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# taz.de -- taz-Sommerserie „Maritimes Berlin“ (7): Mit Plastikpaddeln gen …
> Als Teenager verschlang unsere Autorin den Flussroman des
> Nachkriegsautors Alexander Spoerl: Heute hat sie selbst einen Steg an der
> Havel.
Bild: Die Sehnsucht nach dem Meer treibt einen um, aber nicht voran
Neuerdings habe ich eine Datsche mit eigenem Zugang zum Meer – na ja, fast.
Unser neuer Garten liegt in Oranienburg, nahe dem Schlosspark, und dazu
gehört – wenn auch 50 Meter entfernt – ein Steg an der Havel. Theoretisch
könnte ich also mit dem Paddelboot havelabwärts bis zur Elbe schippern und
von dort in die Nordsee oder havelaufwärts über den Oder-Havel-Kanal zur
Oder bis zur Ostsee. Irgendwie hätte ich große Lust dazu. Andererseits
liegen auf beiden Wegen einige Hindernisse.
Ein paar davon hat Alexander Spoerl, der westdeutsche Nachkriegsautor, in
seinem wohl bekanntesten Roman beschrieben, den „Memoiren eines
mittelmäßigen Schülers“. Als Teenager habe ich das Buch verschlungen, das
mit feinem Humor die Schul- und Studienzeit des Autors im
Nationalsozialismus schildert. Als ich vor einigen Wochen zum ersten Mal
auf unserem Steg stehe, kommt es mir sofort wieder in den Sinn. Es wird
meine Urlaubslektüre für unsere letzte Ferienwoche, die wir natürlich im
neuen Garten verbringen.
Auch der Icherzähler hat nach seinem Umzug nach Berlin einen Steg an der
Havel. Okay, seiner liegt etwas näher gen Nordsee irgendwo im Südwesten
Berlins, genau schreibt er es nicht, aber es fallen die Stichwörter Wannsee
und Stölpchensee. Auch ist er maritim besser ausgerüstet, wir haben nur ein
unförmiges Aufblasboot mit Plastikpaddeln, seine Eltern spendieren ihm „ein
Motorboot mit Kajüte, vier Fenstern auf jeder Seite und Klo und Wimpeln
hinten und vorn“.
## Paradies mit Seerosen
In seinen ersten Semesterferien sticht Spoerl oder sein Alter Ego mit
seinem Kommilitonen Horst auf der „Adagio“ in See. Sie kommen bis zur Elde.
„Kein Druckfehler, sondern ein kleiner Nebenfluss, den wir in Geographie
nicht gehabt hatten, mit Seerosen und niedrigen Ufern und Bäumen auf jeder
Seite, nach deren Zweigen wir greifen konnten. Wir hielten es für eine Art
von Paradies. Bis zur ersten Schleuse.“ Dann folgt eine komische
Beschreibung, wie die beiden Kapitäne an Dutzenden Schleusen auf abwesende
Schleusenwärter warten und sich die Zeit mit Kümmelschnaps versüßen.
Das passt wie die Faust aufs Auge auf unseren Havelabschnitt: Seerosen,
niedrige Ufer, überall Bäume. Ein Paradies – zumal das üppige Grün das
Industriegebiet auf der anderen Havelseite fast ganz verdeckt. Die
Schleusen habe ich noch nicht gesehen, sie wurden mir aber gleich beim
ersten Besichtigungstermin vom Vorpächter angepriesen als Ursache für die
herrliche Ruhe auf dem Fluss. Sie seien nämlich außer Betrieb, deshalb
kämen Boote flussaufwärts nicht weiter, höchstens Paddler, die ihr Boot
drumherum tragen, was aber so gut wie nie vorkäme.
In der Tat kann man stundenlang ungestört auf dem Steg sitzen (und Spoerl
lesen oder nicht), und es kommt vielleicht ein Paddler vorbei. Die
Nachbarstege sind meist leer, obwohl öffentlich zugänglich und an einem
hübschen Spazierweg gelegen, manchmal sitzt da und dort ein Angler. Auch
der Bootsbesitzer von schräg gegenüber sitzt offenkundig lieber an Deck
seines fest vertäuten Bootes, angelt oder macht sonst was – ich habe ihn
jedenfalls noch nicht wegfahren sehen.
## Das Schleusenproblem
Ich selbst bin oberarmmäßig (noch) nicht fit genug für eine Paddeltour
havelaufwärts, aber auch dank der gut informierten Märkischen Oderzeitung
(MAZ) weiß ich ohnehin, dass nach drei, vier Kilometern mehrere
stillgelegte, respektive im Krieg zerstörte Schleusen, eine davon nahe dem
ehemaligen KZ Sachsenhausen, den Weg versperren.
Mit der Tour bis zur Ostsee wird es also schon mal nichts, es sei denn, die
Oranienburger kümmern sich endlich um die Belange der paddelnden
Wassertouristen und setzen sich für „Umtragemöglichkeiten“ oder
„Fisch-Kanu-Rutschen“ ein, wie es die MAZ fordert.
Flussabwärts gäbe es das Schleusenproblem so schnell nicht, das weiß ich
von Google Maps. Trotzdem bin ich mit dem Bötchen bislang nur wenige
hundert Meter weit gekommen, bis zur Marina neben dem Schloss. So heißt
hier etwas großkotzig der zur Landesgartenschau 2009 neu gebaute Hafen, der
offenkundig überdimensioniert – weil immer halb leer – ist.
Auch im daran angrenzenden „Wasserwanderrastplatz“ – an dem wir immer auf
dem Weg zum Schlosspark vorbeikommen, dessen wirklich hervorragender
Wasserspielplatz meinen Fünfjährigen magisch anzieht – habe ich noch
niemanden gesehen. Touristisch-wirtschaftlich für die Stadt vermutlich eine
Katastrophe, für uns das pure – weil fast einsame – Idyll.
Neben Schleusen und mangelnder Muskelkraft gibt es noch einen weiteren
Grund, warum ich – bei aller Sehnsucht nach dem Meer – fürs Erste die weite
Fahrt ans Meer scheue: Mücken.
Über die Tatsache, dass dieser Sommer ein enorm mückenreicher ist und warum
(viel Regen, Klimaerwärmung, Spatzensterben), wurde schon viel geschrieben.
Das Problem hatte aber auch schon Spoerl: „Unter den Mücken hatte es sich
herumgesprochen, daß wir da waren. Abends, wenn wir unser Boot tief ins
schützende Schilf hineingefahren hatten, kamen sie alle an Bord, tanzten
erfreut um die bunten Positionslichter und besuchten uns dann in der
Kajüte. Ich rieb Gesicht und Körper dick mit ‚Antimuck‘ ein, und nach
menschlichen Begriffen roch ich unmenschlich. Den Mücken aber war ich ganz
nach ihrem Geschmack. Nur Horst war zufrieden mit ‚Antimuck‘, denn er
schmierte sich nicht damit ein, und ihn ließen sie deshalb in Ruhe.“
## Lieber erdverbunden
Auch bei uns im Garten ist der Griff zum „Antimuck“ das Erste, was wir
gleich nach dem Aufschließen des Häuschens am Freitagabend tun. Den Namen
habe ich schon seit unserer vorigen Datsche (an der Dahme in Grünau) in der
Familie etabliert. Dennoch bleibt mein Sohn skeptisch gegenüber den
Segnungen der modernen Chemie, und seit er vorigen Samstag aus Versehen
eine Ladung „Antimuck“ ins Gesicht bekam, weigert er sich standhaft gegen
erneute Behandlung. Irgendwie hat er recht: Ob er sich einsprayt oder
nicht, er wird ohnehin gestochen – während ich neben ihm weitgehend
verschont werde.
Dennoch habe ich bei ihm schon große Lacher mit der Geschichte kassiert,
wie es Spoerl am Ende mit dem Antimuck ergeht: „Nach Rumpsteak und grünen
Bohnen las ich noch einmal die Gebrauchsanweisung: Zum Einreiben. – Wen
einreiben? Vielleicht die Mücken?, meinte Horst. Wir machten einen Versuch,
und die betroffene Mücke verhielt sich danach ganz still. Da fingen wir
auch die anderen Mücken und drückten sie mit dem Daumen in die Tube. Und in
der Tube verschieden sie nach wenigen Tagen.“
Gut, das machen wir jetzt nicht nach. Aber jedenfalls kann ich mir nach
diesem ersten Sommer am Wasser gut vorstellen, dass es auf dem Wasser noch
schlimmer sein muss, mückentechnisch.
Der letzte Grund, warum ich auf absehbare Zeit eher nicht bis zum Meer
paddeln werde: unser Garten. Letztlich bleibt dieser Widerspruch ja
unauflöslich: gärtnern, erdverbunden sein, aufs Detail sehen – oder
Fernweh, Reiselust, Sehnsucht nach dem Meer. Als frisch gebackene
Kleingärtnerin habe ich mich nun für eine Seite entschieden – weil ich mit
den Händen in der Erde graben, Pflanzen wachsen sehen, Gemüse ernten will
(was wir schon reichlich getan haben: Kartoffeln, Kürbisse, Bohnen,
Zucchini).
Und als Mitglied des Kleingartenverein Havelfreude e. V. bin ich nun auch
vertraglich verpflichtet, 300 Quadratmeter (etwa ein Viertel des Gartens)
zum Zwecke der Ernährung zu bewirtschaften. Das wird viel Arbeit, wie
erfahrene VereinskollegInnen mir bereits warnend vor Augen führten. Für
längere Ausflüge zum oder Richtung Meer bleibt da keine Zeit mehr.
27 Aug 2017
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