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# taz.de -- Kulturlandschaft in Mähren: Lecker und barock
> Alte Bäder, Geburtsstätte der Schuhindustrie, historische Städte, Knödel,
> Buchteln, Mohnkuchen. Die Region im Osten Tschechiens ist vielfältig.
Bild: Feierlichkeiten im Kloster Velehrad zu Ehren der Ankunft der Schutzheilig…
Svickova, Lendenbraten mit Semmelknödeln, ist das tschechische
Nationalgericht. Mein einziger Bezug zu Mähren. Es ist die Küche meiner
Mutter, die von dort stammt. Ein erinnerungsgetränktes Geschmackssurrogat,
das an langweilige Sonntage und mein Lieblingsessen erinnert.
Zum Glück hat die traditionelle Küche Mährens den Untergang
Österreich-Ungarns, Krieg, Vertreibung, Sozialismus und Postsozialismus
überstanden. Josef Roths Roman „Radetzkymarsch“, der Schwanengesang auf die
österreichisch-ungarische Monarchie, spielt auch hier. Einen Trost hält
Roth im Untergangsszenario des Radetzkymarsches parat: „Alles, was wuchs,
brauchte viel Zeit zum Wachsen; und alles, was unterging, brauchte lange
Zeit, um vergessen zu werden.“
Rinderbraten jedenfalls ist nicht vergessen und findet sich beispielsweise
auf der Speisekarte im Restaurant Losín in Velké Losiny. Das Heilbad in
Mähren, dessen größte Sehenswürdigkeit eine Büttenpapiermanufaktur ist, die
wie vor 500 Jahren produziert, wird heute vor allem von tschechischen
Familien wegen seiner modernen Thermenwasserwelt besucht. Im Restaurant
Losín gleich neben dem schnuckeligen Papiermuseum gibt es echten
Lendenbraten in der würzig-deftigen Soße mit dem unverkennbaren sahnigen
Geschmack. Zum Nachtisch werden Buchteln – aus Hefeteig, mit Quark und Mohn
gefüllt – gereicht. Spätestens dann ist der Sliwowitz, selbstverständlich
Marke Jelínek, überfällig.
Die traditionelle tschechische Küche ist mit der süddeutschen, vor allem
aber mit der österreichischen Küche verwandt. Das gegarte, fettarme
Rindfleisch in Sahnesoße jedenfalls zerfällt zart auf der Zunge. Man
braucht nicht viel vom selbst gebrauten Bier, um es herunterzuspülen. Ein
schmackhaftes Kulturerbe.
Mähren ist das östliche Drittel Tschechiens, eine hügelige, grüne
Landschaft. Zwischen südmährischen Weinbergen und schlesischen Kohlegruben
erstrecken sich Talengen entlang der Flüsse. Eine grüne Landschaft, die dem
Bild vom osteuropäischen Städel entspricht mit barocken Stadtzentren,
Kirchen und Klöstern. Das gesamte Gebiet Mährens vom Norden bis zum Süden
kreuzt das Flussbett des Flusses Morava. Er gab Mähren, tschechisch Morava,
seinen Namen.
In Luhačovice gibt es zum Empfang Schafskäse, Kümmelstangen und Paprika.
Luhačovice ist ein Kurort. Der größte und älteste von Mähren. Natrium,
Kalzium, Magnesium, Chlor, Brom und Jod enthält hier das heilende Wasser.
## Heimkehrer sterben aus
„Früher hatten wir hier viele Deutsche Gäste, vor allem aus der DDR. Sie
kamen auch nach der Wende organisiert hier her“, erzählt die Kurmanagerin
Jana Valešová in bestem Deutsch. „Doch sie sterben aus, genauso wie die
Sudetendeutschen, die nach der Wende ihre alte Heimat besuchten. Heute
kommen vermehrt Ukrainer und Russen.“
Der Kurpark ist jetzt am späten Nachmittag leer, fast alle Geschäfte sind
geschlossen. Die Gäste haben sich offensichtlich in die Kurhäuser – viele
alte Jugendstilvillen – zurückgezogen. „Wir sind fast ausgebucht“,
behauptet Jana. „Doch um 18 Uhr gibt es Abendessen.“ Unser Abendessen im
Augustiner, einem renovierten Kloster, ist gehobene Küche in einer modern
gestylten Oase. Rinderbraten gibt es hier nur als rosiges Filet.
Das Schwefelbad in Ostrožská Nová Ves liegt 30 Minuten von Luhačovice
entfernt. Die vielen Kreuze am Wegesrand erinnern im säkularsten Staat
Europas, wie Tschechien genannt wird, an die Zeit der k. u. k. Monarchie im
Sudetenland. Mähren ist in vielen Teilen eine verfallene Kulturlandschaft.
Wer weiß schon, dass in diesem abgelegenen Landstrich Sigmund Freud, Gregor
Mendel, Edmund Husserl oder Leoš Janáček geboren wurden. Rilke und Musil
besuchten die k. u. k. Kadettenanstalt in Mährisch-Weißkirchen.
Im Schwefelbad Ostrožská Nová Ves kuren gesetzte Herren und Damen. Zum
Mittag gibt es Gans mit Rotebeetekraut, zum Nachtisch gebratenen Apfel mit
Baisse und Puddingfüllung. Große Portionen. Das Kuren scheint hier
großzügig ausgelegt.
Ostrožská Nová Ves liegt im Bezirk Zlín, der Bata-Stadt. Die Schuhfabrik
Bata wurde 1894 von Tomáš Baťa und seinen Geschwistern Antonín und Anna
gegründet. Wir fahren vorbei an der ehemaligen Produktionsstätte und den
Arbeitersiedlungen. „Kollektiv arbeiten – individuell wohnen“ war das Mot…
des taylorisierten Betriebes. Mit funktionalen Gebäuden, einem Krankenhaus,
einem Warenhaus und dem damals größten Kino profitierte die Stadt von der
Schuhmassenproduktion.
## Industrielle Hochburg
Bata industrialisierte die Schuhherstellung. Im Jahr 1909 begann das
Unternehmen mit dem Export seiner Produkte und expandierte bereits damals
nach Europa, Nordamerika, Asien und Nordafrika. Jan Bata, der Kollaboration
mit den Deutschen bezichtigt, für die er massenhaft Militärstiefel
produzierte, ließ sich noch während des Zweiten Weltkriegs in Brasilien
nieder. Zlín wurde von den Amerikanern bombardiert, 60 Prozent der
Fabrikgebäude waren dadurch zerstört. Nach dem Einzug der Russen wurde das
Unternehmen verstaatlicht.
Zlín hieß nun zu Ehren des Ministerpräsidenten und späteren
Staatspräsidenten Gottwaldov, die Schuhe wurden unter der Marke „Morgenrot“
im Ostblock vertrieben. Auch heute ist Zlín mit seinen funktionalen
Bürohäusern, Plattenbauten, Fabriken und der Tomáš-Baťa-Universität ein
Industriezentrum. Feudaler wird es in Kroměříž. Der Erzbischofssitz und
sein Blumengarten, der nach Versailler Vorbild mit Grotten, Labyrinthen und
einem Pavillon gestaltet wurde, ist Weltkulturerbe. Lebensgroße antike
Götterstatuen stehen in der 233 Meter langen Kolonnade. Der große
Marktplatz der Stadt, gesäumt von alten bunten Bürgerhäusern und einem
Habsburger Barockbrunnen, ist das strahlende Zentrum der Stadt.
„Das ist was anderes als das zentrumslose Berlin“, sagt mein Reisegefährte
Arkadius sichtlich beeindruckt von dem verspielten Barock. Arkadius
versucht sich dank polnischer Wurzeln immer wieder an der tschechischen
Sprache. Eine große Hilfe, wenn man gar nichts versteht, beispielsweise auf
der Speisekarte des Restaurants Černý Orel direkt am Markplatz von
Kroměříž.
Arkadius übersetzt Hověží vývar s játrovými knedlíčky– ein Zungenbre…
Die junge Bedienung mit violetten Ecken im schwarzen Haar hilft ihm. Hověží
vývar s játrovými knedlíčky heißt Rindersuppe mit Leberknödeln. Danach g…
es rízek s bramborovou kasí, Schnitzel mit Kartoffelbrei. Der
Marmeladepfannkuchen, palainky plnné povidly, ist der hiesige
Kaiserschmarrn.
An den Wänden des Restaurants hängen alte Fotografien der
Schnapsbrennerfamilie Jelínek. Das Haus gehörte einst ihnen. Mähren ist
nicht nur für seine Biere und Weine bekannt, sondern auch für den Obstbrand
Sliwowitz. Rudolf Jelínek aus Vizovice hat ihn berühmt gemacht.
Die Jelínek-Brände sind bis in die letzte Ecke der Tschechischen Republik
bekannt. Im Jahr 1941 wurde die Brennerei von den Nazi konfisziert, fast
alle Mitglieder der jüdischen Familie wurden in den Gaskammern von
Auschwitz ermordet. Heute ist die Firma Jelínek eine Aktiengesellschaft.
## Wallfahrtsort für Ost und West
In Velehrad trifft sich Ost und West. Es ist ein viel besuchter
Wallfahrtsort, auch für die orthodoxe Kirche. Hier, im ersten Kloster der
Zisterzienser in Mähren, begann die Geschichte des Christentums in
Mitteleuropa. Hier wirkten Kyrill und Method – die aus Thessaloniki
stammenden Brüder, die die Slawen missionierten.
Am 5. Juli wird in Tschechien der Tag ihres Eintreffens im Großmährischen
Reich (im Jahr 863) als Nationalfeiertag begangen. Vielleicht sind sie
deshalb so beliebt im säkularen Tschechien und so bekannt wie Hus der
Wahrheitssucher, der gegen die sittliche Verwahrlosung der Kirche schon vor
Luther kämpfte.
Im modernen Klostercafé gibt es Mohnkuchen. Den Echten. Der Kuchen ist
dünn, rund, wird mit Birnen, Quark oder Mohn belegt und mit viel Streusel
bedeckt. Er kommt aus der Mährischen Walachei und trägt das Siegel
„Geschützte geografische Angabe“. Süßes Kulturerbe. Man sollte es nie
vergessen.
24 Dec 2016
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
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