| # taz.de -- Brasilianischer Rapper Emicida: Erlösung statt Rache | |
| > Emicida, bedeutendste Stimme des brasilianischen Rap, liefert mit dem | |
| > Album „About Kids, Hips, Nightmares and Homework …“ einen Akt der | |
| > Befreiung. | |
| Bild: Emicida beobachtet nachdenklich den Mainstream | |
| Von oben sind brennende Gebäude zu sehen, eine Stimme verkündet zu fetten | |
| Beats, dass eine Favela eine „senzala“ sei, eine Sklavenhütte: „Eine | |
| Zeitbombe kurz vor der Explosion“. Emicidas Video zum Song „Boa Esperança�… | |
| einem Cut seines neuen Albums, hat eine klare Botschaft: Erhebt euch gegen | |
| die Herren! Obwohl die Sklaverei vor fast 130 Jahren abgeschafft wurde, | |
| halte die Unterdrückung der schwarzen Brasilianer an. | |
| Damit folgt der Rapper aus São Paulo jenem Weg, den er bereits 2009 mit | |
| seinem ersten Mixtape, „Für einen, der einmal einen Hund wegen Essen | |
| gebissen hat, hab ich es weit gebracht“, eingeschlagen hat. Seither schlägt | |
| der 31-Jährige consciousness lyrics an. Aufgewachsen ist er als Kind von | |
| Aktivisten in einem Armenviertel im Norden São Paulos, wo seine Eltern | |
| regelmäßig Blockpartys veranstalteten. Seinem HipHop-Stil, der oft | |
| traditionelle brasilianische Musik aufgreift, merkt man diese Prägung bis | |
| heute an. | |
| „About Kids, Hips, Nightmares and Homework …“ erscheint nun auch in Europa | |
| und hat ein Booklet mit englischen Fassungen seiner Texte. In ihnen | |
| inszeniert sich der Brasilianer als scharfzüngiger MC. Emicida sieht sich | |
| in einer Tradition mit Racionais MCs, Rap-Pionieren, die sich in Brasilien | |
| als Sprachrohr der Peripherie verstanden. | |
| Ohne Major-Vertrag und abseits des Medienradars gelang ihnen in den | |
| Neunzigern der Durchbruch. Allerdings hat sich das gesellschaftliche Klima | |
| im neuen Jahrtausend verändert. Die brasilianische Mittelschicht ist | |
| breiter geworden. So ist es kein Zufall, dass in São Paulo gerade der „Funk | |
| ostentação“ angesagt ist, eine Variante des Baile Funk aus Rio, in dem | |
| Luxusgüter „ostentativ“ zur Schau gestellt werden. | |
| ## Die eigenen Wurzeln finden | |
| Emicida bleibt auf seinem neuen Album freilich bei seinem kämpferischen | |
| Ansatz. Zumindest in Songs wie „Mandume“, „Boa Esperança“ und „8“.… | |
| er Malcolm X und Zumbi ebenso in Erinnerung wie Martin Luther King, Pablo | |
| Neruda und Dalí. Gelegentlich schlägt er versöhnliche Töne an („Es geht | |
| nicht um Rache, heute geht es um Erlösung“). Seinen Diskurs hat er | |
| inzwischen erweitert: Nicht nur die Afrobrasilianer müssten befreit werden, | |
| sondern alle Marginalisierten. Den sozialen Bewegungen fühle er sich „eng | |
| verbunden“, sagt Emicida im Interview mit der taz. | |
| Andere Songs drehen sich um Liebe („Baiana“, im Duett mit Caetano Veloso), | |
| seine Familie wie in „Mãe“ (mit seiner Mutter Dona Jacira) und dem | |
| lieblichen „Amoras“, einer Spoken-Word-Hymne an seine Tochter, – und um | |
| Afrika („Mufete“, „Madagascar“). | |
| Das Album entstand während einer Reise auf die Kapverdischen Inseln, nach | |
| Madagaskar und nach Luanda, Angola. Viele Kritiken in Brasilien waren | |
| wohlwollend. Allerdings wurde auch angemerkt, dass Emicida angesichts | |
| einiger seichter Arrangements, wie im Reggaetrack „Passarinhos“, endgültig | |
| im Mainstream angelangt sei. Das kann man so sehen. | |
| Doch seine verschlungenen Reime haben weiterhin Flow und Poesie. Selbst | |
| wenn er von US-Westcoast-HipHop geprägt bleibt, so gibt es doch auch | |
| Referenzen an Samba („Salve Black“) und vielfältige afrikanische Einflüss… | |
| Zum Beispiel in „Mufete“, das der Angolaner João Morgado mit | |
| Semba-Perkussion unterlegt hat – jenem Rhythmus, aus dem in Brasilien | |
| später die Samba wurde. „Mir ging es einmal darum, meine Wurzeln | |
| kennenzulernen. Zum anderen darum, daraus zeitgenössische Musik zu machen.“ | |
| ## Optimismus ist das Einzige, was du hast | |
| Emicida bleibt eine wichtige Stimme des brasilianischen Rap. Bereits 2009 | |
| gründete er das Label Laboratório Fantasma, um eigenständig zu bleiben und | |
| Talente zu fördern. Anfang dieses Jahres erschien dort das viel beachtete | |
| Debütalbum seines Bruders Evandro Fióti. | |
| In „Triunfo“, seinem ersten Hit, hatte Emicida 2008 gerappt: „Und wenn die | |
| Mehrheit von uns Krawall machen würde? Dann stünde der verdammte Kongress | |
| schon lange in Flammen.“ Jetzt sind seine Worte plötzlich aktuell, nachdem | |
| Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) in einem | |
| umstrittenen Verfahren – durch einen „Pakt der Korrupten“ (Neue Züricher | |
| Zeitung) – ihres Amtes enthoben wurde. | |
| Emicida kritisiert zwar, dass es die PT versäumt habe, Reformen anzugehen, | |
| doch die Absetzung Dilmas hält er für einen „Putsch“, weil sie den „Wil… | |
| der Wähler ignoriert“ und damit die Demokratie aushebelt. Dennoch bleibt er | |
| hoffnungsvoll: „Wenn du schwarz bist und aus einer Favela kommst, ist | |
| Optimismus das Einzige, was du hast.“ | |
| 7 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ole Schulz | |
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