# taz.de -- Klimawandel und Stadt: Das Grüne geht aufs Dach | |
> Das Konzept der Schwammstadt will die Folgen des Klimawandels abmildern. | |
> Doch grüne Dächer sind kein Ersatz für öffentliche Freiflächen. | |
Bild: Für Dachbegrünung gibt es seit August Geld | |
An der Tür der Haasestraße 3 klebt der Aufruf zum Klimastreik am 20. | |
September. „Zusammen mit Fridays for Future auf die Straßen“, steht darauf. | |
Wäre die Tür nicht abgeschlossen, könnte man hinaufsteigen aufs Dach der | |
Baugruppe Haasestraße. Auf 1.450 Quadratmetern ist dort zwischen Revaler | |
Straße und Simplonstraße ein Dachgarten entstanden, der im Oktober | |
vergangenen Jahres als „Berlins schönstes Gründach“ ausgezeichnet wurde. | |
„Dächer können mehr: Mit Kreativität und grünem Daumen holen sie die Natur | |
in die Stadt und werden so zu Erholungsorten. Dadurch wird Berlin | |
widerstandsfähiger gegen Wetterextreme“, sagte Berlins Senatorin für | |
Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther (Grüne), die in der Jury | |
saß. Seit August hat ihre Verwaltung auch das Förderprogramm „GründachPLUS… | |
mit einem Volumen von 2,7 Millionen Euro aufgelegt. „Grüne Dächer speichern | |
Regenwasser wie ein Schwamm“, so Günther. „Damit sind sie ein wichtiger | |
Baustein, um die Stadt an den Klimawandel anzupassen.“ | |
Der Klimawandel zeigt sich in Berlin nicht nur durch extreme Trockenheit, | |
sondern auch durch zahlreiche Starkregen. Im Juni musste der Flussbadpokal | |
abgesagt werden, weil die Kanalisation die Regenmengen nicht aufnehmen | |
konnte und in die Spree geleitet hatte. Zwar bauen die Wasserbetriebe | |
derzeit neue Rückhaltebecken wie etwa unter dem Mauerpark in Prenzlauer | |
Berg. Doch auch sie werden bei Starkregen immer wieder volllaufen. Um zu | |
verhindern, dass das Wasser in Gänze in die Kanalisation strömt, sollen nun | |
grüne Dächer, aber auch Mulden bei Neubauten helfen, es zu speichern. | |
Schwammstadt heißt dieses Konzept. | |
Ein Stadtteil, in dem schon heute viel Wasser zurückgehalten wird, ist die | |
Wissenschaftsstadt Adlershof. Beim Institut für Physik in der Newtonstraße | |
wird das Wasser auf dem Dach in Zisternen gesammelt und läuft dann an der | |
begrünten Fassade ab. Das kühlt zum einen, zum andern wird das | |
überschüssige Wasser in einem Teich gesammelt. „Wir brauchen eine sinnvolle | |
Nutzung von Regenwasser“, sagte der Sprecher der Berliner Wasserbetriebe, | |
Stephan Natz, bei einem Rundgang durch Adlershof schon vor zwei Jahren. In | |
Adlershof muss seit vergangenem Jahr jeder Bauherr nachweisen, wo und wie | |
er Regenwasser speichert, damit es nicht ungebremst in die Kanalisation | |
fließt. | |
Die letzte Bilanz über die Anzahl der Gründächer in Berlin stammt von 2017. | |
Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatten damals 18.368 von | |
insgesamt 604.865 Gebäuden inklusive Tiefgaragen eine begrünte Dachfläche | |
von mehr als zehn Quadratmetern. Auch wenn die Senatsverwaltung gerne die | |
Zahl von 400 Hektar Dachgrün in den Vordergrund stellt, was einer Fläche | |
von 400 Fußballfeldern entspreche, sind in Berlin nur 3 Prozent der Gebäude | |
begrünt. Immerhin hat Berlin damit Hamburg überholt, das bereits seit 2015 | |
grüne Dächern fördert. Dennoch sind dort derzeit nur 144 Hektar Dachfläche | |
begrünt. | |
Wer in Berlin das eigene Gebäude begrünen will, hat inzwischen auch einen | |
Ansprechpartner – die Berliner Regenwasseragentur, die das Land zusammen | |
mit den Wasserbetrieben 2018 gegründet hat. Bis zu 75 Prozent der Kosten, | |
höchstens aber 60.000 Euro können Eigentümer beantragen, abgewickelt wird | |
die Förderung dann von einer Tochter der Investitionsbank Berlin. Schon | |
bevor das Programm GründachPLUS am 21. August offiziell vorgestellt wurde, | |
gab es bereits zehn Anfragen pro Woche, sagt Wasserbetriebssprecher Natz. | |
Inzwischen pendeln die Anfragen zwischen zwei und zwanzig Anfragen | |
wöchentlich. | |
Grüne Dächer sind aber nur ein Baustein der Schwammstadt, wenn auch der, | |
der derzeit im Fokus steht. Will Berlin seine Klimaziele erreichen, müssten | |
aber mehr als nur 3 Prozent der Dächer begrünt werden. Um 40 Prozent will | |
Berlin seinen Co2-Ausstoß bis 2020 senken, um 60 Prozent bis 2030, um dann | |
2050 klimaneutral zu sein. | |
Selbst wenn das gelänge und mit der Schwammstadt Wasser gespeichert und die | |
Kanalisation entlastet wird, gibt es aber auch eine Schattenseite dieser | |
Verlagerung des Grüns vom öffentlichen Raum auf die Dächer. Auf Brachen | |
konnten alle lümmeln, Picknick machen oder den Hund Gassi führen. Auf | |
grünen Oasen wie in der Haasestraße können es nur die Bewohner der | |
Eigentumswohnungen. | |
19 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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