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# taz.de -- Dokumentarfilm-Update: Nachrichten aus den besetzten Favelas
> 15 Jahre nachdem Monika Treut in „Kriegerin des Lichts“ eine
> Menschenrechtlerin porträtierte, kehrt die Hamburger Filmemacherin nach
> Rio de Janeiro zurück.
Bild: Entwickelte padagogische Methoden für Straßenkinder: Yvonne Bezerra de …
HAMBURG taz | Kurz vor der Olympiade in Rio, bei der wieder viel gejubelt
werden wird, zeigt „Zona Norte“, welchen Preis Brasilien für dieses
Prestigeprojekt zahlt. In den Favelas der Stadt läuft schon seit Jahren ein
gigantisches Pazifizierungsprogramm, für das die Viertel faktisch von
bewaffneten Militärkräften in Panzerspähwagen besetzt wurden. Der Film
zeigt Bilder, die an Aufnahmen aus dem Gaza-Streifen erinnern. Auf den
weitaus größeren Teil der Bevölkerung, der nicht in die Drogenkriminalität
verstrickt ist, wird keinerlei Rücksicht genommen.
In den Favelas leben vor allem Leute, die etwa als Parkplatzwächter oder
Haushaltshilfe arbeiten und sich keine andere Bleibe leisten können. Durch
die ständige Präsenz der Soldaten hat sich ihr Leben stark verändert. Es
wirkt fast surreal, wie unterschiedlich die Straßen genutzt werden. Für die
sichtlich nervösen Soldaten sind sie Feindesland. Sie schleichen durch die
Gassen, in denen aus jedem Fenster ein Angriff droht. Für die Bewohner ist
es ein Ort, an dem man sich darum bemüht, ein normales Leben zu führen.
Dass ihr Film so aktuell werden würde, hat die Hamburger Filmemacherin
Monika Traut gar nicht geplant. Bereits vor 15 Jahren drehte sie in den
Favelas von Rio die Dokumentation „Kriegerin des Lichts“. Die Titelheldin
ist die Menschenrechtlerin, Künstlerin und Sozialarbeiterin Yvonne Bezerra
de Mello, die eine pädagogisch Methode entwickelt hat, durch die sie
traumatisierten Kindern ermöglicht, ihre Lernschwierigkeiten zu überwinden.
Durch den ständigen Stress in der frühen Kindheit konnten sie nicht wie
andere Kinder eine funktionierende Verbindung zwischen ihrem Lang- und
Kurzzeitgedächtnis aufbauen. Die Folge ist, dass sie das meiste was sie
lernen sofort wieder vergessen.
De Mello entwickelte eine Therapie, die aus Gedächtnisübungen, Musik, Sport
und einer Stärkung des Selbstbewusstseins besteht, und mit der sie
erstaunliche Erfolge erzielt. Sie gründete eine Schule in einer Favela –
ihre Methode ist mittlerweile anerkannt und wird in vielen anderen Schulen
Brasiliens praktiziert.
Das Projekt entwickelte sich weiter, nicht zuletzt durch den Film, der in
vielen Ländern zu sehen war. Eine Szene zeigt das im Büro der Initiative in
Rio hängende Poster ihres alten Films. Ursprünglich wollte Monika Treut
auch die Tatsache untersuchen, dass ein Film den Gegenstand, von dem er
handelt, verändert. Sie wollte zeigen, inwiefern die Beobachtung eines
Prozesses diesen selbst beeinflusst. Dafür drehte sie in Hamburg bei einer
Unterstützerinitiative für das Projekt. Doch die Interviews über
Spendenaufkommen und darüber, wie das Geld verteilt wird, waren eher
prosaisch im Vergleich zu dem in Brasilien gedrehten Material. Schließlich
fielen die Sequenzen dem Schnitt zum Opfer.
Stattdessen konzentrierte sich Treut in „Zona Norte“aber schließlich auf
die Langzeitbeobachtung: Mit einem Abstand von 15 Jahren schaut sie, wie
sich die Favelas und das Leben der damaligen Schüler und Schülerinnen
entwickelt haben. Bei Yvonne Bezzera de Mello hat sich in den Jahren
erstaunlich wenig verändert.
Doch Treut zeigt auch, wie aus Kindern Erwachsene geworden sind: Von den
damaligen Schülerinnen haben einige die Favela verlassen, allein das belegt
schon eine erfolgreiche Erziehung. Andererseits wurde der einzige männliche
Schüler, vom dem im Film erzählt wurde, auf der Straße erschossen. Als
feministische Filmemacherin interessiert sich Monika Treut vor allem für
Frauenfiguren.
Einer von ihnen ist ein radikaler Aufbruch aus den Favelas gelungen, und
ihr widmet Treut ein eigenes Kapitel, bei dem sie auch mit völlig anderen
Bildern arbeitet. Joyce, die in de Mellos Schule lesen und schreiben
gelernt hat, ist der soziale Aufstieg gelungen. Sie wohnt nun mit ihrem
Mann in einem großen, luxuriös eingerichteten Apartment. Hier ist alles
blitzeblank aufgeräumt. Beinahe leblos wirkt die Sequenz wie ein Spot aus
einem brasilianischen Einrichtungsmagazin. In ihrer Freizeit geht Joyce mit
ihrem Lebensgefährten im knappen Bikini an der Copacabana baden. Diese
Aufnahmen sind eine Art wahr gewordener brasilianischer Traum.
Für das hiesige Publikum mag das vielleicht befremdlich wirken, dass Treut,
die als Avantgardistin des New Queer Cinema auch interneational Anerkennung
erhielt, heute so klischeehafte Bilder produziert. Doch ihr geht es darum,
dass Joyce sich selbst so sieht und ganz offensichtlich stolz darauf ist.
Das Hamburger Abaton Kino zeigt „Zona Norte“ in den nächsten Tagen mehrmals
im Doppelprogramm mit „Kriegerin des Lichts“. So wird der
Vorher-Nachher-Effekt unterstrichen. Spannend wäre es auch, den Film
zusammen mit Ansgar Ahlers’ „Bach in Brazil“ zu zeigen, in dem auch von in
den Favelas in prekären Verhältnissen lebenden Kindern erzählt wird: Für
den märchenhaft geschönten Stil jenes Spielfilms (taz berichtete) würde
„Zona Norte“ zugleich einen ernüchternden wie auch erhellenden
Realitäts-Schock liefern.
13 May 2016
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Favelas
Rio de Janeiro
Dokumentarfilm
Homosexualität
HipHop
Schauspiel
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