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# taz.de -- Stolpersteine in München: Der Streit ums Gedenken
> Eine Initiative lässt in der bayerischen Landeshauptstadt
> Erinnerungssteine verlegen – und das trotz eines richterlichen Verbots.
Bild: Die Stolpersteine für Joseph und Amalie Schuster in München
München taz | Vor einem Haus in Schwabing kniet ein Mann mit Schlapphut und
Knieschützern. Er löst mit kräftigen Schlägen zwei Pflastersteine aus dem
Boden, direkt vor der Haustür. Rund 100 Leute haben sich an diesem Tag im
Halbkreis um Gunter Demnig versammelt – den Berliner Künstler, der
europaweit an die 60.000 Stolpersteine verlegt hat, die an Opfer des
NS-Regimes erinnern.
Jetzt versenkt Demnig zwei goldglänzende Stolpersteine in die Lücken.
Schüttet dunklen Kies in die Fugen, streicht die Messingflächen sauber. Nun
kann man die Namen derer lesen, die einst in dem prächtigen Jugendstilhaus
in der Franz-Joseph-Straße 19 gewohnt haben: Amalie und Joseph Schuster,
gestorben 1944 und 1943 in Theresienstadt. Jemand legt Rosen nieder. Jan
Mühlstein, Vorstandsvorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth
Schalom, spricht zum Gedenken an die Opfer das Kaddisch, eines der
wichtigsten jüdischen Gebete. Einige wischen sich die Augen. Viele von
ihnen tragen kleine Anstecker: „Stolpersteine für München“ steht darauf.
Das Verlegen von Stolpersteinen ist in der bayerischen Landeshauptstadt
eigentlich nicht vorgesehen. Der Münchner Stadtrat hatte 2004 und 2015
diese Erinnerungsform auf öffentlichem Boden abgelehnt. Anfang Juni hatte
das Verwaltungsgericht die Klage dreier Männer abgewiesen, die Steine für
ermordete Familienangehörige verlegen lassen wollten. Trotzdem liegen in
München 31 dieser kleinen Mahnmale. Und es werden neue hinzukommen. Denn
die Stolperstein-Freunde haben sich ein legales Schlupfloch gesucht. „Wir
verlegen die Steine vor Hauseingängen oder in Toreinfahrten, haarscharf an
der Grenze zum kommunalen Grund“, erklärt Terry Swartzberg,
Vorstandsvorsitzender der Initiative Stolpersteine für München e. V. „So
liegen sie zwar auf Privatboden, wirken aber in den öffentlichen Raum
hinein.“
Swartzberg, 62 Jahre alt – silberfarbene Nickelbrille, amerikanischer
Akzent und stets mit bunter Kippa und Fahrrad in der Stadt unterwegs – ist
einer, den viele in München kennen. Der in New York geborene Jude ist seit
vielen Jahren Wahlmünchner und Mitglied der Beth-Schalom-Gemeinde. Fast 90
Mitglieder zählt die Stolperstein-Initiative. Für weitere 210 Opfer sind
bereits Steine vorbereitet.
## Knobloch: „Unwürdiges Gedenken im Straßenschmutz“
Der Stadtrat hatte sich bei seinem Nein auf die Ablehnung von Charlotte
Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München,
gestützt. Die hält Stolpersteine für ein „unwürdiges Gedenken im
Straßenschmutz“, bei dem die Namen jüdischer Opfer mit Füßen getreten
würden. Zudem seien die Bodensteine leicht zu beschmieren, Hunde könnten
dort ihr Geschäft verrichten.
„Frau Knobloch maßt sich damit an, für alle jüdischen Bürger zu sprechen�…
sagt Terry Swartzberg empört. Dazu habe sie aber kein Recht. Viele von
ihnen sähen in den Stolpersteinen durchaus eine würdige Erinnerungsform.
„Sogar Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland,
ist einer der größten Befürworter“, betont Swartzberg.
Zur Verlegung ist auch die Autorin Susanna Partsch vom Vorstand der
Stolperstein-Initiative gekommen. Sie erinnert daran, „dass in München
Euthanasie-Opfer die zweitgrößte Opfergruppe waren“. Hinzu kämen
Widerständler, Homosexuelle, Roma und Sinti, Zeugen Jehovas. Auch die
Lagergemeinschaft Dachau wünsche sich ausdrücklich die Stolpersteine. „Aber
beim jetzigen Stand darf keine dieser Gruppen diese auf öffentlichem Grund
bekommen.“
Doch sich gegen die Meinung „der Knobloch“ zu stellen, gegen eine Frau, die
eine Überlebende der Schoah ist, Präsidentin des Zentralrats der Juden war,
politisch bestens vernetzt ist, die eine Freundschaft mit Altbürgermeister
Ude und dessen Ehefrau verbindet – unmöglich. Der Stadtrat folgte ihrer
Sichtweise damals einstimmig. „Dabei wissen wir von mehreren Stadträten,
dass sie persönlich die Stolpersteine gut finden“, sagt Susanna Partsch.
„Das riecht nach Fraktionszwang.“
## Stadt der Weißen Rose
Wieso aber gesteht ein Stadtrat einer Einzelperson solch eine
Deutungshoheit zu? Das ist eine Frage, zu der viele etwas sagen, aber nur
sehr wenige zitiert werden wollen. Immer wieder ist zu hören: Der Grund ist
die politische und persönliche Allianz zwischen Knobloch und Ude. „Da
hatten sich zwei gefunden, die einander gut gebrauchen konnten“, so ein
pensionierter SZ-Journalist, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen
will. „Die zwei würden einander nie in den Rücken fallen.“ Gemeinsam
setzten die beiden den Bau der 2006 eröffneten Synagoge am Jakobsplatz
durch. Sie holten damit jüdisches Leben zurück ins Herz der Stadt. Bei Ude
mag zudem die Regimenähe seines Vaters im Dritten Reich eine Rolle gespielt
haben.
Doch in den Stolperstein-Streit spielt wohl noch etwas anderes hinein – die
Erinnerungskultur in München. Einer, der sich mit dem Gedenken in der
einstigen „Hauptstadt der Bewegung“ beschäftigt, ist der Kunsthistoriker
Christian Fuhrmeister. Er arbeitet im Zentralinstitut für Kunstgeschichte,
untergebracht in einem Verwaltungsbau des ehemaligen Parteiviertels am
Königsplatz. Fuhrmeister sagt: „München hat ein neurotisches Verhältnis zu
seiner Nazi-Geschichte. Nichts zeigt dies deutlicher als der
jahrzehntelange Widerstand gegen das neue NS-Dokuzentrum, das als unnötig
erachtet wurde, die Stadt als Täterort wurde hartnäckig geleugnet.“
München habe sich immer besser gefallen als Stadt des Widerstands und der
Weißen Rose. Jahrzehntelang sei der Platz der Opfer des Nationalsozialismus
ein Provisorium geblieben. Erst Mitte der 1980er Jahre bekam er ein
dauerhaftes Mahnmal und erst 2015 eine ästhetischere Platzgestaltung.
Keines der anliegenden Gebäude trägt den Platznamen als Adresse.
Rund die Hälfte aller Mahnmale, die nach 1945 in München errichtet wurden,
erinnere an den deutschen Widerstand, schreibt der amerikanische
Wissenschaftler Gavriel D. Rosenfeld in seiner Dissertation. Nur eines
erinnere an die besondere Rolle der Stadt in der NS-Zeit, dort, wo früher
die Münchner Gestapo-Zentrale stand. Allein hier werde explizit an die
Täterschaft der Deutschen erinnert. Das trüge bei zum „Image einer Stadt
ohne Täter, einer Stadt, in der es nur Opfer gibt“, so Rosenfeld.
Kunsthistoriker Fuhrmeister glaubt: „In diesem Spannungsfeld zwischen
Fakten und Vergangenheitsdeutung haben damals OB Ude und die
Stadtverwaltung offenbar eine gewisse Tendenz entwickelt, Entscheidungen
autokratisch durchzusetzen und Kontroversen abzuwürgen.“
## Eklat bei Dauerausstellung
Schon einmal gab es in München einen Eklat um das richtige Gedenken: 2002,
bei der Dauerausstellung „Nationalsozialismus in München“ im Stadtmuseum.
Am Abend vor der Eröffnung entsetzte Ude sich über einige Originalstücke,
einen Ehrendolch der SA und einen Porzellanschäferhund, 1938 in der
SS-Porzellanmanufaktur Allach gefertigt. „Ude fürchtete, Besucher könnten
sich an diesen faschistischen Kultreliquien begeistern“, erzählt
Fuhrmeister. Der Ausstellungsbeginn wurde verschoben, die Stücke entfernt.
„Da entstand bei vielen der Eindruck eines Besserwissers und
Bescheidwissers, und genau dieses Gefühl wiederholt sich nun in der
Stolperstein-Debatte“, meint der Kunsthistoriker.
Es sind nur wenige Schritte von seinem Büro zum neuen
NS-Dokumentationszentrum, das erst 2015 seine Türen öffnete. Eine Abteilung
widmet sich explizit dem Verdrängen und Gedenken. Doch die Stolpersteine
tauchen in den Erklärungen nur in dürren Worten auf. „Der Münchner Stadtrat
sprach sich 2004 aus Pietätsgründen gegen eine Verlegung auf öffentlichem
Grund aus“, steht da. Kein Wort zur Kontroverse, die nun mehr als zehn
Jahre dauert.
Vor einem Jahr bot der Stadtrat eine Alternative an: Stelen vor oder
Erinnerungstafeln an den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer. Das hält Susanna
Partsch für unsinnig. „Stelen muss man in der Nacht beleuchten, Hunde
würden erst recht dort ihr Geschäft machen und Leute ihre Fahrräder
anketten.“ Bei den Tafeln müsste jeder einzelne Hausbesitzer zustimmen.
Aber da würden viele mauern, ist sich Partsch sicher. „Weil sich dann die
Frage aufdrängt: Wie sind damals die enteigneten Wohnungen in den Besitz
der heutigen Eigentümer gelangt?“ Immerhin sei in München viel Grundbesitz
„arisiert“ worden. Partsch glaubt: „Hätte man in Berlin immer die
Hausbesitzer gefragt, dann gäbe es dort auch keine 7.000 Tafeln.“
8 Aug 2016
## AUTOREN
margarete moulin
## TAGS
München
Stolpersteine
Erinnerungskultur
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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Sinti und Roma
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Einheitsdenkmal
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