# taz.de -- Uran-Arbeitslager in Tschechien: Die Hölle im Erzgebirge | |
> Mukl – so nannten sich die Häftlinge von Jáchymov, die für die | |
> sowjetische Atombombe Uranerz schürften. Viele von ihnen überlebten | |
> nicht. | |
Bild: Der „Rote Turm des Todes“ – wer hier Uranit abfüllte, war verloren… | |
Jáchymov taz | „Ich will mir das Elend gar nicht ansehen! Ich muss nur | |
weinen“, sagt Zdeněk Mandrholec und schaut die Straße hoch, die sich durch | |
das böhmischen Erzgebirgsstädtchen Jáchymov zieht. Dort oben, vor der | |
Kirche des heiligen Joachim, dem Patron der Stadt, stehen 16 Gedenksteine. | |
Es ist ihr verwahrloster Zustand, der den 86 Jahre alten Zdeněk Mandrholec | |
aufbringt. Der Sandstein ist so verwittert, dass man nur noch mit Mühe die | |
Inschriften lesen kann: Mariánská, Rovnost, Svornost. „Das ist eine | |
Schande, dass keiner dieses Mahnmal pflegt“, schimpft Mandrholec, der, die | |
Augen hinter einer schwarzen Brille, sich dann doch entschließt, die Steine | |
zu betrachten. | |
Sie sind Erinnerung an die Zeit, in der der Stalinismus die stolze | |
Bergbaustadt fest im Griff hatte. War es das Silber, das Jáchymov – bis | |
1945 Sankt Joachimsthal – berühmt machte, so war es das Erz Uranit, das es | |
im 20. Jahrhundert in Verruf brachte. Jeder der Steine steht für einen der | |
16 Uran-Gulags, in denen zwischen 1948 und 1961 knapp 100.000 Häftlinge, | |
größtenteils politische, für die sowjetische Atombombe schufteten. Zwölf | |
davon waren rings um Jáchymov versteckt. | |
Die Häftlinge selbst nannten sich, mit einem ein Hauch Schwejk’schen | |
Galgenhumors, „Mukl“. Das steht für Muž určeno k likvidaci – ein „zur | |
Liquidation bestimmter Mann“. In den Minen starben offiziell etwa 500 | |
Menschen, durch Unfälle, sie wurden ermordet oder nahmen sich das Leben. | |
Wie viele den Spätfolgen der Radioaktivität erlagen, ist nicht bekannt. | |
Auch Zdeněk Mandrholec war ein Mukl. Die Kommunisten, die ihn und seine | |
Mutter nach der Machtübernahme 1948 aus der Wohnung jagten, um sie einem | |
ihrer Funktionäre zu geben, verabscheute er zutiefst. Eigentlich wäre er | |
als junger Mann emigriert, nur wollte er seine Familie nicht zurücklassen. | |
Stattdessen wurde er eingezogen. „In der Armee war ich dann Teil einer | |
kleinen Widerstandsgruppe und flog auf“, erzählt Mandrholec. Er wurde zu | |
zehn Jahren Arbeitslager verurteilt und kam nach Jáchymov. | |
## Zu mager für die Zwangsarbeit | |
Arbeitslager, das bedeutete Achtstundenschichten täglich unter Tage. Und | |
Hunger. „Das Essen bestand aus Minirationen wässriger Suppe. Erst als die | |
Sowjets merkten, dass wir kaum fähig waren zu arbeiten, wiesen sie die | |
tschechischen Aufseher an, die Rationen zu erhöhen.“ Bei seiner | |
Verurteilung war Mandrholec 23 Jahre alt. „Mit dem Urteil verlor ich auch | |
mein Eigentum und meine Bürgerrechte“, sagt er und zeigt mit seinem | |
Gehstock auf den Stein, der den Namen „Nikolaj“ trägt. | |
„Das war mein erstes Lager“, sagt Mandrholec, das nächste heißt Mariánsk… | |
„Das war das perfideste, zu dem gehörten zwei Minen namens Adam und Eva“, | |
weiß Mandrholec. „Ursprünglich ein Kapuzinerkloster, hatte es die | |
Staatssicherheit zu einer Folterkammer umgewandelt.“ Besonders brutal | |
sollen dort Frauen gefoltert haben – ihre Spezialität „Tomatenpüree“: E… | |
Häftling wurde nackt an die Decke gehängt, dann schlugen sie ein nasses | |
Handtuch um seine Hoden, um es kräftig auszuwringen. „Die Schreie konnte | |
man im ganzen Lager hören.“ | |
Mandrholec selbst hatte in der Mine Eva einen Unfall, dessen Nachwirkungen | |
er bis heute spürt. „Bei dem schlechten Licht da unten bin ich auf einen | |
Nagel getreten, der sich bis zum Knöchel durch meinen Fuß bohrte“, erzählt | |
er. Dass der Unfall glimpflich ausging, verdanke er vor allem dem | |
behandelnden Arzt, sagt Mandrholec. „Jan Šmíd, auch ein Mukl. Er war zu 23 | |
Jahren verdammt worden, er war der Leibarzt des zweiten | |
tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš.“ | |
## Dunkel, nass beengt | |
„Das Erzgebirge ist wie ein Emmentaler Käse. Irgendjemand hat mal 1.100 | |
Stollen gezählt“, sagt Michael Rund und begrüßt Zdeněk Mandrholec. Die | |
beiden kennen sich, seitdem Mandrholec als Zeitzeuge an Projekten des | |
Museums Sokolov, das Michael Rund verwaltet, auftritt. „Bei Stollen eins | |
handelte es sich um einen Stollen, in dem die Mukl 1951 erfolglos nach Uran | |
gesucht haben. | |
Seit 2008 wird er nun von unserem Museum betrieben“, erzählt Rund. Auf etwa | |
360 Meter kann man sich vorstellen, wie das Leben eines Mukl ausgesehen | |
haben muss: dunkel, nass und beengt. „Es gibt auch heute immer noch Leute, | |
die behaupten, in Jáchymov habe es keine Lager gegeben. Daher ist es | |
besonders wichtig, dass wir hier Beweisstücke ausgestellt haben, die von | |
den Lagern zeugen“, meint Rund und hält ein Stück Stacheldraht in die Höhe. | |
Hoch über Stollen eins thronte einst das Lager Svornost, zu Deutsch: | |
Eintracht. Abgeschirmt im Wald, war es nur über eine lange Treppe zu | |
erreichen. Die wurde von den Häftlingen „Mauthausen-Treppe“ genannt. „So | |
richtig genau weiß es heute keiner mehr, aber wir schätzen, dass der Name | |
von Mukl kam, die während der Nazizeit im KZ Mauthausen inhaftiert gewesen | |
waren. Und ehemalige KZ-Häftlinge gab es in den Uran-Gulags genug“, sagt | |
Rund. Wie fließend die Übergänge waren, zeigt die Losung, die über dem Tor | |
der Uranlager prangte und die auch heute wieder den Eingang zum Lager | |
Svornost markiert: „Prácí ku svobodě – Arbeit macht frei“. | |
## „Die Sowjetunion, unser Vorbild“ | |
„An diesen Spruch kann ich mich persönlich nicht mehr erinnern“, sagt | |
Zdeněk Mandrholec. Sein Blick schweift über das Gelände, auf dem einst das | |
Lager stand, in dem er am längsten schuftete, Rovnost – Gleichheit– liegt | |
tief in den Bergen über Jáchymov. „Hier gab es einen anderen Spruch: ‚Die | |
Sowjetunion, unser Vorbild‘“, sagt Mandrholec. Noch während seiner | |
Lagerzeit wurde die Losung abmontiert. „Wir Mukl machten uns darüber | |
lustig, denn für uns war die Sowjetunion nichts weiter als ein Vorbild für | |
die Versklavung von Menschen. Irgendwann hat das die Lagerleitung auch | |
gemerkt.“ | |
„Hier ist ein Trampelpfad, der ist neu“, ruft Tomáš Bouška und zeigt auf | |
ein Stück ausgetretenes Gras, das zu einer Lichtung führt. Bouška ist ein | |
hochgewachsener Mittdreißiger, der in Prag als Projektmanager und | |
Hochschuldozent arbeitet. Der promovierte Politologe hat es zu seinem | |
Projekt gemacht, die Geschichte von Jáchymov dem Vergessen zu entreißen. | |
Auf der kleinen Lichtung steht heute noch die Ruine der Umkleidebaracke. | |
Gleich nebenan erstreckt sich auf dem Lagergelände eine Ferienhaussiedlung. | |
Mit seiner Initiative političtí věžní.cz, Politische Gefangene.cz, sammelt | |
Bouška Material zu Jáchymov, die er auf der Website veröffentlicht, bringt | |
Zeitzeugen in Schulen und organisiert Exkursionen. „Der Lehrpfad und auch | |
das Freilichtmuseum im Lager Svornost sind ein guter Anfang“, meint Bouška. | |
## Im Turm des Todes | |
Das Symbol der Uranlager von Jáchymov steht im Tal: der Rote Turm des | |
Todes. In sechs Etagen wurde dort Uranit gemahlen, verpackt und auf Züge | |
verladen, die ihre strahlende Fracht direkt in die Sowjetunion brachten. | |
Ohne Schutz, meist mit bloßen Händen, mussten die Häftlinge mit dem | |
radioaktiven Erz arbeiten. Wer dort radioaktiven Staub einatmete, den | |
schrieb das Regime ab. Hier war ein Mukl tatsächlich „frei zur | |
Liquidierung“. Ein Drittel der Häftlinge, die dort arbeiteten, waren | |
Geistliche. | |
Der rechteckige Backsteinturm gilt heute als Nationales Kulturdenkmal, zu | |
besichtigen ist er aber nicht einmal von außen. Der Turm steht in einem | |
geschlossenen, gut bewachten Industriegebiet. „Ohne Erlaubnis der | |
Konföderation politischer Gefangener darf niemand zum Turm“, bellt eine | |
alte Frau am Eingang. | |
Die Konföderation politischer Gefangener, kurz KPV, ist ein Zusammenschluss | |
der Mukl, der nach der Wende gegründet wurde. Den Verein umgibt ein Hauch | |
Obskurität. So ist etwa belegt, dass ehemalige Mitarbeiter der | |
Staatssicherheit zu den Gründungsmitgliedern gehören. Doch inzwischen sind | |
die Kräfte der Konföderation erlahmt. Bei einem Durchschnittsalter von 80 | |
Jahren lichten sich die Reihen. Auch Zdeněk Mandrholec, obwohl selbst | |
prominentes Mitglied der Konföderation, darf heute nicht an den Turm. Er | |
zuckt mit den Schultern, er wird eh bald wiederkommen, zur | |
Kranzniederlegung beim alljährlichen Gedenken. | |
Mandrholec hat es nicht weit. Als er sechs Jahre nach seiner Verhaftung | |
1960 dank einer Amnestie dem Lager entkommt, ließ er sich im benachbarten | |
Karlsbad nieder. „Damals wog ich noch 49 Kilo“, sagt Mandrholec. Knapp 30 | |
Jahre alt, hatte er seine Lebenslust verloren und konnte nicht mehr essen. | |
Ein befreundeter Arzt empfahl ihm, er solle jede der zwölf Karlsbader | |
Quellen ausprobieren. Deren Wasser ihm am besten bekomme, von der sollte er | |
so viel trinken, wie er kann, erinnert sich Mandrholec: „Nach drei Monaten | |
konnte ich wieder essen. Und erst dann fiel mir der Name dieser Quelle auf: | |
Freiheit.“ | |
18 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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