# taz.de -- taz-Sommerserie „Maritimes Berlin“ (2): Treue, Festigkeit, Best… | |
> Seemänner sind in Berlin eher selten unterwegs, und trotzdem liegen | |
> maritime Tattoos derzeit im Trend. Vor allem der Anker erlebt eine | |
> Renaissance. | |
Bild: Stechen gern auch mal einen Anker: Fide (li.) und Jan vor ihrem Tattoo-St… | |
Schon allein, wer sich das Schaufenster des Tätowierstudios Für Immer in | |
der Revaler Straße 11 genauer ansieht, wird gar nicht umhinkommen, die | |
vielen Anspielungen aufs Meer zu entdecken. Da ist ein Modell eines großen | |
Segelschiffs. Ein Rettungsring auch. Und dann natürlich das Shirt mit dem | |
Logo, einem Anker mit durchbohrtem Schädel und geschwungenem Schriftzug: | |
„Für Immer Berlin, since 1999“. | |
Jan und Fide, die Besitzer des Für Immer, die ihre Nachnamen nicht so | |
wichtig finden, sind, so hört man schnell raus, beide geborene Fischköppe, | |
in Eckernförde und in Cuxhaven aufgewachsen. Sie haben sich ihr Handwerk | |
als Jugendliche in den Achtzigern selbst beigebracht, an Freunden und am | |
eigenen Körper, „Homescratcher“, wie sie sagen, und unterwegs in der | |
„Hausbesetzerszene in ganz Europa“. | |
„Wir waren Punks“, erzählt Fide, „wir hatten kein Geld.“ Ein Kumpel ba… | |
in einer betrunkenen Nacht aus einem Kassettenrekorder, einem | |
Kugelschreiberschlauch und einer Fahrradspeiche die erste | |
Tätowierermaschine. Und weil Fide der Einzige war von der Bande, der | |
zeichnen konnte, war er eben am nächsten Morgen Tätowierer. | |
Seither ist viel passiert mit Jan und Fide – und auch mit ihrer großen | |
Leidenschaft. 1989 gingen sie nach Berlin, 1999 eröffneten sie ihren | |
lütten, gemütlichen Laden, von dem sie gut leben können, wie sie sagen, | |
Denn nach wie vor steigt selbst hier in Friedrichshain die Zahl derer, die | |
sich tätowieren lassen. | |
## Drachen & Dämonen, okay – aber Anker? | |
Sie haben sich professionalisiert, sind nach Japan gereist, wo das | |
Tätowieren eine lange Tradition hat. Wegen der Tattoos der Yakuza, der | |
japanischen Mafiosi, wird es dort nach wie vor nicht gern gesehen, im | |
öffentlichen Raum seine Tattoos zu zeigen. Jan war so fasziniert von seinen | |
Japanreisen, dass er sich sogar auf die japanische Stilrichtung | |
spezialisiert hat. Der halbe Laden hängt voll mit komplizierten, | |
ornamentalen Drachen und Dämonen, Kois und Kirschblüten. Aber Anker? | |
Genau die liegen wieder im Trend. Trotz ihrer Vorliebe für Komplexes | |
stechen sie Jan und Fide in letzter Zeit vermehrt. | |
Wie andere maritime Tattos erinnert der Anker an die Ursprünge dieser Kunst | |
in Europa, an den Urvater der deutschen Tätowierer Christian Warlich zum | |
Beispiel, der seit den 1920er Jahren in seiner Gaststätte in St. Pauli | |
stach. Denn neben Häftlingen, Soldaten und Angehörigen der Unterwelt waren | |
es eben die Seeleute, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts tätowierten: | |
Seejungfrauen, Segelschiffe, vor allem aber Anker. | |
„Ich habe das Gefühl, dass die romantische Sehnsucht nach dem Meer immer | |
größer wird, je weiter die Leute vom Meer weg wohnen“, sagt Jan – und suc… | |
ein paar Vorlagen von Ankern heraus, die in seinem Laden bereits gestochen | |
wurden. Vom vereinfachten Piktogramm in doppelter Daumennagelgröße, was um | |
die 50 Euro kosten würde, bis zum handtellergroßen Tattoo in mehreren | |
Farben, mit Strick oder Rose, Herz oder Totenkopf, Kostenpunkt um die 200 | |
Euro. | |
## Vor allem in den 90ern beliebt | |
Was aber bewegt die Kunden im Für Immer, sich keine Tribals mehr stechen zu | |
lassen, diese verschlungenen „Arschgeweihe“, auch „Assipropeller“ oder | |
„Schlampenstempel“ genannt, wie sie vor allem in den Neunzigern beliebt | |
waren – sondern Anker? | |
„Vielleicht liegt es an diesen unübersichtlichen Zeiten“, sagt irgendwann | |
nach langem Zögern Jan in seiner nordischen Art, die nicht zu viele Worte | |
kennt, und grinst dabei ein bisschen spöttisch. Tatsächlich steht der Anker | |
für Ruhe in stürmischen Gewässern. Er ist Symbol für Treue, Festigkeit und | |
Beständigkeit, für den bewussten Entschluss, das treibende Schiff auf | |
offener See zum Stillstand zu bringen. Sogar im Christentum gilt er als | |
Symbol für Verlässlichkeit. Hin und wieder, sagen Jan und Fide, kommen auch | |
Pärchen, und lassen sich den Anker als Symbol ihrer Liebe stechen. | |
Ins Sudio von Jan und Fide kommen Arbeitslose genauso wie Banker und | |
Hausfrauen. Die Zeiten, als sich nur Knackis, Matrosen und später Punks | |
oder Rocker tätowieren ließen, sind lang vorbei. Laut der aktuellsten | |
Studie zum Thema der Universität Leipzig aus dem Jahr 2009 kann man davon | |
ausgehen, dass heute mehr als ein Viertel der Männer und Frauen zwischen 25 | |
und 34 Jahren in Deutschland tätowiert sind – und eine Ende dieser | |
Entwicklung ist nicht in Sicht. | |
Wer genau aber sich einen Anker tätowieren lässt und wie viele es sind, die | |
auf dieses Motiv stehen, weiß man nicht. Nur so viel steht fest: Einem | |
Matrosen haben Jan und Fide bislang noch keinen Anker gestochen. Und sie | |
müssen es wissen, denn ein Besuch beim Tätowierer ist eine ebenso | |
langwierige wie schmerzhafte Angelegenheit. Da gerät man zwangsläufig ins | |
Plaudern. | |
Diesmal ist es Fide, der spöttisch grinsen muss. „Zumindest kann man eins | |
sagen“, brummt er. „Es ist immer noch besser, sich einen Anker stechen zu | |
lassen als die AfD zu wählen. Oder?“ | |
2 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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