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# taz.de -- Kuren in Bad Kissingen: Wassertrinken gegen Burn-out
> Zwischen Lustwandeln, aufbrausenden Freiheitshelden und stinkendem Qi:
> Gesundheitsreisen in deutsche Kurstädte bergen so manche Überraschung.
Bild: Thai Chi im Kurpark von Bad Kissingen
Dingdingdong, der Wecker. Halb sieben in der Früh und doch schon knapp.
Denn noch vor dem Frühstück im Kaiserhof Victoria ist Wassertrinken
angesetzt. Und – das zeigt der Blick aus dem Augenwinkel auf den
Anwendungsplan – danach geht es dann richtig los. Rundgang in der Klinik.
Einführung in die medizinische Trainingstherapie, Qi Gong, Nordic Walking,
Workshop Stressbewältigung, Teil eins, und abends die Nachtwächtertour –
aber die ist freiwillig. Stressbewältigung mit so einem Programm?
Warum tue ich mir das an, wo ich doch Urlaub habe? Aber ich musste ja
unbedingt eine Gesundheitsreise ausprobieren, „Impulse für ein gesünderes
Leben“ bekommen, wie es in der Beschreibung hieß. Ausschlafen gehört wohl
nicht dazu.
Eine halbe Stunde länger wach sieht die Sache schon besser aus.
Gesundheitsreisen sind nicht umsonst ein Riesentrend im Tourismus. Wobei
mit dem Modewort zunächst alles gemeint sein kann: Yogakurse auf Mallorca,
Wandern in Schweden, aber auch – und das interessiert mich vor allem – Kur-
oder Präventionsreisen. Schon relaxed und in angenehmem Ambiente, aber
durchaus mit einem ordentlichen Paket aus Gesundheitscheck, Sporttherapie
und Entspannungstraining, gern auch mit nachhaltigem Effekt. Resilienz
aufbauen nennt man das wohl in der Psychologie. Fast wie bei einer Reha.
Ein guter Ort dafür sind Kurstädte, in denen es immer schon medizinische,
therapeutische und touristische Anbieter gibt, die auch vernetzt arbeiten.
Kein Wunder, dass diese Heilbäder allein in Deutschland rund 30 Milliarden
Euro Umsatz mit Wellness- und Präventionsangeboten machen, genug für
400.000 Arbeitsplätze.
Wenn man Ines Hartmann von der Bayerische Staatsbad Bad Kissingen GmbH
glauben kann, die den Kurbetrieb dort nicht nur vermarktet, sondern auch am
Laufen hält, sind privat bezahlte Gesundheitsreisen eine wichtige
Zukunftsoption gerade für so traditionelle Standorte.
## Bevor der Burn-out kommt
„Von den Rehas her haben wir hier vor allem ein relativ altes Publikum“,
sagt sie. Das liegt daran, dass sich die Kliniken auf frische operierte
Hüft- oder KniepatientInnen spezialisiert haben. Weil diese meist in
höherem Alter sind, hat Bad Kissingen ein bisschen den Ruf einer
Rentnerstadt.
Seit ein paar Jahren arbeitet die Bayerische Staatsbad gemeinsam mit den
Kliniken und der Stadt deshalb daran, den zweiten Schwerpunkt – psychiche
und mentale Gesundheit – auszubauen. „Dafür interessieren sich am meisten
Menschen im Berufsleben.“ Ziel dabei sei nicht unbedingt dieses „seltsame
Selbstoptimieren“, sondern eher das, was PsychologInnen Selbstfürsorge
nennen.
Arbeitsverdichtung, Digitalisierung, Klimawandel, Pflegenotstand,
auseinanderdriftende Gesellschaft verunsichern und setzen die Menschen
zunehmend unter Druck: „Vielen fehlt im Alltag einfach die Zeit dafür, sich
um ihre körperliche und mentale Widerstandsfähigkeit zu kümmern“, sagt sie.
„Und bevor sie der Burn-out erreicht, machen sie selbst eine Pause – und
geben dafür auch Geld aus.“
Das Trinken in der Wandelhalle, die wie das gesamte historische
Kur-Ensemble zentral zwischen Innenstadt und dem weitläufigen Luitpoldpark
liegt, ist freundlicherweise kostenlos und lässt sich nichtsdestotrotz
stilvoll zelebrieren. Schon beim Eintreten findet man sich schlagartig in
einer anderen Zeit wieder.
Und langsamer scheint sie auch zu vergehen. Das liegt vielleicht an der
überraschenden, weil von außen kaum zu erahnenden Weite dieses Raums, der
an eine Basilika erinnert. Zumal ihn lange Säulenreihen in drei Schiffe
teilen. Lichtdurchflutete Kirchen wirken auch auf mich Ungläubige immer
sehr beruhigend, vielleicht weil sie einen in eine Art Zeitlosigkeit
versetzen.
## Der Segen einer Trinkkur
Noch mehr diese blitzende Wandelhalle, von der aus palmengesäumte
Arkadengänge zu weiteren Gebäuden und zum Ufer der Saale führen. Hier lässt
sich schlendern und auf schweren Bänken niederlassen. Lisa Lausenmeyer
passt in ihrem dezent dunkelblauen Businessoutfit sehr gut dazu, ein
bisschen wie eine Flugbegleiterin auf dem Weg in den Urlaub. Sie strahlt so
frisch, dass ich mich auf der Stelle ganz ausgedörrt fühle. Zum Glück gibt
es hier mehr als genug Wasser. Sieben Heilquellen – vier davon für
Trinkkuren nutzbar – sprudeln insgesamt in und um Bad Kissingen. Übrigens
nicht nur hier in der Brunnenhalle, etliche sogenannte Entnahmestellen sind
über die ganze Stadt verteilt.
Lausenmeyer ist eine der Brunnenfrauen, die alles über die Wirkungen der
verschiedenen Wasser wissen. Jeden Morgen von sieben bis neun und noch
einmal am Nachmittag von 16 bis 18 Uhr versorgt sie die Gäste. Wer öfter
kommt, bekommt sogar ein Glas mit einer eigenen Nummer, das ansonsten
hinter der Theke in endlosen schimmernden Regalen aufbewahrt wird.
„Wild und aufbrausend wie der ungarische Freiheitsheld“, beschreibt die
Expertin den nach ebendiesem benannten leicht kupfern schimmernden
Racoczy-Sprudel, beim vorsichtigen Nippen entpuppt er sich als
süß-salzig-mineralig. Sein Beinahe-Zwilling, der Pandur, sei dagegen
„scharf“, auf der Zunge schmeckt er salzig – und leicht blutig. „Das ko…
vom Eisen“, Lausenmeyer nickt und zeigt, wie sie die beiden Wasser in den
langen Kupferrohren auch erwärmen oder zu Bitterwasser mischen kann.
„Wichtig bei einer Trinkkur ist“, sagt sie, „dass Sie sich sehr viel Zeit
nehmen und beim Trinken langsam gehen und entspannen.“
Weiß man einmal, was man will, kann man sich an den Brunnen auch selbst
bedienen. Wie Ursula Benden, die sich ihr Glas gerade füllt. Die
Mittvierzigerin kommt jeden Morgen von ihrem Ferienapartment herübergewalkt
und legt eine „Wassermeditationspause“ ein.
Auch das Ehepaar Friedrich nutzt die frühe Stunde, schon ordentlich in
Schale, sie im hellbeigen Kleid mit passendem Mantel, er farblich dazu
abgestimmt im dreiteiligen Anzug und mit Hut. Beide locker über 70. „Wir
kommen jedes Jahr“, sagt er, „mit dem Bus“. Sie hätten da so ihren
speziellen Veranstalter. Sieben Nächte blieben sie immer, Anwendungen
buchen sie im Hotel.
Bei dem entspannten Trinken und Plaudern ist es spät geworden. Zu spät fürs
Frühstück. Dann muss es ohne gehen. In der Hescuro Klinik Regina läuft der
Betrieb schon auf vollen Touren. Der graue Zweckbau könnte auch ein
trostloses Universitätsgebäude aus den 1960er Jahren darstellen, ein
krasses Gegenstück zu den historischen Kuranlagen im Renaissancestil.
## Präventionsprogramm und Kassen-Zuschuss
Die Klinik ist wie die meisten anderen in Bad Kissingen spezialisiert auf
Orthopädie und Psychosomatik. Hier treffen PatientInnen, denen die
Rentenversicherung oder Krankenkasse nach einer Hüft-OP oder einem Burn-out
eine Reha bewilligt hat, mit Gästen wie mir zusammen, die über
Präventionsprogramme kommen.
„Stark für den Alltag“ ist so ein zertifiziertes Programm für
Selbstzahlende, das mit einem ärztlichen Aufnahmetermin beginnt und Kurse
in Nordic Walking, Qi Gong, Progressiver Muskelentspannung, Training an
Geräten sowie Bäder, Packungen und Vorträge beinhaltet. In anderen Kliniken
und Kurorten heißen die Angebote „Im Moor zum inneren Gleichgewicht“, „M…
Zeit für mich“ oder schlicht „Burn-out-Prävention“. [1][Auf Antrag schi…
die Kassen zwischen 75 und 190 Euro dazu].
Im Westflügel EG, sitzen Männer mit und ohne weiße Haare in Trainingshosen
auf den Geräten und gucken konzentriert. „Ha, 97!“, ruft der auf der
Beinpresse und klatscht in die Hände. „Well done“, bescheidet ihm sein
Nachbar. „97 Prozent im Rahmen“, erklärt er mir und zeigt auf den
Bildschirm. Auf kleinen Monitoren zeichnen die Geräte die Bewegungen der
Trainierenden nach, die weiße Linie muss die schwarze Idealvorgabe
möglichst genau treffen. Das erfordert Konzentration und spornt ganz schön
an.
„Viele hier haben eher Scheu vor Geräten und Computern“, sagt die
Physiotherapeutin. „Aber mit dem hier können sich die meisten schnell
anfreunden.“ Bei der Adduktorenübung habe ich den Eindruck, ganz schön
daneben zu liegen, komme aber auf Anhieb auf 95 Prozent. Obwohl ich meine,
das System durchschaut zu haben, wirkt es auch bei mir: Wenn das so
weitergeht, wozu bin ich dann überhaupt hier?
Beim Entspannungstraining heißt es dann: Runterfahren. In der Hescuros
Klinik wird Duft Qi Gong praktiziert. Der Name komme daher, dass manche
Praktizierende nach jahrelanger Praxis einen angenehmen Duft verströmen
sollen, steht im Handout, weil Duft Qi Gong nach der Theorie der
traditionellen chinesischen Medizin „36 Organe zum Ausscheiden von
verbrauchtem (stinkenden) Qi“ nutze. In der Turnhalle mit dem gigantischen
Panoramafenster riecht es jedenfalls ganz normal, als sich Hände und Arme
zur „Pendeltür“, dem „Fischschwanz“ und dem „Tannenbaum“ heben und…
Einem Arzt der traditionellen chinesischen Medizin habe er es zu verdanken,
dass es ihm so gut gehe, erzählt Stunden später Udo Dickhage. Und
vielleicht auch dem Wasser und all dem anderen, was es in Bad Kissingen so
gibt. Der gebürtige Hagener mit dem dichten weißen Bart, der Hellebarde und
der Laterne sieht tatsächlich nicht aus wie einer, dem vor etlichen Jahren
baldige Bewegungsunfähigkeit diagnostiziert wurde.
Gerade erst hat er eine Gruppe von 40 Gästen anderthalb Stunden lang durch
die abendliche Stadt geführt und Geschichten erzählt aus der Zeit, als noch
Nachtwächter für Ruhe und Ordnung sorgten, vermischt mit einer guten
Portion Heinz Erhard. „Ich habe lange im Stadtarchiv gewühlt und auch alte
Arbeitsverträge gelesen“, sagt er. Schließlich wolle er die Rolle möglichst
authentisch ausfüllen.„Ich mache diese Führungen, weil es mir Spaß macht�…
sagt der gebürtige Hagener. „Aber ich mache sie auch, weil ich Bad
Kissingen etwas zurückgeben will, dafür, dass ich immer noch laufen kann.“
Meine Beine sind schon ziemlich schwer, ich muss dringend ins Bett.
Selbstfürsorge schlaucht ganz schön. Aber vielleicht schaffe ich es morgen
doch mit dem Frühstück.
23 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/20.html
## AUTOREN
Beate Willms
## TAGS
Kur
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