# taz.de -- Jamila Woods' Debütalbum „HEAVN“: Der afroamerikanische Kreide… | |
> Jamila Woods aus Chicago und ihr tolles Debütalbum „HEAVN“ – ein Appel… | |
> rassistische Exzesse mit Kreativität abzuwehren. | |
Bild: Jamila Woods erweist sich gleich mit dem Debüt als Bescheid wissende Kü… | |
Es wird sofort klar, wer die „Brothers“ sind, die Jamila Woods in ihrem | |
Song „VRY BLK“ besingt: Laquan McDonald, 17, Quintonio LeGrier, 19, und | |
Bettie Jones, 55, um nur drei Schwarze zu nennen, die in den Jahren 2014 | |
und 2015 in Chicago, Heimatstadt der jungen Rapperin, von weißen | |
Polizeibeamten erschossen wurden. | |
„You take my brother, brother, brother / I fight back, back, back“, singt | |
die afroamerikanische Künstlerin in dem zweiten Song ihres Debütalbums | |
„HEAVN“; darin behandelt sie die krasse Mordserie an Schwarzen, die Chicago | |
seit einigen Jahren heimsucht. | |
Aber wie viel Leichtigkeit, Verspieltheit und unzerstörbare Lebensfreude in | |
Woods' Sound liegt, während sie brutalste Realitäten in Verse gießt: „If I | |
say that I can’t breathe / Will I become a chalk line?“ („Wenn ich sage, | |
dass mir die Luft zum Atmen fehlt, werde ich dann zu einer dieser | |
aufgezeichneten Kreidelinien?“) | |
Struktureller Rassismus und Segregation auf der einen und die Feier | |
afroamerikanischer Kulturtradition auf der anderen Seite – das sind | |
zentrale Anliegen der 26-Jährigen. Die 13 Songs klingen wie der Soundtrack | |
zur #blacklivesmatter-Bewegung. Man kann sie momentan kostenfrei auf der | |
Website ihres Labels Closed Sessions herunterladen. | |
„HEAVN“ beschreibt insbesondere die Situation junger schwarzer Frauen in | |
den USA und ist als Appell zu verstehen, den rassistischen Exzessen der | |
jüngeren Zeit mit kreativer Gegenwehr zu begegnen. Wenn man sich Woods’ | |
Werdegang anschaut, so kommt dieses Engagement nicht überraschend: Sie | |
arbeitet in verschiedenen Jugendprojekten in Chicago als Mentorin. Etwa als | |
stellvertretende künstlerische Leiterin bei Young Chicago Authors, einer | |
Initiative, die Jugendliche zum Reimen, Rappen und Rebellieren animiert. | |
## Das Entdecken der Stimme | |
Sie sagt, sie wolle dazu beitragen, dass junge schwarze Frauen zu ihrer | |
Stimme fänden. Die Samples zwischen den Stücken sind Interviews mit | |
Afroamerikanerinnen entnommen; da geht es um dieses Entdecken der Stimme | |
und der eigenen Kreativität. | |
Dass sich Woods gleich mit dem Debüt als Bescheid wissende Künstlerin | |
erweist, kommt nicht von ungefähr: Sie hat bereits im Umfeld von Chance The | |
Rapper sowie dem Trompeter und Produzenten Donnie Trumpet gearbeitet – | |
beide wirken auch auf „HEAVN“ mit. Zudem kollaborierte sie mit dem | |
HipHop-Duo Macklemore & Ryan Lewis Anfang des Jahres in „White Privilege | |
II“. Und gemeinsam mit Produzent Owen Hill bildete sie das Soul-Pop-Duo M & | |
O. | |
Aufgewachsen ist Woods als Tochter eines Physikers und einer Ärztin im | |
Chicagoer Stadtteil Beverly. Dank ihrer Mutter habe sie ihre Stimme | |
entdeckt, sagte sie in einem Interview. Sie ließ ihre Tochter die Töne | |
erspüren, indem sie den Kopf des Kindes an eine Gitarre und an den eigenen | |
Rücken legte, während sie sang. Im Jugendalter war Woods dann von Poetry | |
Slams und HipHop geprägt, auch das Jugendpoesiefestival Louder Than Bombs | |
entdeckte sie für sich. Zum Studieren (Theater, Black und African Studies) | |
verließ Woods Chicago zwischenzeitlich Richtung Providence. | |
## Schwarze weibliche Kultur | |
Heute schreibt sie Protestsongs, die schon mal als Hymnen für | |
#BlackGirlMagic bezeichnet werden – unter jenem Hashtag zelebriert man vor | |
allem in den USA derzeit die schwarze weibliche Kultur. Archetypisch dafür | |
ist ihr Song „BLK GRL Soldier“, in dem Woods sechs afroamerikanischen | |
Feministinnen und Politaktivistinnen huldigt: Rosa Parks, Ella Fitzgerald, | |
Audre Lorde, Soujourner Truth, Angela Davis und Assata Shakur. | |
In treffenden Versen stellt sie eine Kontinuität der Unterdrückung ihrer | |
„Schwestern“ von der Zeit der Sklaverei bis heute her: „Look at what they | |
did to my sisters / Last century last week“. Passend, dass „BLK GRL | |
Soldier“ von einem Song des „Black Youth Project 100“ inspiriert ist, das | |
sich mit der Geschichte von Rosa Parks befasste (Parks ist die berühmte | |
Frau, die sich 1955 in Montgomery weigerte, einem weißen Fahrgast den Platz | |
zu überlassen). | |
Daran knüpft Woods nun im Song an: „Rosa was a freedom fighter / And she | |
taught us how to fight“. Der Song zeigt auch, dass es Woods im großen Maße | |
um die Vermittlung schwarzer Geschichte geht. | |
## Sommerhitpotenzial | |
Einfallsreich ist Jamila Woods auch musikalisch. Der Titeltrack, der „Just | |
Like Heaven“ von The Cure mit einem Beat von The Roots zusammenbringt, hat | |
eigentlich Sommerhitpotenzial. Mit seiner ungewöhnlichen Melange steht er | |
Pars pro Toto für eine weit über den HipHop-Tellerrand hinausschauende | |
Künstlerin, für die Folk, Gospel und Indiepop zur musikalischen | |
Sozialisation gehörte. | |
„HEAVN“ ist der klingende Beweis, dass mit Chicago als Heimstätte von | |
afroamerikanischer Popmusik wieder zu rechnen ist. Man denke an Künstler | |
wie den Soulsänger Curtis Mayfield und den Rapper Common. Genau wie Jamila | |
Woods haben sie sozialkritische Anliegen mit zwingender Musik verknüpft. | |
Darüber hinaus beweist ihr Debüt als selbstbewusstes feministisches Werk | |
umwerfende #blackgirlmagic, der hoffentlich nicht nur ihre Brothers und | |
Sisters aufmerksam lauschen. | |
23 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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