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# taz.de -- taz-Sommerserie Maritimes Berlin (4): Der alte Mann und das Müggel…
> Wenn er nur wollte, käme er sogar auf dem Wasser vom See ans Meer. Aber
> wieso sollte er? Der Fischer Andreas Thamm weiß, was er an seinem
> Müggelsee hat.
Bild: Fischer Andreas Thamm auf „seinem“ Müggelsee
Die Wolken hängen schwer über dem Müggelsee. Das Wasser ist grau und trüb
an diesem Sommermorgen, die Sonne noch verborgen hinter den Wolken. Es ist
kaum acht Uhr. Fischer Andreas Thamm steigt in sein Boot und startet den
Motor des kleinen grünen Kahns, der an einigen Stellen seine Farbe
verliert. Es vibriert, es rattert laut, dann braust er los.
Der Weg vom alten Fischergut im Fischerdorf Rahnsdorf zu seinem
Arbeitsplatz, dem Müggelsee, ist nicht weit. Es geht die schmale
Wasserstraße der Müggelspree entlang. Über den kleinen Müggelsee, vorbei an
einer großen roten Boje, raus auf den großen Müggelsee. Keine Badenden sind
zu sehen, so früh am Morgen ist der See noch ganz verlassen.
Man versteht den Fischer kaum, weil der Motor so laut brummt und der
Fahrtwind rauscht, während er ihm durch die weißen Haare wirbelt. Hinter
dem Boot schäumt es weiß auf. „Berlin hat kein Meer, aber viel Wasser“,
sagt Thamm und steuert auf die wenigstens gefühlt unendlichen Weiten.
Sieben Quadratkilometer Wasser. Links vom Boot wankt das Schilf, dahinter:
dichte Natur – Teile der Gegend wurden erst vergangenen Winter zum
Landschafts- und Naturschutzgebiet erklärt. Rechts vom Boot das
Küstendorf-Panorama und in weiter Ferne, hinter den Wasserwerken, die
Stadt. Im Himmel über Thamm schreien Möwen, halten Ausschau nach Fisch.
Der Fischer trägt grasgrüne Gummistiefel, eine weiße Gummischürze, die
durch die Arbeit grau geworden ist, und rutschfeste Handschuhe. Sein Blick
geht Richtung Horizont. „Ich bin der letzte Berufsfischer im Stadtbezirk
Treptow-Köpenick“, sagt Andreas Thamm, „und Eigentümer der Fischereirechte
für etwa 3.000 Hektar Wasser.“ Wer hier beruflich fischen will, braucht
eine Ausbildung, einen Fischereischein und die Rechte von der
Fischereibehörde. Ohne die wäre es Fischwilderei.
## Fünfzig Jahre im Beruf
Routiniert steht Andreas Thamm in seinem Boot. „Nächstes Jahr hab ich
Jubiläum, dann bin ich fünfzig Jahre im Beruf“, sagt der 64-Jährige und
lenkt auf die erste der zehn auf den gesamten See verteilten
Fischfang-Reusen zu. „Früher waren es mal 20, aber man wird eben auch nicht
jünger“, sagt er.
Nahe dem Ufer sind einige Stangen aus Kiefernholz in einer Reihe in den
Seegrund eingeschlagen. Da stellt der Fischer den Motor ab. An den Stangen
ist eine der Reusen, ein stationäres Fanggerät, wie Thamm sagt, befestigt.
An der Wasseroberfläche sieht man nur die Stangen mit einer Leine aus
Korken, die das Netz tragen. Unter Wasser liegt ein spitz zulaufender
Netzsack.
„Das ist eine der schonendsten Fangmethoden“, sagt Thamm. An den
Holzstangen ist ein Leitnetz befestigt, das schneidet den Fischen den Weg
ab und leitet sie in Richtung Seeinneres, in die Reuse hinein. Zurück geht
es nicht. „Das kann man sich wie einen Trichter vorstellen“, erklärt er.
Darin bleiben die Fische, bis Thamm das Netzende an die Wasseroberfläche
zieht. Um das zu tun, greift er den Anker aus dem Bootinneren und lässt ihn
zielsicher in die Tiefe gleiten. „Normalerweise nehme ich einen Haken, aber
hier ist das Wasser zu tief. 5,50 Meter sind es hier“, sagt er. „Über acht
Meter misst der Müggelsee an seiner tiefsten Stelle.“
## Flossen, Kiemen, schuppige Haut
Gekonnt fischt Thamm im undurchsichtigen Nass, hievt mit dem Anker einen
Metallring an die Wasseroberfläche, an dem das Ende der Reuse befestigt
ist. Darin windet sich ein Knäuel aus Flossen, roten auseinanderklaffenden
Kiemen und schuppiger, grauer Haut: Aale, Schleie, Barsch. Grau, glitschig
und kalt. Die Fischvielfalt im Müggelsee ist groß.
Thamm käschert das Knäuel aus dem Netz und überprüft den Fang. Flossenpaare
zappeln an der Luft, die Fische ringen nach Sauerstoff. An diesem Morgen
sind zwar nicht besonders viele, aber viele verschiedene Fische im Netz.
Das mit der Menge liegt an der Jahreszeit. „Frühjahr und Herbst sind die
Hauptfangzeiten“, erklärt Thamm. Aber jetzt ist Sommer.
Nacheinander zieht er einzelne Exemplare heraus und lässt sie vorsichtig in
den ins Boot eingebauten Fischbehälterkasten gleiten. „Darin können sie
lebend transportiert werden“, sagt er.
## Berliner Fisch bleibt in Berlin
Einen Zander hält er stolz in die Höhe. Der Fisch ist fast 60 Zentimeter
lang. „Die werden bis zu zwei Kilo schwer“, sagt Thamm. Mit glasigen Augen
blickt der Fisch in die fremde Welt. Spreizt die Kiemen, sieht schwer aus
und starr. Erst im Kasten lebt er wieder auf. Vermarktet, verarbeitet und
verkauft werden die Fische vom Fischer selbst, hier in Berlin.
An den nächsten Reusen wiederholt der Fischer den gewohnten Prozess: Der
Anker verschwindet im Wasser, der Fischer zieht die Reuse aus dem Wasser.
Fische in den Kescher und Begutachtung der Beute.
Was Andreas Thamm von dem Fang nicht braucht, lässt er wieder frei. „Man
muss an die Nachhaltigkeit denken. Das intakte Ökosystem muss gewahrt
werden“, sagt er. Mit den Worten „Das reicht für heute“ wirft er die
übrigen Fische und die mittlerweile leere Reuse zurück in den See und lenkt
das Boot um.
Der Rückweg: idyllisch. Durch die geschützte alte Müggelspree, vorbei an
einem Bett von Seerosen, der alten Dorfkirche und kleinen Ferienhütten am
Uferrand.
„Ich denke, man kann hier genauso Urlaub machen wie am Meer. Über die
Wasserstraßen kommen sogar Menschen von der Nord- und Ostsee her“, sagt
Fischer Andreas Thamm. Meer, Elbe, Havel, Spree – Müggelsee. „Hier bin ich
verwurzelt“, sagt er. „Für mich hat sich nie die Frage gestellt, irgendwo
anders zu sein.“
7 Aug 2017
## AUTOREN
Ivy Nortey
## TAGS
Fische
Arktis
Paddeln
Nachhaltigkeit
Kapitän
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Meere
Mecklenburgische Seenplatte
Kneipe
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