# taz.de -- Streitgespräch über Klimaaktivismus: „Es ist nicht das maximal … | |
> Für Clara Mayer von FFF kann es nicht schnell genug gehen mit dem | |
> Klimaschutz. Der Abgeordnete Georg Kössler muss die Grenzen des Machbaren | |
> ausloten. | |
Bild: „Gestikulieren Sie mal!“ Aktivistin und Grüner irgendwo zwischen Uma… | |
taz: Frau Mayer, Herr Kössler, wir führen seit Jahren die Debatte über | |
Klimaschutz, aber gerade hat die Zahl der Fluggäste in Berlin schon wieder | |
ein neues Rekordhoch erklommen. Führen wir nur eine Scheindebatte? | |
Clara Mayer: Es ist keine Scheindebatte. Ich denke, die Bevölkerung ist | |
durchaus sehr verängstigt, aber die Politik macht Scheinaktionen. Seit | |
Monaten werden wir von PolitikerInnen aus großen Teilen des politischen | |
Spektrums blind gelobt, wie toll wir das machen mit den Freitagsdemos – | |
aber erst vor wenigen Monaten hat der Bundesrat beschlossen, den Import von | |
Frackinggas aus dem USA zu erleichtern. In solche Dinge werden dann | |
Milliarden investiert, und uns AktivistInnen wird gesagt, es sei kein Geld | |
da, um so richtig in Erneuerbare Energien zu investieren. Das ist eine | |
Farce. Da haben wir das Gefühl, zu Tode umarmt zu werden, damit niemand | |
sich ändern muss. | |
Georg Kössler: Also die Grünen umarmen die Bewegung nicht, denn wer zu sehr | |
umarmt wird, kann nicht kritisch sein. Und wir brauchen eine kritische | |
Bewegung. Was die Flüge betrifft: Ich nehme wahr, dass sich die Debatte | |
schon massiv verschoben hat, auch wenn das noch nicht auf allen politischen | |
Ebenen angekommen ist. Bei meinen Eltern am Gartenzaun heißt es jetzt | |
schon: „Wie oft darf ich denn jetzt noch fliegen?“ Also die Frage ist noch | |
nicht „ob“, aber immerhin „wie oft“. Da eröffnet sich ein Raum, um | |
politisch mehr durchzusetzen. Für uns heißt das aber auch, sich nach den | |
ganzen Jahren des Förderns und der Anreize mal Ordnungspolitik zu trauen. | |
Das müssen ja nicht gleich Verbote sein, auch wenn ein Verbot von | |
Inlandsflügen mal debattiert werden könnte. Aber es könnte heißen, einen | |
gerechten CO2-Preis zu setzen oder Inlandsflüge von Berlin aus vielleicht | |
so zu bepreisen, dass die Menschen mit der Bahn fahren. | |
Mayer: Das klingt ja alles sehr schön. Aber wie stehen Sie eigentlich dazu, | |
dass Ihr Bundesprogramm nicht pariskonform ist? Es kann doch nicht sein, | |
dass ausgerechnet das Programm einer Partei, die sich mit Klima- und | |
Umweltschutz profiliert, den Kriterien der Pariser Klimakonferenz nicht | |
entspricht. Das ist doch ein Skandal! | |
Kössler: Mir ist es auch nicht genug. Wir haben einen Widerspruch zwischen | |
dem, was die Wissenschaft sagt, und dem, was aktuell technologisch und | |
politisch möglich ist, und diese Kluft wird leider immer noch größer. | |
Mayer: Aber Paris ist doch nicht einfach so ein netter Wunschtraum. Das | |
Klimaabkommen ist die oberste Grenze, unter der wir bleiben müssen, wenn | |
wir klimatechnisch überhaupt noch was retten wollen. | |
Kössler: Das ist auch uns völlig klar. Es gibt nur eben zwei Ansätze in der | |
Politik: zu sagen, was nötig ist, auch wenn man noch nicht weiß, wie man da | |
hinkommt, oder zu sagen, was möglich ist. Meine Partei war immer darauf | |
bedacht, das zu fordern, was maximal möglich ist. Was auch Grüne wie mich | |
frustriert, ist, dass das in puncto Klimaschutz nicht ausreicht. | |
Mayer: Aber es stimmt ja gar nicht, dass das das maximal Mögliche ist. Wir | |
werden von tausend WissenschaftlerInnen unterstützt, die sagen, dass wir | |
noch radikalere Dinge fordern könnten! | |
Kössler: Ich glaube, die Scientists for Future stimmen mit Fridays for | |
Future genauso wie ich überein, dass die Ziele richtig sind, und dass | |
Maßnahmen wie ein CO2-Preis von 180 Euro, wie ihn Fridays for Future | |
fordert, auch relativ zeitnah umzusetzen sind. Das heißt nicht, dass man | |
von heute auf morgen alles ohne Zielkonflikte erreichen kann. Man könnte | |
die Kohlekraftwerke in Berlin sofort ausstellen – aber dann hätte man in | |
gewissen Gegenden erst mal keine Heizung mehr. Man könnte die ganzen Autos | |
stehen lassen, dann würden manche Leute aber auch nicht mehr zur Arbeit | |
kommen. Da sind wir schon bei des Pudels Kern: Wir können das alles gerne | |
debattieren, aber wir müssen auch klar sagen, was die Zielkonflikte sind. | |
Da gibt es auch Verliererinnen und Verlierer. Fridays for Future muss das | |
nicht benennen, aber ich fände es ehrlicher. | |
Mayer: Dass es die Konflikte gibt, ist ja nicht zu bestreiten. Aber ich | |
finde es sehr schade, dass es immer diese VerliererInnendebatte gibt, da | |
habe ich das Gefühl, das ist eher AfD-Niveau. So von wegen: Der Klimaschutz | |
wird einen Großteil der Bevölkerung total benachteiligen und die arbeitende | |
Bevölkerung ins Unglück stürzen. Das ist doch kompletter Unsinn. Es gibt so | |
viele Studien, die zeigen, dass es unserer Wirtschaft auch mit | |
Klimaschutzmaßnahmen besser gehen wird, dass es auch für Kohlekumpel | |
Umschulungen gibt, dass es für diese Menschen Beschäftigung gibt. Das | |
soziale Argument sehe ich als Scheinargument für die Leute, die es im | |
letzten Jahr nicht geschafft haben, etwas zu verändern. | |
Dass es der Wirtschaft besser geht, sagen Sie. Um es gleich mal auf die | |
Spitze zu treiben: Dürfen wir überhaupt noch Wirtschaftswachstum zulassen? | |
Müsste es aus einer so radikalen Position wie der von Fridays for Future | |
nicht eher darum gehen, zu schrumpfen? | |
Mayer: Also erst einmal sind die Positionen von Fridays for Future nicht | |
radikal, sondern lebensnotwendig. Damit stehen wir gesellschaftlich in der | |
Mitte. Ich denke, Wachstum muss man anders definieren. Die Frage muss sein, | |
wie können wir ein fairer, nachhaltiger Staat werden und im Vergleich zu | |
anderen Ländern dabei Spitzenreiter sein? Die allgemeine Definition von | |
Wachstum, die wir derzeit haben, ist eine sehr verquere. | |
Die Grünen haben ihre Wachstumskritik ja irgendwo in den neunziger Jahren | |
vergessen. | |
Kössler: Ich will jetzt nicht zu weit in diese Debatte einsteigen, aber ich | |
persönlich finde, dass wir eine Abkehr vom Wachstum brauchen. Ob das jetzt | |
eine Postwachstumsökonomie ist oder eine kontrollierte Schrumpfung oder | |
eine Steady-State-Economy mit minimalem Wachstum. Da identifizieren die | |
Grünen ja bereits die kleinen Stellschrauben, die schon jetzt möglich sind, | |
wie die Abkehr vom Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Entwicklung. Wir | |
haben als Grüne auch dank Fridays for Future in den letzten Jahren gemerkt, | |
dass wir zwar immer noch auf dem richtigen Weg, aber viel zu langsam sind. | |
Ich ziehe mir die Kritik also nur so halb an. Die Frage ist, wie man das | |
beschleunigt. Ich bin immer jemand gewesen, der für schnelleres Vorgehen | |
steht, das Ziel Kohleausstieg 2030 habe ich selber eingebracht und | |
erstritten. Wenn jetzt aber einige über 2025 reden wollen, sage ich:Wir | |
müssen jetzt auch mal über Strukturen reden. | |
Heißt? | |
Kössler: Zum Beispiel haben wir in Berlin Probleme damit, Solaranlagen auf | |
öffentliche Dächer zu bauen oder faire Computermäuse für die Verwaltung zu | |
bestellen, weil die Landeshaushaltsordnung sagt, dass es immer die | |
billigste Lösung sein muss. Ohne CO2-Preis kommen wir da also nicht weiter. | |
So was gibt's natürlich auch auf Bundesebene. Auch die Schwarze Null muss | |
weg. | |
Sie haben mal gesagt: „Fridays for Future war ein Arschtritt, jetzt ist die | |
Zeit der Trippelschritte vorbei.“ Wo sind die ausladenden Schritte von | |
Rot-Rot-Grün? | |
Kössler: Das meinte ich ja gerade: Wir zögern in Berlin, ein | |
ambitionierteres Klimaziel auszurufen. Das debattieren wir ja in der | |
Koalition und teilweise auch öffentlich und auf den Grünen Parteitagen. | |
Gerade hat die grüne Frauen-Vollversammlung das noch mal beschlossen. Aber | |
einen Klimanotstand auszurufen und die Zielzahlen anzuerkennen, reicht | |
nicht, man muss konkret etwas machen. Ich will zum Beispiel auch einen | |
Klimavorbehalt, der zumindest für alle größeren Gesetze gilt. | |
Mayer: Dafür sind wir auch. | |
Kössler: Das haben Sie ja auch in die Debatte gebracht, und das ist super. | |
Im Übrigen sind Forderungen, wie den Klimaschutz ins Grundgesetz | |
aufzunehmen, ganz sicher nicht schädlich, auch wenn die CDU das will. Aber | |
ich habe wirklich Angst, dass der ganze Drive jetzt nur für schöne | |
Deklarationen genutzt wird, und am Ende laufen wir noch viel tiefer unter | |
der Latte durch. Da muss mehr kommen. | |
Mayer: Deswegen ist es ja auch gut, dass wir weiter freitags streiken und | |
nicht sagen: „Oh, jetzt haben wir die Debatte angestoßen, tschüssi, wir | |
sehen uns in der Schule.“ Dass wir uns genau anschauen, was ihr da auch in | |
Reaktion auf uns produziert. Ich finde es gar nicht so gut, dass uns viele | |
Leute weiterhin nur als Arschtritt verstehen, der das Ganze gestartet hat, | |
und nicht als echte Interessengruppe, die ein einflussreiches Auge auf die | |
Politik behält. Am Anfang wurden wir belächelt, wir waren die süßen | |
Fridays, mit denen man mal posieren kann – das hat ja mittlerweile ein | |
Ende, auch nach den Ergebnissen der Europawahl. Jetzt werden wir den | |
Einfluss, den wir als Kinder und Jugendlich haben, weiter nutzen, werden | |
Regierung und Parteien durchgehend factchecken und nicht zu Hause | |
herumsitzen. | |
Kössler: Und das ist großartig. Auch großartig fand ich, dass Fridays for | |
Future dann konkrete Forderungen auf den Tisch gelegt hat, dass es konkret | |
wurde, dann die Unterstützung durch Parents for Future, Scientists for | |
Future, das war alles ideal. Das ist keine Partei, sondern eine Bewegung, | |
aber die macht jetzt richtig Dampf von der richtigen Seite … Ich als Grüner | |
will ja Druck bekommen, der ist sonst nämlich relativ gering. Wir waren | |
lange in der paradoxen Situation, dass sie vielleicht noch nicht das | |
gefordert haben, was die Wissenschaft heute für unabdingbar hält, aber | |
trotzdem mehr als die meisten Umwelt-NGOs. Wenn ich an den WWF denke, | |
Greenpeace oder die Kohlekommission – das war ja alles viel zu wenig. Da | |
mussten wir uns als Grüne überlegen, ob wir die Öko-NGOs links überholen. | |
Jetzt gibt es endlich einen Akteur, der sagt: Das und das sagt die | |
Wissenschaft, und auch ihr müsst euch noch ein bisschen strecken. | |
Mayer: Genau. Politik wird heute auf der Straße gemacht. Die Parteien sind | |
heute eigentlich nicht in der Lage etwas zu fordern, was radikaler oder | |
alternativer ist. | |
Kössler: Wir haben das punktuell beim Kohleausstieg gesehen, bei den | |
Klimacamps, die ich auch mitorganisiert habe, bei Ende Gelände. Das hat den | |
Diskursraum geöffnet, da haben die Grünen dann natürlich auch mitgemacht | |
und auch die Umweltverbände. Als sich dann die Frage stellte, was als | |
Nächstes kommt – Bäm! – kam Fridays for Future und sagte: Lasst uns nicht | |
alle Energieträger einzeln durchgehen, sondern das Thema Klimaschutz | |
wirklich breit diskutieren. | |
Mayer: Ja, Fridays for Future hat die Klimakrise und Klimapolitik in einem | |
viel größeren Zusammenhang aufgegriffen. Vorher war das immer so ein | |
bisschen Akupunktur-Klimapolitik: Man verbietet hier mal Plastiktüten, man | |
reduziert da mal Strohhalme, aber es war nie allumfassend. Jetzt denkt man | |
über einen Klimaschutz nach, der einfach alle Aspekte umfasst. | |
Kössler: Es soll jetzt keine Entschuldigung sein, aber natürlich haben wir | |
Grüne das tief im Innern immer gehofft. Ich glaube nicht, dass die Grünen | |
jetzt radikaler geworden sind, auch nicht die Realos, sie trauen sich aber | |
jetzt, zu sagen was sie denken. | |
Mayer: Wobei ich anmerken muss, dass wir trotzdem nicht als Bewegung von | |
der links-grünen Seite geframt werden wollen. Wir sagen, Klimaschutz ist | |
ein überparteiliches Thema der Mitte. Deswegen freuen wir uns, dass wir | |
jetzt zum Beispiel die Initiative Care for Future haben, die an den | |
Freitagen eine relativ großen Block hat und auch selbst vor der Charité | |
streikt. Das ist eine Vereinigung von ÄrztInnen und Pflegekräften, die | |
sagen: Diese Krise ist auch gesundheitlich ein Problem. Leute, die aus der | |
Mitte der Gesellschaft kommen und sagen: Hört mal, wir mit unserem | |
Fachwissen sehen, dass wir hier etwas total Schädliches tun. Es ist | |
unglaublich relevant, dass wir andere Teile der Gesellschaft abholen, die | |
uns offen unterstützen. | |
Was stört Sie so am Label „links“? | |
Mayer: Ich würde mich selber als links und grün bezeichnen, und das ist | |
eine Einstellung, die ich auch bei anderen gerne sehe. Aber es gibt Leute, | |
die etwas konservativer drauf sind, die vor dem Thema Klimaschutz | |
zurückschrecken, wenn es in die links-grüne Ecke gedrängt wird. Und das | |
Thema muss von allen Seiten gepusht werden. | |
Sie, Herr Kössler, sind persönlich nun wirklich nah an der Bewegung. Aber | |
angefangen von den beiden Senatorinnen Ihrer Partei hört man sonst vor | |
allem Pragmatisches und wenig – jetzt sind wir schon wieder bei dem Wort – | |
Radikales. Wenn Sie sich die Forderungen der AktivistInnen zueigen machen, | |
verdreht man da in Fraktionskreisen oder Koalitionsrunden die Augen? | |
Kössler: Vielleicht, aber dann vor allem mit dem Argument, dass wir doch | |
genug Baustellen in Berlin haben. Was einerseits stimmt. Andererseits: Das | |
hier ist die wichtigste Baustelle, und deswegen versuchen wir ja jetzt, | |
indem wir Fridays for Future zum Ansporn nehmen, die Sachen, die wir eh | |
schon auf dem Zettel hatten, noch in dieser Legislaturperiode zu machen. | |
Man guckt ja politisch immer, was machen wir sofort und was sind | |
mittelfristige Projekte. Und jetzt versuchen wir, ein paar Sachen nach | |
vorne zu ziehen, etwa die Solarpflicht, die wir beschlossen haben und die | |
mittlerweile auch die Linken mittragen. Das ist eine kleine Maßnahme, aber | |
ich hoffe, es ist eine Sache, die wir noch in dieser Legislatur | |
durchkriegen. Das wäre das erste Mal Ordnungspolitik, etwas Handfestes. | |
Dabei geht es um die verpflichtende Ausstattung von Neubauten mit | |
Photovoltaik oder Solarthermie. Ist das nicht viel zu wenig, nur im Neubau? | |
Kössler: Ich würde das auch gerne im Bestand haben. | |
Mayer: Wir plädieren immer dafür, die Energieversorgung lokal zu regeln. | |
Beim weit entfernt gelegenen Kohlekraftwerk ist es viel einfacher zu sagen, | |
das interessiert mich nicht. Für eine Anlage vor Ort ist man selbst | |
verantwortlich, moralisch und auch einfach als Anwohner. Da wählt man dann | |
einfach die klimafreundlichere Methode. | |
Gerade wurde die Machbarkeitsstudie präsentiert, die einen möglichen | |
Kohleausstieg durch Vattenfall bis 2030 vorzeichnet. Wie jetzt klar wurde, | |
bedeutet das aber erst mal den Umstieg auf einen lediglich etwas weniger | |
klimaschädlichen fossilen Energieträger, nämlich Erdgas. Geht so | |
rot-rot-grüne Politik? Man will ganz viel und bekommt dann nur ein | |
bisschen? | |
Kössler: Bislang liegen ja nur die Eckpunkte der Studie vor, insofern sage | |
ich es mit einem gewissen Vorbehalt – aber für mich war das einer der | |
bislang ernüchterndsten Momente als in die Politik gegangener | |
Klimaaktivist. Wir haben die Ressorts, wir haben die Beschlüsse – | |
Kohleausstieg bis 2030 –, wir haben eine gute Wirtschaftslage und mit | |
Vattenfall sogar einen Energieversorger, der nicht mehr ganz so schlimm ist | |
wie früher. Immerhin sagen sie, sie machen da mit. Die Ausgangslage hätte | |
also wirklich schlechter sein können. Trotzdem werden wir jetzt wohl die | |
Brücke Erdgas, die wir umgehen wollten, benötigen. Das ist wahnsinnig | |
frustrierend. Was ich gut finde, sind zwei Schalthebel, die Regine Günther | |
da reingebracht hat: einmal Power-to-Heat, sprich: Wenn genug Strom aus | |
Erneuerbaren im Netz ist, wird mit dem Überschuss Wärme erzeugt und das | |
Graskraftwerk abgeschaltet. Das zweite ist die Absenkung der Temperatur im | |
Fernwärmenetz. Das, gepaart mit einer Solarpflicht, wird mehr dezentrale | |
Solarthermie bedeuten. Ich will, dass das Gaskraftwerk so selten läuft wie | |
möglich, auch wenn Vattenfall das nicht so gerne hören wird. | |
Frau Mayer, wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Bewegung? Irgendwann kommt doch | |
der Punkt, wo man das Engagement in festere Strukturen überführen muss, | |
dann wird ein Verein gegründet oder eine Partei, dann steigen die ersten | |
aus … | |
Mayer: Also gerade kommen immer noch ganz viele dazu. Das liegt vor allem | |
daran, dass große Teile der Gesellschaft Fridays for Future erst langsam | |
als etwas wahrnehmen, an dem sie teilhaben können. Dass wir mal eine Partei | |
oder ein Verein werden, hoffe ich nicht. Weil wir ja gerade das so | |
frustrierend finden, dass die Parteien und Organisationen nicht so | |
pariskonform gehandelt haben, wie es wissenschaftlich und moralisch nötig | |
gewesen wäre. Ich hoffe, wir bleiben, wie wir sind, dann haben wir die | |
meiste Power. | |
Herr Kössler, Sie haben genickt, wünschen Sie sich nicht, dass die ganzen | |
AktivistInnen bei den Grünen eintreten und den Laden aufmischen? | |
Kössler: (lacht) Um Gottes Willen! Nein, ich will, dass die auch in die | |
anderen Parteien gehen und in die Breite wirken. Der Punkt ist doch: Der | |
berühmte Grünen-Slogan „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt�… | |
war ein moralischer Appell von Erwachsenen an Erwachsene, und mit Fridays | |
for Future sind jetzt endlich diese Kinder selber da und sagen: Hier sind | |
wir. Das muss und soll gar nicht in Parteistrukturen aufgehen, denn eine | |
Partei macht auch älter, das sieht man ja bei mir. | |
Mayer: Ich finde an Fridays for Future faszinierend, wie sich Leute daran | |
total verändert haben, das habe ich bei mir und bei anderen beobachtet. Da | |
kommen 12-Jährige, die eine Doku über Eisbären gesehen haben und sagen: Ich | |
will nicht, dass die sterben! Und ein halbes Jahr später können die einem | |
auseinanderfriemeln, wo es in Deutschland und global beim Klimaschutz hakt. | |
Wir hören jetzt ständig Aussagen wie „Es gibt nur noch wenige Monate zum | |
Handeln, sonst ist es zu spät.“ Wie lange kann man mit der Apokalypse | |
drohen, ohne dass es unglaubwürdig wird? | |
Mayer: Aber es ist wirklich so! Ich arbeite in einem Krankenhaus. Wenn da | |
ein Patient mit starken Blutungen kommt, sagen wir: Wir müssen ganz schnell | |
handeln, sonst ist es zu spät. Und wenn der Patient sich weigert oder sonst | |
etwas dazwischenkommt, versuchen wir natürlich auch noch 15 Minuten später | |
einzugreifen. Obwohl wir wissen, dass es eigentlich zu spät ist. Null | |
Prozent Chancen haben wir nur, wenn wir gar nicht handeln. Für das Klima | |
ist es in drei Jahren wirklich zu spät, deshalb brauchen wir jetzt jeden | |
auf der Straße. | |
Kössler: Ich glaube, wir hätten vor einigen Jahrzehnten die Chance gehabt, | |
Klimaschutz als reines Win-Win zu machen. Massive Investitionen in | |
Erneuerbare Energien, tolle neue Jobs, am Ende geht es allen noch besser. | |
Inzwischen sind wir an einem Punkt, wo es Zielkonflikte und | |
Verteilungsfragen gibt. Natürlich gibt es auch noch ganz viele Chancen, | |
aber ja, wir werden Leuten etwas wegnehmen. Ich würde es gerne denen | |
wegnehmen, bei denen ein Großteil des Vermögens liegt. | |
Ist so eine Aussage in Ihrer Fraktion mehrheitsfähig? | |
Kössler: Ja. Die, die mehr leisten können, müssen das beim Klimaschutz auch | |
tun. Und ich glaube, dass Umverteilung sein muss und man das auch begründen | |
kann. Man muss es halt gut machen. Eine Vermögenssteuer, eine gerechtere | |
Einkommenssteuer, eine starke Erbschaftssteuer, alle würden der | |
Gemeinschaft viel Geld bringen, und sie sind mehrheitsfähig in diesem Land. | |
Die soziale Frage wird man nicht über Klimapolitik lösen können, sondern | |
über gerechtere Steuer- und Sozialpolitik. Wenn wir warten, rennen wir in | |
ein System hinein, das vielleicht nicht mehr demokratisch zu organisieren | |
ist. Ich habe Angst, dass auch Rechtspopulisten dann merken, dass | |
Klimaschutz Sinn macht, und totalitäre Konzepte entwickeln. Das könnte | |
schon in zehn Jahren der Fall sein. | |
Mayer: Fridays for Future betont immer, dass Klimagerechtigkeit ohne | |
soziale Gerechtigkeit nicht zu erreichen ist. | |
Kössler: Ja, zu Recht, und es sollte es einer der Punkte sein, der in den | |
nächsten Jahren noch weiterentwickelt wird. Dass Themen wie | |
Steuergerechtigkeit und Klimaschutz mehr miteinander verwoben werden, so | |
wir jetzt schon Feminismus und Klimaschutz. Vielleicht legen Fridays for | |
Future dann auch mal steuerpolitische Forderungen vor. | |
Ist es eigentlich nicht frustrierend sich vorzustellen, dass es weltweit | |
überhaupt keinen Unterschied macht, ob wir uns hier in Berlin | |
klimaschutzmäßig auf den Kopf stellen? | |
Mayer: Natürlich muss man das global sehen. Zu sagen, das kleine Berlin | |
muss jetzt die Welt retten, macht wirklich keinen Sinn. Aber: Berlin ist | |
eine moderne, hippe und international sehr beliebte Stadt. Wenn Berlin beim | |
Klimaschutz den Vorreiter macht, werden viele Städte versuchen, da | |
nachzuziehen. Der Aspekt der Klimaneutralität ist einfach auch ein | |
Statussymbol geworden, und ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn alle | |
das haben wollen. | |
19 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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