# taz.de -- Initiative für Fan-Boykott der WM: Der Dammbruch | |
> Vor zehn Jahren ist die Fußball-WM 2022 nach Katar vergeben worden. Es | |
> war ein Schock. Und die Fifa kuschelt immer intensiver mit dem Emirat. | |
Bild: Hier wird das Finale des WM-Ausrichters 2022 gespielt: das Khalifa Intern… | |
BERLIN taz | Es war ein Donnerstagnachmittag Anfang Dezember. In Zürich ist | |
das Exekutivkomitee des Internationalen Fußballverbands zusammengekommen. | |
Es ging um die Vergabe der Weltmeisterschaften für die Jahre 2018 und 2022. | |
Zunächst bekam Russland den Zuschlag für 2018. Dann, um 16.43 Uhr, öffnete | |
Joseph „Sepp“ Blatter, damals Präsident der Fifa, das Kuvert, in dem man | |
nach der [1][Abstimmung unter den Fifa-Oberen] den Namen des | |
Ausrichterlands für das WM-Turnier 2022 gepackt hatte: Katar. | |
Im vierten Wahlgang hatte sich das Emirat mit 14:8 Stimmen gegen | |
Mitbewerber USA durchgesetzt. Es war ein Schock, von dem sich bis heute | |
viele Freunde des Fußballspiels nicht erholt haben. Katar! Fifa war schon | |
länger ein Synonym für Korruption. Und doch wurde die Entscheidung als | |
Dammbruch gelesen. Am 2. Dezember jährt sich die Entscheidung, mit der sich | |
der professionelle Männerfußball endgültig von seinen Fans entfernt hat, | |
zum zehnten Mal. | |
„Fassungslos“ sei er gewesen, erinnert sich Bernd Beyer an den Tag der | |
Entscheidung. Aber so richtig glauben konnte der Fußballpublizist nicht, | |
was da entschieden worden war. „Ich habe gehofft, dass das nicht Bestand | |
hat“, sagt er. Damit war er damals gewiss nicht allein. Heute weiß er, dass | |
die WM durch nichts aufzuhalten ist. Sie wird stattfinden. Am 21. November | |
2022 wird das Eröffnungsspiel stattfinden. | |
Dennoch hat Beyer gemeinsam mit seinem Kollegen und Leibesübungen-Autor | |
Dietrich Schulze-Marmeling eine Initiative gestartet, die sich „Boycott | |
Qatar“ nennt. Angesprochen sind die Anhänger des Fußballsports. Sie sind | |
aufgerufen, dem Turnier so wenig Aufmerksamkeit zu schenken wie möglich. | |
Sie sollen durch einen Boykott von Produkten der großen Fifa-Sponsoren dazu | |
beitragen, dass das Engagement von Firmen wie Adidas, Sony oder McDonald’s | |
keinen Imagegewinn für die Konzerne darstellt. | |
Noch hat sich die Initiative der zwei Autoren nicht zu einer Bewegung | |
ausgewachsen. Doch Beyer rechnet für die zwei Jahre bis zum Turnier mit | |
zunehmendem Protest gegen die Fifa-Veranstaltung. Es gebe bereits viele | |
Rückmeldungen aus den aktiven Fanszenen der Klubs. Die Schalker | |
Fan-Initiative gehört schon jetzt zu den Unterstützer:innen von Boycott | |
Qatar. Es werden weitere folgen, da ist sich Beyer sicher. Er jedenfalls | |
kennt keinen Fußballfan, der sich auf Katar freut. | |
## Kein gemeinsames Bier | |
Er kann sich auch nicht vorstellen, dass in Katar 2022 funktioniert, was in | |
Russland im Sommer 2018 im Sinne der Fifa so schön geklappt hat. Die Bilder | |
aus Russland von gemeinsam feiernden Fans aus aller Welt sind damals um die | |
Welt gegangen und haben das negative Bild des WM-Gastgebers, das vor dem | |
Turnier gezeichnet wurde, ins Positive verkehrt. In Katar werde es solche | |
Bilder nicht geben. Schon mit dem gemeinsamen Biertrinken wird es im | |
wahhabitischen Emirat wohl nichts werden. | |
In den letzten acht Jahren, so Beyer, habe man viel gelernt über Katar. | |
Nichts davon sei dazu angetan, das Land als geeigneten Gastgeber für den | |
Fansport Fußball zu beschreiben. Als die Entscheidung für Katar vor zehn | |
Jahren fiel, ging es zunächst um Geografie. Schnell lernte die deutsche | |
Öffentlichkeit, dass der Kleinstaat am Persischen Golf nur halb so groß wie | |
Hessen ist. Das Turnier war damals für den Sommer geplant. | |
In der Bewerbung hieß es, klimatisierte Stadien würden eine Austragung der | |
WM auch bei Temperaturen von weit über 40 Grad, wie sie im Sommer am Golf | |
üblich sind, möglich machen. Doch das Versprechen war nicht mehr als eine | |
Behauptung. Auch das lernten die Fans mit den Jahren. Im Februar 2015 | |
entschied die Fifa, das Turnier in die Wintermonate zu verlegen. | |
Da war längst bekannt, mit welchem Regime man es in Katar zu tun hat. Auch | |
die Fifa wusste, was sie tat. Sepp Blatter witzelte nach der WM-Vergabe und | |
sagte über die religiös begründete Gesetzgebung Katars, die homosexuelle | |
Handlungen unter Strafe stellt, angesprochen auf homosexuelle WM-Touristen: | |
„Ich denke, sie sollten bei der WM jegliche sexuellen Aktivitäten | |
unterlassen.“ Dafür musste er sich allerdings entschuldigen. Dass die Fifa | |
mit der Entscheidung für Katar indirekt auch beschlossen hat, schwule und | |
lesbische Fans vom Turnier auszuschließen, konnte er jedoch nicht | |
abstreiten. | |
## Der Fußballsklave | |
Schnell wurde noch ein weiteres katarisches Phänomen bekannt. Das Wort | |
„Kafala“ machte die Runde. Es beschreibt ein System der Abhängigkeit von | |
Beschäftigten von ihren Arbeitgebern. Vor allem Arbeitnehmer:innen aus | |
dem Ausland wurden in Katar so regelrecht versklavt. Bauarbeiter und | |
Hausangestellte verloren ihre Freiheit, weil sie ihren Arbeitgebern die | |
Pässe auszuhändigen hatten. Gegen das Ausbleiben von Lohnzahlungen waren | |
sie ebenso machtlos wie gegen ausbeuterisches Verhalten ihrer Vorgesetzten. | |
Dass das sehr wohl etwas mit dem Fußball zu tun hat, wurde schon bald nach | |
dem Votum für Katar bekannt. Der französische Fußballprofi Zahir Belounis, | |
der für den katarischen Militärklub al-Jaish gespielt hat, befand sich seit | |
2009 im Streit mit seinem Verein über Zahlungsrückstände, nachdem man ihn | |
gegen seinen Willen zu einem anderen Klub verschoben hatte. | |
Am Ende wollte er nur noch weg. Doch er konnte nicht ausreisen, weil es | |
dazu der Genehmigung seines Arbeitgebers bedurft hätte. Belounis trat in | |
Hungerstreik, wandte sich in offenen Briefen an die Fifa und an | |
WM-Botschafter Pep Guardiola. Erst 2013 gestattete man ihm die Ausreise. | |
Kurz zuvor hatte Franz Beckenbauer, der in der Fifa-Exekutive saß, als die | |
WM 2022 vergeben wurde, gesagt, er habe noch nie einen Sklaven in Katar | |
gesehen. | |
Über die Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigranten in Katar hatte er sich | |
wohl nicht informiert. Dass sich das Regime sogar Fußballsklaven hielt, hat | |
ihn ebenso wenig aufgebracht wie die Fifa-Oberen, die die Katarer zu ein | |
paar Versprechen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Land bewegen | |
wollten. Doch viel verändert hat sich nicht. Als die | |
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im Sommer 2020 feststellte, | |
dass Lohnzahlungen immer noch regelmäßig ausblieben, dass Beschäftigte | |
sogar Hunger leiden müssen, weil sie nicht bezahlt werden, gab Katar wieder | |
ein Versprechen zur Verbesserung der Lage ab. Die Arbeitsgesetzgebung wurde | |
verändert, Mindestlöhne wurden definiert und Strafen für das Verweigern von | |
Lohnzahlungen eingeführt. | |
All das zeigt den autoritären Charakter des Emirats. Für den | |
Boykottaktivisten Bernd Beyer reiht sich das Votum für Katar deswegen | |
nahtlos in eine Serie anderer Entscheidungen über die Vergabe von | |
Großereignissen ein. „Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass | |
Sportorganisationen gerne mit Staaten zusammenarbeiten, die die Auflagen, | |
die mit Großereignissen ja immer einhergehen, einfach autoritär | |
durchsetzen.“ Und mit Katar arbeitet die Fifa besonders gerne zusammen. | |
Die Klub-WM, die gerade in den Februar verschoben wurde, findet im | |
Golfstaat statt. Und in dieser Woche hat die Fifa dem Emirat ein neues | |
Schmankerl serviert. Der [2][Fifa Arab Cup] mit Mannschaften aus 22 | |
arabischen Staaten von Palästina über Ägypten und Saudi-Arabien bis | |
Mauretanien wird im Dezember 2021 in Katar ausgespielt. | |
## Kuscheln mit Korruptionären | |
Ausgerechnet der Golfstaat, von dem aus die Korruption im Weltfußball in | |
eine neue Dimension geführt wurde, ist zum Lieblingsland der Fifa unter | |
Gianni Infantino, dem Nachfolger von Sepp Blatter an der Verbandsspitze, | |
geworden. Dass der langjährige Chef des katarischen Fußballverbands, | |
Mohamed bin Hammam, der große Strippenzieher hinter der WM-Bewerbung | |
Katars, von der Fifa selbst wegen Korruption lebenslang gesperrt wurde, | |
interessiert längst nicht mehr. | |
Dass die mittlerweile [3][Legende gewordenen 6,7 Millionen Euro], die der | |
DFB zur Zeit des Rennens um die WM-Vergabe für 2006 über ein Konto von | |
Franz Beckenbauer auf ein Bankkonto in Zürich überwiesen hat, letztlich auf | |
einem Konto von bin Hammam in Katar landeten, stört sowieso schon lange | |
niemanden mehr im Weltfußball. Am Ende der von der Fifa selbst ausgerufen | |
Reinigung nach der Ära Blatter ist der größte Profiteur des Wandels | |
ausgerechnet Katar. | |
Verstehen will das niemand, meint auch Bernd Beyer, dessen Boykottanliegen | |
gut zu den Faninitiativen in Deutschland passt, die sich [4][für ein | |
Umdenken im Fußballbusiness] einsetzen und verhindern wollen, dass sich der | |
Profifußball weiter von der Basis und seinen Fans entfernt. Vor diesem | |
Hintergrund wirken die Statements, die die gut bezahlten WM-Botschafter | |
Katars zu Werbezwecken immer wieder abgeben, weltfremd und abgehoben. | |
Jüngstes Beispiel dafür ist der ehemalige kamerunische Starstürmer Samuel | |
Eto’o. „Katar 2022 wird ein ganz spezielles Erlebnis für die Fußballfans�… | |
lässt er sich auf der [5][Website der WM 2022] zitieren. Was er damit | |
meint? „Manchmal gehe ich einfach in die Villaggio Mall, dann genieße ich | |
einen Besuch im Katara Cultural Village, wo es viele Shops und Restaurants | |
gibt.“ Besser kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass man den Fußballfan | |
vor allem als Kunden sieht. | |
28 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fussball-WM-2022-in-Katar/!5520442 | |
[2] https://www.fifa.com/worldcup/news/fifa-president-confirms-22-national-team… | |
[3] /Geldwaesche-und-Untreue-bei-der-WM-2006/!5351746 | |
[4] /Taskforce-Zukunft-Profifussball/!5721578 | |
[5] https://www.qatar2022.qa/en/news/samueletoo-qatar-2022-will-be-a-special-ex… | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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