# taz.de -- Hochwasser in Sachsen: „Lieber Wasser im Wohnzimmer“ | |
> In Roßwein haben Bürgerproteste eine Flutschutzwand verhindert – sie | |
> hätte den Blick versperrt. Nun steht die mittelsächsische Kleinstadt | |
> unter Wasser. | |
Bild: Sachsen: Im Gegensatz zu Roßwein hat Rochlitz eine Spundwand. | |
ROSSWEIN taz | In einigen Häuschen der Uferstraße stand hier vor zwei Tagen | |
das Wasser knietief im Erdgeschoss. Andere Anwohner hatten sich spezielle | |
Barrieren gebaut und blieben ganz trocken. So herrscht an der Mulde im | |
mittelsächsischen Roßwein insgesamt eine erstaunliche Gelassenheit. Nicht | |
der Hochwasserscheitel am Dienstag ist hier der große Aufreger, sondern die | |
geplante Flutschutzmauer. Die spaltet seit rund sieben Jahren das | |
Städtchen. | |
2002 war Roßwein wie viele Orte in Sachsen vom Jahrhunderthochwasser | |
überspült worden. Die Landestalsperrenverwaltung beschloss darauf, etwas zu | |
tun. Sie setzte auf technischen Hochwasserschutz. Eine Mauer am Flussufer | |
mit beträchtlicher Höhe sollte entstehen. | |
Der parteilose Bürgermeister Veit Lindner hebt seinen Arm auf Augenhöhe, um | |
den Verlauf der geplanten Mauerkrone zu demonstrieren. Die | |
Talsperrenverwaltung hatte schon einmal ein Pappmodell aufgebaut, um für | |
mehr Akzeptanz zu werben. Doch mit ihrer Bürgerinformation erreichte sie | |
das Gegenteil. „Lieber alle paar Jahre Wasser im Wohnzimmer als ständig | |
eine Mauer vor dem Fenster“, sagen die einen. Die anderen hätte es weniger | |
gestört, dass der Blick auf den Fluss verbaut werden sollte. | |
Doch zunehmend formierte sich Widerstand. „Man hörte nur noch negative | |
Stimmen“, berichtet Bürgermeister Lindner. Einwände im | |
Planfeststellungsverfahren häuften sich. Im Jahr 2012 ließ die | |
Talsperrenverwaltung endgültig den Mauerbauplan fallen. „Dort, wo | |
Hochwasserschutz partout nicht gewollt ist, wird er auch nicht gemacht“, | |
sagte auch Sachsens Umweltminister Frank Kupfer (CDU) resigniert. | |
Der Fall Roßwein steht stellvertretend für zahlreiche andere verzögerte | |
oder verhinderte Hochwassersperren – nicht nur in Sachsen. In Grimma wurde | |
eine Schutzwand am Flussufer durch Bedenken der Denkmalschützer, durch | |
Bürgerinitiativen und Grundstückseigentümer verzögert. Auch aus | |
Wilkau-Haßlau, Oberbobritzsch oder Niederseidewitz bei Pirna sind ähnliche | |
Konflikte bekannt. Die Stadt Radebeul wandte sich nach langer Diskussion | |
gegen eine riesige Spundwand im Ortsteil Kötzschenbroda. | |
## Widerstand per Gesetz brechen | |
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ist verärgert und will | |
den Widerstand gegen den Hochwasserschutz jetzt per Gesetz brechen. Er hat | |
eine Bundesratsinitiative angekündigt, die in solchen Fällen | |
Individualrechte zugunsten von Gemeinschaftsrechten einschränken soll. | |
Aber ist wirklich jede Hochwassermauer sinnvoll? Wie die Einwohner seiner | |
Stadt ist auch Roßweins Bürgermeister hin- und hergerissen. „An einigen | |
Stellen wie am Stadtbad hätte eine Schutzwand genützt und Reaktionszeiten | |
verlängert“, meint Veit Lindner. Andererseits bezweifelt auch er, ob die | |
Wand der Flut zu Wochenbeginn standgehalten hätte. Immerhin erreichte die | |
Mulde den zweithöchsten Pegel seit 1958. Der Bürgermeister versteht die | |
optisch-ästhetischen Bedenken: „Bei einer Betonwand hätte mancher gedacht, | |
er stünde am Todesstreifen!“ | |
Ökologische und hydrologische Argumente bringt hingegen Kay Hanisch von der | |
„Initiative für einen bürger- und umweltfreundlichen Hochwasserschutz“ vo… | |
Eine Mauer staue auch das Regenwasser auf der Uferseite. Das habe sich | |
jüngst im benachbarten Döbeln gezeigt. Und für Ausbreitungsräume und | |
Zuflüsse und Randbedingungen interessiere sich die Talsperrenverwaltung | |
nicht, klagt Hanisch. | |
## Unsinnige Verengung | |
Der pensionierte Ingenieur Lothar Grandke hat anhand der Planungsunterlagen | |
selber nachgerechnet. Sein Ergebnis: Die Einengung des Flusses erhöhe die | |
Fließgeschwindigkeit. Sogar die Talsperrenverwaltung habe einräumen müssen, | |
dass damit auch der Spitzenpegel um 30 Zentimeter steige. | |
„Einzwängen bringt nichts“, sagen deshalb die meisten derer, die wie | |
Grandke unmittelbar an der Mulde leben. Viel wirksamer sei die Ausbaggerung | |
von rund 40 Zentimetern Schlamm und Geröll im Flussbett nach 2002 gewesen. | |
Man genießt lieber die Nähe zum Fluss während der übergroßen Mehrheit der | |
Tage – und arrangiert sich mit seinen Tücken in den wenigen Tagen des | |
Hochwassers. | |
Der Mahle-Schmiede, in der in Roßwein Ppleuelstangen für Automotoren | |
herstellt werden, aber gibt sich mit dem Verzicht auf den Hochwasserschutz | |
nicht zufrieden. Der Betrieb ließ um das Firmengelände einen privaten Deich | |
ziehen. Der ist höher als das Rekordhochwasser von 2002. | |
5 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
## TAGS | |
Hochwasser | |
Sachsen | |
Flut | |
Hochwasserschutz | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Hochwasserschutz | |
Hochwasser | |
Flut | |
Überflutung | |
Hochwasser | |
Hochwasser | |
Passau | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regen ohne Ende: Die Natur schlägt zurück | |
Vor 20 Jahren erreichte das Oderhochwasser seinen Höhepunkt. Dieses Jahr | |
versinkt Berlin im Regen. Was hat beides miteinander zu tun? | |
Hochwasser in Deutschland: Rekordpegelstand in Magdeburg | |
In Sachsen-Anhalts Hauptstadt drängt die Elbe gegen die Deiche. In | |
Bitterfeld sind 10.000 aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen, während sich | |
in Tschechien die Lage entspannt. | |
Ökologischer Hochwasserschutz: Begrenzte Wirkung | |
Höhere Deiche und starke Staudämme helfen nicht gegen die Fluten. Können | |
die Betroffenen von ökologischen Maßnahmen Hilfe erwarten? | |
Hochwasser in Deutschland: Die Flut bleibt länger | |
Finanzminister Schäuble kündigt Hilfen für Flutopfer an. Unterdessen hat | |
die Scheitelwelle der Elbe Dresden erreicht. Die Lage an Saale und Donau | |
bleibt kritisch. | |
Umweltschützer über Deichgegner: „Am Ende zahlt die Allgemeinheit“ | |
Bürger gehen oft gegen neue Deiche auf die Barrikaden. Wer sie von besserem | |
Hochwasserschutz überzeugen will, braucht geschultes Personal. | |
Hochwasser im Norden: Die Welle kommt | |
Die Katastrophenstäbe bereiten sich auf eine Rekordflut an der Elbe vor. | |
Der Naturschutzbund fordert indes mehr Überflutungsflächen. | |
Kommentar Hochwasserkatastrophe: Trocken bleibt es nur auf dem Berg | |
Die Forderung nach Retentionsräumen greift zu kurz. Klimawandel ist nicht | |
umkehrbar. Vor dem Hochwasser ist man im Zweifel kaum gefeit. | |
Politikerbesuche in den Flutgebieten: In großen Stiefeln | |
Bundeskanzlerin Merkel besucht Dienstag die überfluteten Städte. Schuld am | |
Hochwasser hat der Dauerregen, aber der Mensch hilft ganz kräftig mit. | |
Hochwasserrekord in Passau: „Das war mal mein Garten“ | |
Die Dreiflüssestadt an der Grenze zu Österreich steht unter Wasser. Die | |
PassauerInnen versuchen das Beste aus der Katastrophe zu machen. |