# taz.de -- taz-Sommerserie „Maritimes Berlin“ (3): Am Kanal nachts um halb… | |
> Trinken und Tanzen wie in einer Hafenkneipe. Die Ankerklause ist für | |
> alle, die gern Wasser unter den Füßen haben oder sich näherkommen wollen. | |
Bild: Hafenbar ohne Hafen. Fast nirgendwo in Berlin kann man so schön am Wasse… | |
An einem milden Sommerabend direkt über dem Wasser sitzen, knarzende | |
Holzplanken unter den Füßen. Mücken schwirren um altmodische Lampen, welche | |
die Szenerie in träumerisches Licht hüllen. Wer in Berlin auch nur einen | |
Funken Hafenstadt erleben möchte, muss früher oder später in der | |
Ankerklause vorbeischauen. Direkt am Landwehrkanal gelegen, befindet sich | |
die Kneipe auf der Trennlinie zwischen Neukölln und Kreuzberg. | |
Zwei Anker auf dem Dach und blaue Fensterläden sind dabei alles, was auf | |
das maritime Flair im Inneren hindeutet. Nur vom anderen Ufer aus sieht man | |
sofort den Balkon, der mit Strandkorb, vergilbten Laternen und bestem Blick | |
über das Wasser einlädt. | |
Drinnen wartet seit zig Jahren die gleiche Ausstattung aus rustikalem Holz, | |
das direkt von einem alten Seemannskutter stammen könnte. Die blauen Wände | |
sind mit Zeichnungen von Fischen verziert, Bullaugen mit Diskolicht | |
schmücken die Bar. Wie ein Schutzpatron blickt von einem Plakat Hans Albers | |
auf die Szenerie herab. In dem Bild mit dem Schauspieler verdichtet sich | |
alles, was die Ankerklause eigentlich sein will: ein Stück Sehnsucht, die | |
große Freiheit. | |
„Die schönste Hafenbar Berlins – ohne Hafen.“ So bewerben | |
Touristenbroschüren gerne die Ankerklause. Doch wie ein Hafen ist die | |
Kneipe sozialer Schmelztiegel für die vielen gesellschaftlichen Gruppen, | |
die hier an der Kottbusser Brücke ein- und auslaufen: Mittags trinken | |
Frauen mit Kopftüchern ihren Tee, nachmittags schaut die Kreuzberger Oma | |
für eine Bulette vorbei, während abends das altersmäßig wild gemischte | |
Partyvolk eine der letzten Jukeboxen Berlins bedient. | |
## Legendäre Tanzabende | |
Und wenn DJ Goolightly wie immer am ersten Donnerstag im Monat zum | |
Tanzabend einlädt, platzt die Ankerklause aus allen Nähten. „Es ist schon | |
erstaunlich, wie sich der Laden gehalten hat. Im Prinzip hat sich in den | |
mehr als zwanzig Jahren seit Eröffnung nicht viel verändert“, sagt Oliver | |
Wiehe, wie der DJ mit bürgerlichem Namen heißt. Er kombiniert seinen dünnen | |
Oberlippenbart mit einem schicken Strandhut und einer Hornbrille. | |
Wie viele des Personals gehört er seit Beginn zum Repertoire der Kneipe und | |
weiß, warum die Gäste wiederkommen: „Die Leute genießen das leichte | |
Geplätscher, auch wenn es nicht das große Meer ist.“ | |
Dabei ist die maritime Atmosphäre nicht allen Gästen so wichtig. „Beim | |
ersten Mal waren wir vielleicht wegen dem Wasser hier. Aber inzwischen | |
würden wir auch kommen, wenn der Kanal zugeschüttet wäre“, sagt Matthias, | |
der mit seinen Freunden trotzdem direkt am Wasser sitzt und regelmäßig die | |
Tanzabende besucht. Das Schöne sei neben der Musik auch das gemischte | |
Publikum und wie schön „rundlich“ und „angeschrammelt“ hier alles sei. | |
Spätestens ab half elf dreht sich im Inneren auch nichts mehr um | |
romantisches Wasserplätschern. Die Fenster sind beschlagen, auf der kleinen | |
Tanzfläche drängen sich die Körper rhythmisch zu Soul, Funk und Blues | |
aneinander. | |
## Authentizität statt Trends | |
Für Michael bilden die Tanzenden höchstens ein Hindernis auf dem Weg zur | |
Toilette. Er ist 63, Psychologe, und seit 17 Jahren oft mehrmals pro Woche | |
auf ein paar Biere vor Ort. Mit seiner Gruppe sitzt er immer auf der | |
Straßenseite der Kneipe. Wasser und Musik interessieren ihn nicht, dafür | |
aber der Verkehrsknotenpunkt an der Kottbusser Brücke. | |
Das abendliche Treiben zwischen Kreuzberg und Neukölln bekommt er hier am | |
besten mit. Als vor zehn Jahren die Gegend vom Problem- zum Szeneviertel | |
wurde, hatte das auch Auswirkungen auf den Ort, wo eigentlich alles gleich | |
bleibt. | |
Keinem einzigen Trend sind Ludger Schallenberg und Claudia Aumüller, hier | |
nur Schalli und Aui genannt, seit 1995 gefolgt. Damals haben sie die | |
Ankerklause übernommen und arbeiten immer noch mit gleichem Personal und | |
derselben Ausstattung. Doch natürlich habe sich das Publikum entsprechend | |
der Umgebung gewandelt. Und während die Kneipe früher ziemlich alleine in | |
der Gegend war, sind seitdem viele Gaststätten dazugekommen. | |
Laut Schallenberg sei es aber vor allem die Authentizität, warum selbst | |
Weggezogene immer wieder gerne vorbeikommen, wenn sie mal in der Nähe sind: | |
„Wir sind wie ein Fels in der Brandung. Ein Schiff, das hier seit | |
Jahrzehnten vor Anker liegt und ein Stück Heimat bietet.“ | |
## Flirten am Kanal, bis tief in die Nacht | |
Schallenberg selbst kommt aus Norddeutschland und ist, man könnte es ahnen, | |
ein leidenschaftlicher Segler und Fan des FC St. Pauli. Zusammen mit | |
Aumüller hatte er die Ankerklause erst gepachtet und 2007 schließlich von | |
der Reederei Rieder abgekauft. Die betreibt direkt nebenan immer noch den | |
alten Schiffsanleger für ihre Bootsfahrten. | |
Bis mindestens vier Uhr werden Touristen, Stammgäste und Neuentdecker in | |
der Ankerklause heute feiern. Die Nachbarn haben sich dem Personal zufolge | |
nur sehr selten beschwert, auch wenn die Stimmung im Inneren meist sehr | |
ausgelassen ist. In all den Jahren hat sich die Ankerklause einen gewissen | |
Ruf erarbeitet: In einer Umfrage wurde sie mal auf Platz eins der besten | |
Flirtbars der Hauptstadt gewählt. Wer alleine nach Hause geht, mache das | |
angeblich nur freiwillig. | |
2 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Robin Köhler | |
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