Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regen ohne Ende: Die Natur schlägt zurück
> Vor 20 Jahren erreichte das Oderhochwasser seinen Höhepunkt. Dieses Jahr
> versinkt Berlin im Regen. Was hat beides miteinander zu tun?
Bild: Haus unter. In Berlin oder an der Oder?
Es regnet und regnet und regnet. Von Januar bis Mittwoch, 12 Uhr, sind in
Dahlem genau 514,2 Liter pro Quadratmeter niedergegangen, teilte das
Meteorologische Institut der FU Berlin auf taz-Anfrage mit; ein Drittel
mehr als sonst im ganzen Jahr. Und dieser Juli hat gute Chancen, als einer
der nassesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in die Geschichte
einzugehen: Es fiel bisher dreimal so viel Regen wie üblich.
Vor 20 Jahren, Anfang Juli 1997, hatte das Tiefdruckgebiet „Zolska“ für
Starkregen gesorgt. Bis zu 586 Liter Regen pro Quadratmeter gingen über dem
Atlasgebirge in Tschechien nieder. Eine Starkregenlage, aus der das
Jahrhunderthochwasser an der Oder wurde, dem in Tschechien und Polen
hundert Menschen zum Opfer fielen.
Dieser Tage wird wieder an dieses Hochwasser erinnert. Matthias Platzeck,
der damals vom Umweltminister zum „Deichgrafen“ wurde, gibt Interview um
Interview. Er erzählt, wie er und der damalige Leiter des
Landesumweltamtes, Matthias Freude, vor Ort als „dahergelaufene Bürschchen“
bezeichnet wurden, die alten Hasen an der Oder nichts zu erzählen
brauchten. Nie würde hier etwas passieren. Zuvor hatten Platzeck und Freude
am 8. Juli eine Hochwasserwarnung ausgegeben. Am 17. Juli erreichte der
Scheitel der Flut das Land Brandenburg. Am 27. Juli stand der Pegel mit
6,57 Meter in Frankfurt (Oder) auf Rekordhöhe.
Hübsche Anekdoten hält die Erinnerung bereit. Sie verdeutlichen vor allem
eines: Der Mensch hat darauf vertraut, dass er sich den Fluss, das Wasser,
die Natur endgültig unterworfen hat. So wie eine Bewohnerin der damals
vollgelaufenen Ziltendorfer Niederung, die in einem Rückblick im
Tagesspiegel zitiert wird: „Unser Haus stand doch fünf Kilometer von der
Oder entfernt. Da konnte doch gar nichts passieren.“
Sie hätte es besser wissen können: Es gab im damals betroffenen Wiesenau
eine alte Uferstraße, die noch weiter von der Oder entfernt lag. Bis dort
reichte das angestammte Gebiet der Oder. Die Niederung war schon immer
Schwemmland.
So changiert der Rückblick auf das Jahrhundertereignis zwischen Entsetzen
und Heldengeschichten. Gern wird vom „Wunder von Hohenwutzen“ erzählt. Die
Deichlücke dort wurde geschlossen, indem Bundeswehrsoldaten Sandsäcke aus
Hubschraubern abwarfen. Wäre der Deich gebrochen, wäre neben der
Ziltendorfer Niederung auch das weitaus größere Oderbruch abgesoffen.
Immer wieder wird auch aufgezählt, was seit dem Jahrhunderthochwasser alles
getan wurde. In Ratzdorf, am berühmten Pegelhäuschen an der Mündung der
Lausitzer Neiße in die Oder, wurde 2005 die letzte Deichlücke geschlossen.
Insgesamt wurden 300 Millionen Euro in Deiche gesteckt. In Neuzelle
entsteht ein neuer, wenn auch mit 50 Hektar sehr kleiner Polder, also ein
Auffangbecken.
Auch in Polen wurden Deiche verstärkt und erhöht. Dass das eine mit dem
anderen zusammenhängt, hat schon vor zehn Jahren Matthias Freude deutlich
gemacht. Wegen der Hochwasserschutzmaßnahmen in Polen würde das gleiche
Hochwasser wie 1997 inzwischen 130 Zentimeter höher ankommen, verriet
Freude der taz. Der Deich von Hohenwutzen hätte nicht gehalten werden
können.
Wäre er heute, nach der Erneuerung und Verstärkung der Deiche, zu halten?
Zur Bilanz des Hochwassers gehört auch, dass an anderen Flüssen nicht nur
in den technischen Hochwasserschutz investiert wurde, sondern auch in den
natürlichen Wasserrückhalt. So ist an der Elbe mit der Deichrückverlegung
am Lödderitzer Forst ein Polder von 600 Hektar entstanden, mehr als zehnmal
so groß wie der an der Oder.
Anders als in Brandenburg, wo der Naturschutz zum Ressort des
Landwirtschaftsministers gehört, haben in Sachsen-Anhalt nicht nur die
Landwirte eine Stimme, sondern auch die Umweltschützer. Denn auch das
gehört zur Bilanz des Oderhochwassers: Einst ein Musterland des
Umweltschutzes ist Brandenburg heute ein Land, in dem Naturschützer
bestenfalls ein Nischendasein fristen.
Und auch in Polen setzt man an der Oder eher auf Deichbau als auf
natürliche Überflutungsflächen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste
Jahrhunderthochwasser wieder auf die Oder zurollt, ist also nicht gebannt.
Immerhin scheinen sich die Anwohner dessen inzwischen bewusst zu sein.
Matthias Platzeck, der damalige Deichgraf und zwischenzeitliche
SPD-Ministerpräsident, sagt heute: Einen hundertprozentigen Schutz vor
Hochwasser gibt es nicht. Wie auch, wo auf das Jahrhunderthochwasser von
1997 die Jahrhundertflut an der Elbe 2002 folgte, gefolgt von
Elbehochwassern 2006 und 2013 und dem Oderhochwasser 2010. Es ist ein
Wettrennen zwischen Mensch und Fluss, das sich hier zeigt, zwischen
Deichbau und Klimaerwärmung mit immer extremeren Wetterlagen.
Die jüngsten Wolkenbrüche in Berlin zeigen: Betroffen von diesem Wettlauf
sind auch Städte, die weitab der hochwassergefährdeten Flüsse liegen. Wenn
U-Bahnen und S-Bahnen nicht mehr fahren, wenn Flüge nach Berlin auf Rostock
oder Hannover umgeleitet werden müssen, spürt man, dass die Natur auch in
die Orte eindringt, in denen der Mensch das Rennen gemacht zu haben schien.
Deshalb sollen Städte wie Berlin zur „Schwammstadt“ werden: Begrünte Däc…
und Mulden sollen das Regenwasser wie ein Schwamm speichern und langsam
wieder abgeben. Das ist nichts anderes als eine Art innerstädtischer
Polder.
Der Unterschied ist nur: An der Oder haben die Menschen gelernt, mit der
Gefahr zu leben. In Berlin müssen sie sich ihrer erst noch bewusst werden.
26 Jul 2017
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Hochwasser
Matthias Platzeck
Dachbegrünung
Schwerpunkt Klimawandel
Reiseland Tschechien
Polen
Meere
Toilette
Hochwasser
Hochwasser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimawandel und Stadt: Das Grüne geht aufs Dach
Das Konzept der Schwammstadt will die Folgen des Klimawandels abmildern.
Doch grüne Dächer sind kein Ersatz für öffentliche Freiflächen.
Studie der Klimafolgenforschung: Klimawandel verstärkt Hochwasser
Infolge der Erderwärmung steigt das Risiko von Überschwemmungen bis 2040
stark an – auch in Deutschland.
Zu Fuß durch Südmähren: Beim Authentisten
In und um Brünn herum: auf einer Wanderung durch die südmährische
Kulturlandschaft mit einem Tschechien-Reiseveranstalter der ersten Stunde.
Rodung des Bialowieza-Waldes: Polen legt die Axt an
Fällt Polen trotz eines Abholzungsverbots Bäume im Bialowieza-Wald? Das
Rechtsstaatsverfahren der EU gegen Polen könnte ausgeweitet werden.
taz-Sommerserie „Maritimes Berlin“ (2): Treue, Festigkeit, Beständigkeit
Seemänner sind in Berlin eher selten unterwegs, und trotzdem liegen
maritime Tattoos derzeit im Trend. Vor allem der Anker erlebt eine
Renaissance.
„Toilettenvertrag“ sorgt für Wirbel: Berlin kackt daneben
Dem bisherigen Betreiber der öffentlichen Toiletten hat der Senat den
Vertrag nicht verlängert und sich viel Kritik eingehandelt. Jetzt stellt er
sein neues Konzept vor.
Hochwasser in Niedersachsen: Land unter
In Hildesheim steigen die Pegel der Innerste wieder. Goslarer Altstadt
stand unter Wasser. Wie hoch der Schaden am Weltkulturerbe ist, ist unklar.
Hochwasser in Sachsen: „Lieber Wasser im Wohnzimmer“
In Roßwein haben Bürgerproteste eine Flutschutzwand verhindert – sie hätte
den Blick versperrt. Nun steht die mittelsächsische Kleinstadt unter
Wasser.
Flussregulierung an der Elbe: An 346 Tagen im Jahr schiffbar
Zehn Jahre nach dem verheerenden Elbhochwasser streiten die Anrainer über
eine Staustufe im tschechischen Decín. Es geht mal wieder um die Frage:
Naturschutz oder Wirtschaftlichkeit?
KEINE FLUT IN BERLIN: Das Hochwasser fällt leider aus
Auch wenn in Brandenburg Hochwasseralarm herrscht, wird in Berlin wenig
davon zu spüren sein. Hier markiert die kanalisierte Spree das Ende eines
traurigen Flussschicksals.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.