehrfachen
Scheidungen und seinem eher taktischen Verhältnis zum Glauben zählen sie zu
seinen stärksten Unterstützer:innen. Der kürzlich gewählte Sprecher
des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, sowie der ehemalige Vizepräsident
Mike Pence gehören beide der konservativen Gruppe von
Glaubensgemeinschaften an, die das Recht auf Abtreibung und mehr
Selbstbestimmung für trans Personen mehrheitlich ablehnen.
Ash Matthesius trägt selbst eng anliegende Jeans und spielt in seiner
Predigt auf Netflix und eine beliebte Fastfood-Kette an. Mit seinen
blondierten und akkurat gegelten Haaren wirkt der Pastor mehr wie das
Mitglied einer Boyband als ein Prediger der alten Schule. Doch das, was
Matthesius erzählt, passt genauso gut in vergangene Zeiten. „Nicht alle
werden in den Himmel kommen“, sagt er ernst.
Für die Gemeinde werden solche Aussagen nichts Neues sein, denn die Kirche
macht keinen Hehl aus ihrer Haltung. Neben Veranstaltungen mit Titeln wie
„Männlichkeit maximieren“ und „Prächtige Frauen“ bietet Dream City au…
Platz für Redner:innen, die sich am äußeren rechten Rand der politischen
Landschaft bewegen. Influencer wie Charlie Kirk und Mike Lindell, die sich
im [3][verschwörungstheoretischen QAnon-Umfeld] bewegen, sind regelmäßig
auf den Bühnen der Kirche zu sehen. Mitglieder der Demokratischen Partei
und „woke“ Personen werden in Pamphleten und auf Internetseiten der Kirche
oftmals schlicht als „Feind“ beschrieben.
Im Kulturkampf, der in den USA wütet, verfügen Evangelikale mit ihren
großen Gemeinden und Organisationen über ein immenses
Mobilisierungspotential. Gruppen wie Moms for Liberty, die sich dafür
einsetzen, dass Themen wie Rassismus, Sklaverei und Homosexualität aus den
Schulen verbannt werden, sind eng an die Glaubensgemeinschaften gebunden.
[4][In der Anti-Abtreibungs-Bewegung stellen Evangelikale die weitaus
größte und finanzstärkste Kraft].
## Geldsammeln in Plastikeimern
Ihren Mitgliedern bietet Dream City dabei weitaus mehr als regelmäßige
Gottesdienste und Betkreise. Allein der Hauptcampus der Kirche verfügt über
eine Kinderbetreuung, ein Café sowie ein eigenes College, an dem im
Wortlaut der Website „die nächste Generation im Sinne von Christus“
geschult wird.
Wer möchte, kann die ganze Woche bei Dream City verbringen, Angebote gibt
es für jede Generation. Gottesdienste werden von einer 13-köpfigen Band
begleitet, ein Kamerakran hält das Geschehen für Gläubige fest, die das
Ganze per Stream von anderswo verfolgen möchten. Unterbrochen werden die
Predigten der verschiedenen Pastoren von Multimedia-Präsentationen, in
denen aufwendig produzierte Clips für Veranstaltungen der Kirche werben
oder Zuschauer:innen angehalten werden, an die Kirche zu spenden.
Während Freiwillige und Angestellte von Dream City mit Plastikeimern durch
die Reihen gehen, um Geld zu sammeln, bittet ein Pastor die Anwesenden,
ihre Geldumschläge in die Höhe zu halten „oder Ihre Handys, wenn Sie mobil
über unsere App spenden“.
Auch Lynn Roberson gehört zur Gemeinde von Dream City und kommt fast jeden
Sonntag zum Gottesdienst in Phoenix. Bei einem Gespräch auf dem Vorhof der
Kirche, der mit großen Solaranlagen ausgestattet ist, erzählt die adrette
Pensionärin, was sie so besonders an der Kirche findet. „Ich helfe zum
Beispiel beim Dream Center, da helfen wir Menschen, die versuchen, ihre
Drogensucht zu bekämpfen.“
Für Roberson sind politisches Engagement und Glaube eng miteinander
verbunden. Arizona gilt als politisch umkämpft, die Präsidentschaftswahl
zwischen Joe Biden und Donald Trump wurde maßgeblich durch Bidens knappen
Sieg bei der hiesigen Wählerschaft entschieden. Viele Anhänger der
Republikanischen Partei in Arizona glaubten den Resultaten nicht, der von
Republikanern dominierte Senat des Staates ordnete eine Neuauszählung an in
Maricopa County, dem Distrikt, zu dem Phoenix gehört. Auch Lynn Roberson
gehörte zu den Freiwilligen, die damals die Stimmzettel nachzählten. Obwohl
die von republikanischen Aktivisten geführte und mit der Nachzählung
beauftragte Firma keine Unregelmäßigkeiten nachweisen konnte, ist sich
Roberson bis heute sicher: „Da war irgendwas komisch.“
## Wie ein Soldat im Kampf
„Ich möchte mein Land zurückhaben“, antwortet Roberson auf die Frage,
welche politischen Ziele sie mit ihrem Aktivismus verfolgt. „Früher haben
wir unsere Türen nicht abgeschlossen, jetzt ist es überall viel
gefährlicher.“ Tatsächlich geht die Kriminalitätsrate in den USA seit
Jahren zurück, doch für Roberson sind es vor allem Neuankömmlinge, die das
Land unsicher machen. Von Phoenix sind es nur ein paar Stunden Autofahrt
zur Grenze mit Mexiko.
„Die Grenzen sind offen, wir haben keine Ahnung, wer zu uns rüberkommt.“
Barack Obamas Wahl zum Präsidenten im Jahr 2008 habe sie richtig
politisiert, sagt Roberson, während um sie herum die Vorbereitungen für den
nächsten Gottesdienst beginnen. Donald Trump wird sie im kommenden Jahr mit
Sicherheit unterstützen, erklärt sie lächelnd. „Mein Vater hat im Zweiten
Weltkrieg gekämpft, und ich fühle mich auch wie ein Soldat in diesem
Kampf.“
Laut dem Pew Research Center, einem Institut für Meinungsforschung in den
USA, identifizieren sich rund 67 Prozent aller Menschen in Arizona als
Christ:innen, rund ein Viertel von ihnen als Evangelikale. Auch Lynne Troup
gehört dazu und ist in Phoenix ebenfalls politisch aktiv. Nach der
gescheiterten Neuauszählung zur letzten Präsidentschaftswahl hat sich Troup
zuletzt für Kari Lake engagiert, eine Republikanerin, die Ende vergangenen
Jahres im Rennen um den Gouverneursposten [5][knapp gegen ihre
demokratische Kontrahentin gescheitert ist].
Die ehemalige Nachrichtensprecherin Lake wird als potenzielle Nachfolgerin
von Donald Trump gehandelt und behauptet bis heute, die Gouverneurswahl
gewonnen zu haben. Auch Lynne Troup ist überzeugt, dass manipuliert wurde.
„Lake hat gewonnen“, sagt sie im Gespräch mit der taz. Im kommenden Jahr
wird Kari Lake wieder für die Republikanische Partei antreten, diesmal für
einen Senatssitz.
## Die Freiheit die sie meinen
Für Troup gibt es kein wichtigeres Thema als das Abtreibungsverbot. „Das
ist für mich der Lackmustest, wenn es darum geht, mich für einen Kandidaten
zu entscheiden“, sagt sie. Troup begrüßt die jüngsten Entscheidungen des
Obersten Gerichtshofes, die das Recht auf Abtreibung kippten und privaten
Firmen das Recht zusicherten, ihre Dienstleistungen nicht für Menschen
verfügbar zu machen, wenn sie nicht mit deren sexueller Orientierung
einverstanden sind. Wie viele Konservative in den USA betont Troup die Idee
der Freiheit, wenn sie über ihre politischen Ideale spricht. Allerdings ist
ihre Vorstellung davon, wem diese Freiheit gebührt, stark begrenzt.
„Unser Land wurde auf den Idealen der Religionsfreiheit gegründet“, sagt
sie. Darauf angesprochen, ob diese Freiheiten auch für religiöse
Minderheiten oder LGBTQI Personen gelten sollte, winkt sie ab. „Ich finde
es nicht korrekt, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Vorlieben vom
Gesetz geschützt werden“, sagt sie. „Homosexualität ist eine Entscheidung,
die Leute werden bestimmt nicht so geboren.“ Ihre eigene
Religionsgemeinschaft hingegen sieht sie etlichen Gefahren ausgesetzt. „Ich
glaube, dass der judäo-christliche Glaube immer wieder angegriffen wird,
auch hier in den USA.“
Ein paar Tage nach dem Gespräch mit Lynn Robeson wird [6][der Evangelikale
Mike Johnson zum neuen Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt]. Per SMS
schreibt Robeson: „Mike Johnson sagt, er steht für Glauben, Familie und
Freiheit. Ob er diese Werte auch als Sprecher vertreten wird, wird sich
zeigen.“
In der Dream City Church kommt der Gottesdienst langsam zum Ende. Die
großen Bühnenlichter werden gedimmt, und ein paar der Musiker:innen
betreten die Bühne, um ein abschließendes Pop-Lied anzustimmen. Pastor Ash
Matthesius ruft die Anwesenden auf, zu seichten Klavierklängen ihre Hände
zu heben und Gott zu danken. Nochmal feuert er die Kongregation an, um für
Dream City zu spenden. „Das ist hier eine Kirche voller Liebe“, ruft er.
6 Nov 2023
## LINKS
[1] /Kampfbegriffe-der-Rechten/!5957354
[2] /Donald-Trump/!t5204455
[3] /QAnon/!t5708711
[4] /Abtreibungsrecht-in-den-USA/!5947057
[5] /Midterms-in-den-USA/!5894885
[6] /Vorsitzender-des-US-Repraesentantenhauses/!5966592
## AUTOREN
Johannes Streeck
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