# taz.de -- Studie zum Kohleausstieg: Gas ist auch keine Alternative | |
> Berlins Fernwärmeerzeugung soll bis 2030 kohlefrei werden. So richtig | |
> überzeugen kann das Konzept noch nicht. Ein Wochenkommentar. | |
Bild: Kohle macht schön warm – letztlich auch das globale Klima | |
Wärme ist was Schönes, und trotz Klimawandel beginnt jetzt wieder die Zeit, | |
in der wir behagliche Temperaturen selbst herstellen müssen. Sei es durch | |
Einrollen in flauschige Bettwäsche oder beherztes Aufdrehen des | |
Thermostats. Während Ersteres jedoch weitgehend klimaneutral vonstatten | |
geht, saugt das heiße Wasser, das durch die Rippen des Heizkörpers fließt, | |
kräftig an unser aller CO2-Budget. | |
Lange haben wir in Sachen fossiler Energie und Kohlendioxid vor allem an | |
Strom gedacht, mittlerweile ist auch der Verkehr als CO2-Schleuder | |
notorisch geworden. Dass der Komplex Wärme – zu dem neben Heizung natürlich | |
auch das warme Wasser in Bad und Küche zählt – beides locker toppt, ist | |
noch nicht so bekannt. Aber Raumwärme und Warmwasser machen tatsächlich | |
nicht weniger als 60 Prozent des Berliner Gesamtenergieverbrauchs aus. | |
Immerhin ein Viertel aller Wärme wird in Berlin in Form von Fernwärme | |
produziert – zum allergrößten Teil von der Vattenfall-Tochter VWB. Die | |
wiederum betreibt mit Reuter, Reuter West und Moabit die drei letzten | |
Berliner Steinkohle-Kraftwerke (die zugleich Strom erzeugen). Und jetzt | |
kommt's: Nur diese drei CO2-Schleudern sind verantwortlich für 18 Prozent, | |
also fast ein Fünftel aller Berliner Kohlendioxid-Emissionen. Ein | |
gewaltiger Anteil. | |
Gut, dass Rot-Rot-Grün auf dieser Baustelle tätig ist. Am vergangenen | |
Montag wurde die lange erwartete [1][Machbarkeitsstudie präsentiert], die | |
der Senat zusammen mit VWB hat erstellen lassen. Sie sollte klären, ob und | |
wie Berlin bis 2030 aus der Steinkohle aussteigen kann, ohne dass es in den | |
Wohnzimmern und Badewannen der NutzerInnen kalt wird. | |
## Ernüchterndes Ergebnis | |
Das Ergebnis? Eher ernüchternd: Auch bei Ausbau aller erneuerbaren | |
Alternativen müsste ein großer Teil der Energiemenge, die heute aus der | |
Kohle kommt, ab 2030 aus Erdgas kommen – sagen die MacherInnen der Studie. | |
Erst bis 2050 könne man sich dank synthetischem Gas und Wasserstoff ganz | |
von fossilen Energieträgern verabschieden. Was wiederum auch nur ein | |
Versprechen ist, denn die Investitionsentscheidungen von Vattenfall werden | |
nicht im Roten Rathaus oder am Köllnischen Park, im Haus der | |
Klimaschutzsenatorin, getroffen. | |
Leider ist das Thema auch komplizierter, als es auf den ersten Blick | |
scheinen mag. Viele politische, ökonomische und technische Faktoren spielen | |
hinein, von der Höhe eines künftigen CO2-Preises über das Tempo bei der | |
Gebäudedämmung bis zur Entwicklung der Marktanteile von zentraler und | |
dezentraler Wärmeerzeugung. Und: Laut Studie senkt die Umstellung auf Gas | |
und Erneuerbare bei der Kohle-Fernwärme die CO2-Bilanz Berlins um 13 | |
Prozent. Das Klimagas könnte dafür aber woanders entstehen – etwa weil das | |
noch zu bauende Berliner Gaskraftwerk nicht ausreichend Strom produziert | |
und der womöglich aus der Lausitz importiert wird. | |
Bleibt zu hoffen, dass die Klimaschutz-AkteurInnen – die auch schon im | |
sogenannten Begleitkreis zur Studie mitgemischt haben – gut am Ball | |
bleiben. Und dass der politische Druck auf Bundes- und europäischer Ebene | |
ausreichend gesteigert wird, etwa durch eine saftige CO2-Besteuerung. Bis | |
dahin können wir immerhin die Heizung ein paar Grad runterdrehen und den | |
morgendlichen Duschmarathon ein bisschen verkürzen. Die warme Decke bleibt | |
uns ja erhalten. | |
21 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/senuvk/klimaschutz/kohleausstieg/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Kohleausstieg | |
Vattenfall | |
Fernwärme | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Autoverkehr | |
Grüne Berlin | |
Kohleausstieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fahrradtour für Klimagerechtigkeit: Critical Mass gegen Gas | |
Gas ist nicht weniger umweltschädlich als Kohle, warnt die Organisation | |
Gastivists. Sie machen am 28. September eine Fahrradtour zur Gas-Pipeline. | |
Pro und Contra zur autofreien Innenstadt: Wie sozial ist das denn? | |
Das Ringen um den Raum auf der Straße ist auch ein Kulturkampf. Aber: Ist | |
die autofreie Stadt überhaupt sozialverträglich? | |
Streitgespräch über Klimaaktivismus: „Es ist nicht das maximal Mögliche“ | |
Für Clara Mayer von FFF kann es nicht schnell genug gehen mit dem | |
Klimaschutz. Der Abgeordnete Georg Kössler muss die Grenzen des Machbaren | |
ausloten. | |
Kohleausstieg in Berlin: Kohleausstieg mit Hindernissen | |
Am Montag wurde die lang erwartete „Machbarkeitsstudie Kohleausstieg“ | |
vorgestellt – selbst das beste Szenario ist KlimaaktivistInnen nicht gut | |
genug. |