# taz.de -- Zu Fuß durch Südmähren: Beim Authentisten | |
> In und um Brünn herum: auf einer Wanderung durch die südmährische | |
> Kulturlandschaft mit einem Tschechien-Reiseveranstalter der ersten | |
> Stunde. | |
Bild: Historische Weinkeller in Südmähren | |
Wir verkosten den Wein beim sogenannten Authentisten im tschechischen | |
Bořetice. Dutzende von nebeneinanderliegenden Weinkellern reihen sich | |
entlang der beiden Weingassen etwas außerhalb des Ortes aneinander. | |
Geduckte Winzerarchitektur. Vom Wein offensichtlich beflügelt, haben die | |
hiesigen Weinbauern eine „Freie Bundesrepublik Kraví hora (Kuhberg)“ mit | |
eigener Regierung und eigenem Präsidenten gegründet. Diese organisiert | |
verschiedene Winzer- und Kulturveranstaltungen. Die „Winzerrepublik“ hat | |
ihren Sitz in einem Weinkeller. | |
Die Gemeinde Bořetice und die Freie Weinrepublik liegen eingebettet in die | |
hügelige Landschaft des Höhenzugs Ždánický les (Steinitzer Wald). Umgeben | |
von jetzt blühenden, blauen Mohnfeldern, Adonisröschen und Wein. An den | |
Hängen oberhalb der Weinkeller wachsen Welschriesling, Grüner Veltliner, | |
Neuburger und Müller Thurgau. Besonders gut gedeihen und besonders | |
schmackhaft sind Blauer Portugieser, St. Laurent, Blaufränkischer. Wir | |
trinken diese Sorten beim Authentisten. Und bleiben dabei. | |
Der Unterschied zwischen einem belanglosen und einem authentischen Wein sei | |
die Faszination, die von Letzterem ausgeht, behauptet Ota Ševčík, der das | |
Weingut seiner Familie modern weiterführt. Es sei der Reiz des Wechsels | |
zwischen Neugier erweckender Spröde, verschwenderischem Reichtum, seidiger | |
Zartheit und unbequemer Kantigkeit. „Es ist die Spannung, die der Wein | |
selbst erzeugt und über lange Zeit aufrechterhält. Und es ist die Lagerung | |
in Holzfässern und wenig Schwefel“, erklärt der junge Winzer . | |
Authentische Weine entstünden, wenn der Winzer sich zurücknimmt und nicht | |
versucht, seinen Wein gewaltsam in eine gewünschte Form zu zwingen. Sie | |
entstehen, wenn er mit der Natur arbeitet, statt sich gegen sie zu stemmen. | |
Deshalb wird ein großer Teil der authentischen Weine ökologisch produziert. | |
Authentische Weine können in jedem Anbaugebiet entstehen, sie sind so | |
vielfältig wie überraschend. | |
Authentisch wollen auch die Reisen von „Begegnung mit Böhmen“ sein. Deren | |
Gründer, Erwin Aschenbrenner, bietet derzeit rund 35 Rad-, Langlauf-, Kanu- | |
und Wanderreisen an, die meisten zweimal pro Jahr in unsere östlichen | |
Nachbarstaaten. Wir, sieben Frauen, ein Mann und zwei Reiseleiterinnen, | |
Katka und Blanka, wandern zwischen Weinbergen und Weltkultur auf einer | |
Genussreise durch Südmähren. Der Altersdurchschnitt 50 plus ist typisch für | |
solche Reisen, genauso der Frauenüberschuss. Und: Die meisten hier sind | |
Wiederholungstäter. | |
## Zwetschgenpowidl in der Slow-Food-Arche | |
Eigentlich ist Erwin Aschenbrenner Kulturwissenschaftler, auch | |
Tourismuskritiker. Reisen und mehrmonatige Aufenthalte in Südostasien und | |
Südamerika schärften seine Sinne für, wie er sagt, die „subtile | |
Kulturzerstörung“ durch Tourismus. Aschenbrenner wollte damals, 1989, | |
eigentlich touristische Qualifikationsseminare für Dritte-Welt-Tourismus | |
anbieten. Doch mit der Grenzöffnung lag die Dritte Welt plötzlich vor der | |
Tür. Die Theorien vom kulturnahen, sensiblen Tourismus in | |
Dritte-Welt-Länder konnte Aschenbrenner nun grenznah in der neu zu | |
entdeckenden Nachbarregion Böhmen umsetzen. | |
Mit drei einwöchigen Radreisen ging es für ihn 1991 für ein Projekt | |
„Kulturnaher, sozialer- und umweltverträglicher Bildungstourismus“ beim | |
Evangelischen Bildungswerk in Regensburg los. Der Tourismus in die damalige | |
Tschechoslowakei war kaum entwickelt und reduziert auf Wochenendreisen nach | |
Prag, Billigeinkaufsfahrten an die Grenze oder grenznahen | |
Prostitutionstourismus. | |
Statt mit dem Rad sind wir zu Fuß unterwegs. Ein Bus bringt uns von unsere | |
Unterkunft nahe Němčičky, wo wir drei Nächte wohnen, nach Tvarožná Lhota … | |
Vorland der Weißen Karpaten. In die Slow-Food-Arche von Südmähren wurden | |
drei typische regionale Produkte aufgenommen: Zwetschgenpowidl, die | |
Weinsorte Neuburger und der Speierling. Dessen Früchte, als Marmelade und | |
Tee verarbeitet, kosten wir im Speierling Museum von Tvarožná Lhota. | |
Der Speierling, dieser ausladende Baum, ist vom Aussterben bedroht, wie die | |
Vielfalt der Obstwiesen am Fuße der Weißen Karpaten, wo wir zu den | |
bekanntesten Speierlingsriesen wandern. Auch durch das Dorf Vnorovy. Dort | |
wurde der mährische Dichter Jan Skácel geboren, den Katka immer wieder mit | |
seinen Oden an diese mährische Landschaft zitiert: „Stoßen wir an, und | |
trinken wir’s still aus …“. Der Wein beim Abendessen auf der Terrasse | |
unserer Unterkunft für drei Tage ist ein regionaler Blaufränkischer. Diese | |
familiengeführte Unterkunft nahe dem Dorf Němčičky stellt eigene | |
landwirtschaftliche Produkte auf den Tisch. | |
Damals, sagt Aschenbrenner, gab es überhaupt kein Familienhotel. „Es gab | |
Funktionärshäuser. 1990 habe ich die ersten Privatwohnungen gesucht, da | |
waren wir noch in Wohnzimmern untergebracht.“ Das habe sich total geändert. | |
„Was man nicht immer durchhält, sind die perfekten ökologischen | |
Unterkünfte, die gibt es meist nicht. Aber wir haben durchgehalten, dass | |
wir in landesnahen Unterkünften sind. Wenn es landesnah ist, dann kann ich | |
die Leute vor Ort nicht missionieren.“ | |
Deutsche Besserwisserei wäre kaum angebracht. „Was auch eine spannende | |
Entwicklung ist, dass am Anfang unserer Reisen in den 90er Jahren eine | |
Aversion gegen deutsche Touristen spürbar war. Die hat sich inzwischen | |
aufgelöst“, sagt Aschenbrenner. | |
## Hipster in Nikolsburg | |
Nikolsburg ist Österreich ganz nah und nicht nur deshalb ein touristischer | |
Brennpunkt. Das Zentrum von Mikulov – deutsch: Nikolsburg – mit verzierten | |
historischen Häusern steht unter Denkmalschutz. Wir steigen auf den | |
Heiligen Berg, wo seit 2010 der markierte Jakobsweg beginnt. Gegenüber am | |
Fuße eines Felsens thront das mächtige Renaissanceschloss. Nikolsburg hat | |
eine reiche jüdische Geschichte. Hier befand sich das Zentrum der | |
mährischen Juden. Belegt ist, dass der sagenumwobene Rabbi Löw in | |
Nikolsburg wirkte. | |
Mittagessen im Café Era, dem alten Pfarrhaus von Klentnice mit seinen | |
selbst gemachten alkoholfreien Mixgetränken aus einheimischen Zutaten und | |
einer designten, lokal angehauchten Küche. Junge, schicke Städter, Hipster, | |
speisen hier oder sonnen sich auf Liegestühlen, einen hübschen Drink in der | |
Hand. | |
Steiler Aufstieg in die Pollauer Berge, dafür aussichtsreicher Abstieg nach | |
Pollau. Einkehr bei Svata. Sein alter Weinkeller liegt mit Blick auf den | |
künstlichen See. Bei einheimischen Wurstwaren und selbst gekeltertem | |
Weißwein rezitiert Svata, der früher am Schauspielhaus von Brünn spielte, | |
Gedichte aus der Region mit augenzwickerndem Pathos. | |
## „Ornament ist Verbrechen“ | |
End- und Ausgangspunkt unsere Reise ist Brünn, die mährische Metropole und | |
Studentenstadt. Während sich die Vororte der Stadt nach dem Motto des in | |
Brünn geborenen Architekten Adolf Loos, „Ornament ist Verbrechen“, | |
entwickelt haben, überwiegen im Zentrum k. u. k. und Klassizismus. | |
Die Entwicklung der Textilindustrie in Brünn und die Entstehung einer | |
reichen Unternehmerschicht haben dazu beigetragen, dass Brünn eine Wiege | |
des Funktionalismus war. In Vollendung ist das zu sehen in der Brünner | |
Villa Tugendhat. Sie wird zu den bedeutendsten Bauten Mies van der Rohes | |
gezählt. Ein Meilenstein der modernen Architektur. | |
Im alten Zentrum von Brünn findet wir traditionelle Cafés, lärmende | |
Bierkneipen und südmährische Küche mit Olivenöl im gestylten k. u. k. | |
Ambiente wie im Forhaus. Man trinkt selbstverständlich mährischen Wein. | |
Die Reisen von „Begegnung mit Böhmen“ starten und enden immer am Bahnhof. | |
90 Prozent der Gäste reisen mit dem Zug an. | |
„Das ist Konzept“, sagt Erwin Aschenbrenner. Der nachhaltige Veranstalter | |
hat sein Programm lange durchgehalten und entwickelt. Auf diese Weise | |
konnte seine Klientel verlässlich mit ihm altern. | |
„Ich werde die Konzeption Jüngeren übergeben“, sagt Aschenbrenner. „Die | |
haben andere Ideen.“ Etwa Qigong in den Pollauer Bergen? Nicht unbedingt | |
authentisch, aber auf jeden Fall trendig und wahrscheinlich auch gesund und | |
damit unbedingt nachhaltig. | |
12 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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