# taz.de -- Klage gegen aufgesetztes Parken: Rechtsweg voller Hindernisse | |
> In Bremen verklagen Anwohner*innen die Stadt, damit sie Maßnahmen | |
> gegen das Gehwegparken ergreift. Die Klage bewegt sich auf neuem Terrain. | |
Bild: Anderen im Weg: Parkende Autos auf dem Gehweg | |
BREMEN taz | Der Fall ist klar: Auf Bürgersteigen darf man nicht parken, es | |
sei denn, es wird explizit erwähnt. Der Fall ist klar? Nun ja. Das | |
aufgesetzte Parken wird in Bremen weiträumig geduldet: Bis nah an die | |
Grundstücksgrenzen heran, bis weit auf die Straße stehen in vielen kleinen | |
Wohnstraßen die immer breiter werdenden Pkw – in Einbahnstraßen teilweise | |
beidseitig. | |
Fünf Anwohner*innen aus drei betroffenen Straßen verklagen nun die | |
Stadt vor dem Verwaltungsgericht. Es könnten wohl auch mehr Betroffene aus | |
mehr Straßen sein, denn, das [1][zeigt ein Bericht der Verwaltung,] | |
zahlreiche Straßen in Bremen leiden unter Gehwegparken. | |
Ein Foto der zugeparkten Mathildenstraße nimmt Richterin Maike Jörgensen in | |
der Verhandlung am Donnerstag noch für die Prozessakte an. Die Anekdoten | |
der fünf Kläger*innen aber, über Kinderwagen, die nicht auf den Gehweg | |
passen, über Besucher*innen mit Gehhilfen, die den Weg zum Haus nicht | |
bewältigen können, kürzt sie ab: „Jeder weiß, dass es so ist“, erklärt… | |
„Dass in den Bremer Straßen [2][regelmäßig gegen die Straßenverkehrsordnu… | |
verstoßen wird,] ist unstrittig.“ | |
Beklagt wird die Verkehrsbehörde. Sie soll, so der Antrag der Kläger*innen, | |
„geeignete und wirksame Maßnahmen“ ergreifen, um das regelwidrige Parken zu | |
verhindern; das Ganze müsse durch eine Evaluation begleitet werden. | |
## Kontrollen fehlen fast völlig | |
Eigentlich aber, da sind sich die Kläger*innen einig, hätten sie lieber | |
nicht das grün geführte Verkehrsressort, sondern das Innenressort unter | |
Bremens SPD-Senator Uli Mäurer im Gerichtssaal gesehen, das für die | |
Kontrollen zuständig ist. Denn kontrolliert, so beschreiben es die | |
Kläger*innen aus den drei Straßen, wird nicht etwa selten, sondern nie. | |
Bremen hat in dem Stadtteil Östliche Vorstadt ein [3][bundesweit beachtetes | |
Modellprojekt zum korrekten Parken] gestartet. Abseits des | |
[4][“Sunrise“-Modellquartiers] ist davon aber nichts zu spüren. | |
Das Gericht gibt zu bedenken, dass auch Ordnungsamt und Polizei mit ihren | |
Ressourcen haushalten müssen und nicht überall sein können. Doch das | |
Argument nimmt Kläger Hubertus Baumeister nicht ernst: „Sie kontrollieren | |
durchaus regelmäßig in den Parkbuchten, um dort Knöllchen zu verteilen, | |
wenn ein Parkzettel abgelaufen ist“, gibt er zu bedenken. „Es ist eine | |
bewusste Entscheidung, nicht auch in die Straßen zu gehen.“ | |
Dafür, dass das so ist, hat er sogar Belege: Aus dem Innenressort hatte er | |
vor gut drei Jahren auf eine Beschwerde hin die Antwort bekommen, dass die | |
mangelnde Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten nicht zu beanstanden sei – | |
schließlich gebe es noch ein Durchkommen. „Der Innensenator schafft durch | |
das Ignorieren dieser Verstöße eine eigene Bremer Straßenverkehrsordnung“, | |
erklärt Baumeister. Im Gerichtssaal gibt’s Applaus. | |
## Eine Instanz muss verantwortlich sein | |
Doch Ordnungsamt und Polizei können, anders als bei Straftaten, nach dem | |
Opportunitätsprinzip handeln: Sie können nach freiem Ermessen entscheiden, | |
ob sie eine Ordnungswidrigkeit verfolgen oder nicht. Wenn sie es nicht tun, | |
kann man sie nicht verklagen. | |
Irgendjemand aber, so finden die Kläger, so hält es das Gericht für | |
naheliegend, muss verantwortlich sein. Dass das die Verkehrsbehörde sein | |
könnte, stützt die Anklage auf [5][Paragraf 44 der Straßenverkehrsordnung:] | |
„Zuständig zur Ausführung dieser Verordnung sind, soweit nichts anderes | |
bestimmt ist, die Straßenverkehrsbehörden“, steht dort. | |
Neu und ungewöhnlich ist diese Rechtsauffassung trotzdem. Der rechtliche | |
Vertreter des Verkehrsressorts, Jens Lange, realisiert erst nach einer | |
halben Stunde Verhandlung, dass das Gericht die Argumentation der Kläger | |
gegen seine Behörde tatsächlich angenommen hat. | |
## Die Klage betritt Neuland | |
Auch sonst bewegt sich die Klage auf ganz neuem Terrain: Es gibt keine | |
Rechtsvorbilder, keine Urteile. Die Klage ist zugelassen, das Gericht zeigt | |
seine Tendenz, der Argumentation erst einmal zu folgen, das Problem zu | |
klären. Aber die Richter*innen machen auch deutlich: Es ist kompliziert, | |
es hakt überall. | |
Klar besagt [6][Paragraf 12 der Straßenverkehrsordnung,] dass das Parken | |
auf dem Gehweg verboten ist. Aber geht es hierbei nicht einfach nur ums | |
allgemeine Ordnen des Verkehrs? Dürfen Einzelne daraus Klagerechte | |
ableiten? „Wir argumentieren, dass das Verbot schützend wirkt für jene, die | |
den Gehweg benutzen“, erklärt Andreas Reich, der Anwalt der Kläger*innen. | |
„Die dürfen also auch klagen, um den Schutz ihrer Freiheit durchzusetzen.“ | |
Das Gericht hadert offen: Sicher ist man sich nicht, ob diese Begründung | |
gelten kann. „Wir halten es nicht für ausgeschlossen“, so Richter Jasper | |
Lange, „wir müssen das ermitteln.“ | |
## Gehweg ist noch benutzbar – oder auch nicht | |
Ähnliches gilt für den Antrag, dass die Straßenverkehrsbehörde tätig werden | |
müsse. Selbst wenn man annimmt, dass sie zuständig ist, hat sie eigentlich | |
einen Ermessensspielraum. Die Klägerseite argumentiert deshalb, die | |
Eingriffe in ihre Freiheit als Nutzer*innen des Gehwegs seien so stark | |
betroffen, dass das Entschließungsermessen auf null reduziert sei. Heißt: | |
Die Behörde kann gar nicht anders als handeln. | |
Auch ob das so durchgeht, ist bei Weitem nicht sicher; das Gericht erklärt | |
seine Zweifel: Ist die Freiheit, nebeneinander zu gehen, qualitativ | |
gewichtig genug, um das Entschließungsermessen auf null zu setzen? | |
Komfortabel ist es nicht, wenn man sich drängen muss, findet Richter Jasper | |
Lange. „Aber die Benutzung ist noch möglich“. | |
„Nicht mit dem Rolli“, ruft Malte Halim, selbst Rollstuhlfahrer. Doch Halim | |
wird gebeten, zu schweigen, sein Einwand zählt nicht: Schließlich sitzt er | |
heute nur im Zuschauerraum, verhandelt werden können nur die | |
Privatinteressen der Kläger*innen. „Ich weiß natürlich, dass es sich nicht | |
gehört, in der Verhandlung reinzurufen“, sagt er später. „Aber ich wollte | |
das nicht so stehenlassen. Die Benutzung ist eben nicht für alle möglich.“ | |
Die Richter*innen halten eine Pflicht der Behörde zu handeln aus anderen | |
Gründen für möglich: Die schiere Menge an Verstößen könnte dafür spreche… | |
den Ermessensspielraum auf null zu setzen. In den Straßen der | |
Kläger*innen sind die Gehwege nicht manchmal verstopft, sondern | |
regelhaft, 365 Tage im Jahr. „Das wiegt schon schwer“, bestätigt die | |
Vorsitzende Richterin. | |
## Die Betroffenen wollen ein Grundsatzurteil | |
Das Gericht bietet beiden Seiten einen Vergleich an: Zeitlich befristet | |
möge das Straßenverkehrsamt ein Halteverbotsschild aufstellen und Flyer | |
verteilen, in denen die Rechtslage erklärt wird. | |
Der Vergleich geht auf mehrere Forderungen aus dem Antrag der Kläger ein; | |
die nehmen ihn trotzdem nicht an. Man will ein Grundsatzurteil. „Die | |
Zuständigkeit wäre mit einem Vergleich immer noch nicht geklärt“, erläute… | |
Anwalt Reich. Und Kläger Baumeister geht im Gespräch mit der taz noch einen | |
Schritt weiter. „Uns geht es um den Schutz der Fußgänger“, erklärt er. | |
„Wenn nötig und möglich ziehen wir damit bis vors Verfassungsgericht. Das | |
Problem gibt es ja nicht nur in Bremen.“ | |
Das Urteil ist noch nicht gefallen am Ende des Prozesstages. Und das | |
Gericht macht deutlich: Angesichts der Komplexität dürfte das auch noch | |
zwei Wochen dauern. | |
13 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://sunrise-bremen.de/wp-content/uploads/2020/09/Bericht_SUNRISE_bis_20… | |
[2] /Verkehrsentwicklung-in-Bremen/!5686418 | |
[3] /Falschparker-auf-Bremer-Buergersteigen/!5786216 | |
[4] https://sunrise-bremen.de | |
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__44.html | |
[6] https://dejure.org/gesetze/StVO/12.html | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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