# taz.de -- Pläne für eine Gedenkstätte: Schindlers Spuren | |
> Die alte Fabrik Oskar Schindlers in Tschechien rottet seit Jahren vor | |
> sich hin. Nun soll dort ein Ort der Erinnerung entstehen. | |
Bild: Seine Heimatstadt Svitavy (Zwittau) tut sich schwer, Oskar Schindler eine… | |
Wo der Fluss Zwittawa Böhmen und Mähren teilt, im Ort Brněnec, der einmal | |
Brünnlitz hieß, ist Petr Henzl zu Hause. Er bekommt oft Besuch aus dem | |
Ausland. Aus Polen, Großbritannien und Deutschland kommen die Menschen, | |
damit Henzl ihnen von seiner Familie erzählt und vor allem von damals, als | |
sich in Brünnlitz eine der hoffnungsvollsten Begebenheiten des Holocaust | |
abgespielt hat. | |
„Ich erinnere mich an einen polnischen Juden, den wir nach dem Krieg kurz | |
bei uns zu Hause untergebracht hatten“, erzählt der 85-jährige Henzl. „Der | |
musste immer wieder weinen, wenn er sagte ‚Nur dank Oskar Schindler habe | |
ich überlebt‘“. Es ist die Geschichte des Fabrikanten und NSDAP-Mitglieds | |
Oskar Schindler, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges 1.200 Juden | |
gerettet hat – seit 1994 durch den Film „Schindlers Liste“ weltbekannt. | |
Peter Henzl ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen. | |
Petr Henzl hat Oskar Schindler nie bewusst kennengelernt. „Aber meine Tante | |
kannte ihn gut“, sagt er. Im Haus der Tante in Brünnlitz hat Schindler | |
gegen Kriegsende ein paar Wochen lang gewohnt, der Onkel war an der Front. | |
Den Namen Schindler wollte die Tante später nicht mehr hören. „Und wenn wir | |
ihn dann doch mal erwähnt haben, warf sie nur die Hände in die Luft und | |
rief: ‚Schindlergauner‘“. | |
„Schindlergauner“, so ist Oskar Schindler in seiner Heimatstadt Svitavy | |
(Zwittau), in der er 1908 geboren wurde, bis heute bekannt. Er galt als | |
Schulschwänzer, Schürzenjäger, Säufer und Spion und gilt es noch immer. Die | |
Stadt tut sich schwer, ihrem berühmt-berüchtigten Sohn einen Ort des | |
Gedenkens zu widmen. | |
## Fünf Gebäude des einstigen KZ-Außenlagers stehen noch | |
Erst 1994, als dort die Vorpremiere von „Schindlers Liste“ stattfindet, | |
lässt sich Svitavy dazu bewegen, Oskar Schindler, der auf dem Zionsberg in | |
Jerusalem seine letzte Ruhestätte fand, ein Denkmal zu bauen. „An den | |
unvergesslichen Lebensretter der 1.200 verfolgten Juden“, steht auf Deutsch | |
und Tschechisch auf der einfachen Bronzetafel, die zwei Granitsäulen | |
verbindet. Etwas abgelegen am Rande des Jan-Palach-Parks, genau gegenüber | |
von Schindlers Elternhaus in der Policka- Straße 24, die damals Iglauer | |
Straße hieß. | |
Die alte Schindler-Fabrik liegt in Brněnec, etwa 15 Kilometer von Svitavy | |
entfernt. Insgesamt fünf Gebäude des einstigen KZ-Außenlagers stehen noch. | |
Neben dem eigentlichen Fabrikgebäude zwei Verwaltungsgebäude und ein | |
Lazarett. Sie alle sind vollkommen verfallen und verwuchert, die Wände | |
schimmeln, in manchen der Räume wächst Unkraut aus dem Boden. Der Putz ist | |
schon längst von den Wänden gebröckelt. | |
Jaroslav Nocák möchte das unbedingt ändern. Er will aus der alten | |
Schindler-Fabrik eine Gedenkstätte machen. Auch in seiner Familie gibt es | |
eine Verbindung zu Oskar Schindler. „Mein Urgroßvater hatte ein Wirtshaus | |
in Svitavy, das Schindler oft und gerne frequentierte. Und weil Schindler | |
viel trank und spielte, hatte er bei ihm Schulden“, erzählt er. Die Pläne | |
für die Gedenkstätte sind seit 2003 fix und fertig. Doch das Problem war | |
bislang das Gebäude selbst. | |
Nach dem Krieg wird die Fabrik wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung als | |
Textilfabrik zugeführt, als die sie 1839 vom Zwittauer Industriellen Moses | |
Löw-Beer gegründet wurde. Unter verschiedenen Namen (der bekannteste von | |
ihnen Vítka) produziert sie auch nach der Samtenen Revolution 1989 recht | |
erfolgreich Textilien, zuletzt Sitzüberzüge für Autos. Sie liefert an | |
Škoda, exportiert nach Skandinavien und verfügt über ein Stammkapital von | |
140 Millionen Kronen (das entsprach damals etwa 4,7 Millionen Euro). Doch | |
2003 gelingt es der Finanzgruppe CzechInvestments, die Fabrik für angeblich | |
ein Zehntel ihres Werts zu kaufen. Gemunkelt wird, dass Mitglieder der | |
Privatisierungskommission ihre Hände mit im Spiel haben. | |
Ein paar Monate später ist die Fabrik im Konkurs. Zwischen 2003 und 2010 | |
wird das ehemalige KZ-Außenlager insgesamt dreimal verkauft. Die einstige | |
„Arche“, die im Sturm des industrialisierten Massenmordes 1.200 Menschen | |
Schutz bot, wird zum Spielball von Betrügern. Vom einstigen Stammkapital | |
ist kein Heller mehr übrig, als die Fabrik 2009 geschlossen wird. Dafür | |
umso mehr Schulden, die den Betrieb in den Konkurs getrieben haben. | |
## Jetzt fängt die Arbeit an | |
Erst im Frühjahr dieses Jahres wurden die Besitzverhältnisse geklärt. „Das | |
Areal der ehemaligen Schindler-Fabrik gehört jetzt offiziell dem | |
Oskar-Schindler-Stiftungsfonds“, freut sich Novák. Er hat die langen | |
Verhandlungen geführt und steht auch dem Verwaltungsrat des Stiftungsfonds | |
vor. „Jetzt fängt die richtige Arbeit an, wir müssen die Fabrik von Grund | |
auf renovieren, um sie der Öffentlichkeit zugängig machen zu können.“ | |
Jaroslav Novák ist zuversichtlich, die Gelder für die Sanierung | |
zusammenzubekommen. „Was hier geschehen ist, ist zu wichtig, um die Fabrik | |
weiter dem Verfall preiszugeben“, sagt Novák. Der 49-Jährige pendelt | |
zwischen Prag, wo er als Lobbyist arbeitet, und Brněnec, wo er eine alte | |
Gaststätte renoviert. Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde, die zwei weitere | |
Gebäude der Stiftung überschreiben wird, sei hervorragend. | |
„Wäre Oskar Schindler ein Tscheche gewesen, dann hätte er schon längst eine | |
eigene Gedenkstätte“, sagt Radoslav Fikejz vom Städtischen Museum in | |
Svitavy. Das Museum der Stadt hat vierzehn Ausstellungstafeln, die | |
Schindlers Leben chronologisch nachvollziehen, einen Raum im Stadtmuseum | |
gewidmet. „Schon komisch“, sagt Fikejz, „in Israel wird dieser Mensch mit | |
all seinen Ecken und Kanten hoch verehrt. Hier können wir ihm noch immer | |
nicht verzeihen, dass er Deutscher war.“ | |
## „Der hat niemanden gerettet außer sich selbst“ | |
Die 68-jährige Historikerin Jitka Gruntová möchte ihm nicht verzeihen. Für | |
sie ist Oskar Schindler NSDAP-Mitglied Nummer 6421477 geblieben. „Der hat | |
niemanden gerettet außer sich selbst“, sagt sie. Theoretisch habe sie kein | |
Problem mit einer KZ-Gedenkstätte in Brněnec: „Gerade in der heutigen Zeit | |
kann es nicht schaden, an Krieg, Fanatismus und Rassismus zu erinnern“, | |
sagt sie. Nur eines lehnt Gruntová, die von 2002 bis 2006 für die | |
Kommunistische Partei im tschechischen Abgeordnetenhaus saß, kategorisch | |
ab: „So eine Stätte darf kein Denkmal für Oskar Schindler werden, das wäre | |
eine Schande.“ Die „Schindler-Juden“, meint sie, hätten auch ohne Schind… | |
überlebt. | |
„Das wohl kaum“, sagt Petr Henzl und schüttelt den Kopf. „Die Menschen d… | |
hatten ja nichts zu essen, mein Vater und andere Arbeiter aus dem Ort haben | |
ihnen ab und zu Kartoffeln oder mal ein Stück Brot zugesteckt“, erzählt er. | |
Dennoch wären viele von ihnen in den letzten Kriegsmonaten wahrscheinlich | |
verhungert. Wenn es nicht Emilie Schindler gegeben hätte. „Emilie Schindler | |
war die, die sich für die Häftlinge in Brünnlitz eingesetzt hat, Oskar war | |
ja kaum da“, sagt Henzl. Es war Emilie, die in der Mühle gegenüber um Mehl | |
bat, ihre Schützlinge zu ernähren. Ein riskantes Unterfangen. Denn Emilie | |
wusste nicht, dass sie bei der Daubek-Familie, den Betreibern der Mühle, | |
tatsächlich auf offene Ohren und Hilfsbereitschaft treffen würde. Inmitten | |
des zerstörten Europa, nur ein paar Zugstunden von der Unmenschlichkeit von | |
Auschwitz entfernt, trafen in Brünnlitz Menschen aufeinander, die halfen. | |
„Die Menschen haben überlebt. Und das ist, was zählt, nichts anderes“, | |
erklärt Petr Henzl. | |
11 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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