# taz.de -- Debatte über WM in Katar: Fußball und Moral | |
> In Norwegen wollen Clubs die Männer-WM 2022 boykottieren – wegen des Tods | |
> von 6.500 Arbeitsmigranten. Kann der Protest wirken? | |
Bild: In seinem Heimatland wird über den WM-Boykott diskutiert: Dortmund-Stür… | |
Norwegen heißt die neue Hoffnung derjenigen, die schon lange den Boykott | |
der [1][Fußball-Weltmeisterschaft in Katar] fordern. Mehrere norwegische | |
Erstligaklubs haben jüngst die Nationalmannschaft dazu aufgerufen, nicht an | |
der Männer-WM 2022 teilzunehmen. [2][Eine Recherche des Guardian] hatte | |
vielerorts Verstörung ausgelöst. Von mehr als 6.500 toten Arbeitsmigranten | |
in Katar aus fünf asiatischen Ländern in den vergangenen zehn Jahren war in | |
dem Artikel zu lesen. | |
Dass auf den unzähligen Baustellen in Katar ohne Rücksicht auf Leib und | |
Leben Prestigeprojekte wie etwa die WM-Stadien in die Höhe schießen, ist | |
schon länger bekannt; ebenfalls dass Menschen dabei ihr Leben verlieren. | |
Die horrende Zahl verhalf dem Horror erst zur breiten Wahrnehmung, weshalb | |
die Regierung Katars sich vornehmlich darum bemühte, die genannte Zahl zu | |
relativieren. | |
Reaktionen aus dem organisierten Fußball gab es nur in Norwegen. In | |
Deutschland nahm lediglich das Fan-Bündnis Pro Fans den Bericht zum Anlass, | |
den Deutschen Fußball-Bund in einer Erklärung zum Verzicht auf die WM | |
aufzufordern. | |
Wieder einmal stellt sich die Frage, wie viel Moral kann und will sich der | |
Fußball leisten? Und wie viel Hoffnung geht vom norwegischen Signal aus? | |
Der einheimische Fußball-Verband hat die Debatte erst einmal auf den Juni | |
vertagt. Möglicherweise wird man sie weiter vertagen. Das Problem könnte | |
sich von selbst lösen. Ob sich die Skandinavier für die WM qualifizieren, | |
ist zweifelhaft. In der WM-Qualifikationsgruppe, zu der das favorisierte | |
Team aus den Niederlanden gehört, gibt es nur ein direktes WM-Ticket zu | |
vergeben. | |
## Kreativere Protestformen | |
Trotzdem bleibt die Frage nach der Moral. Die norwegischen | |
Boykottbefürworter:innen sagen: Der Dialog ist gescheitert. Auch in | |
den vergangenen Jahren habe sich an den Menschenrechtsproblemen in Katar | |
nichts grundlegend geändert. Die Boykottgegner, die im organisierten Sport | |
in der massiven Überzahl sind, argumentieren: Boykotte von | |
Sportveranstaltungen sind realitätsfremd und haben noch nie etwas bewirkt. | |
Die einheimische Wirtschaft verdiene auch mit Geschäften in Katar. Es gebe | |
deshalb keine Alternative zum Dialog, um realpolitische Erfolge zu | |
erzielen. | |
Allerdings hält dieses Argument keiner Faktenüberprüfung stand. Es wurde im | |
Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in China (2008) sowie der Winterspiele | |
(2014) [3][und der Fußball-WM (2018) in Russland] viel von der heilenden | |
Wirkung der Gespräche erzählt, die Menschenrechtslage verschlechterte sich | |
aber. Das Menschenrechtsengagement des organisierten Sports ist bislang | |
nichts weiter als ein moderner Ablasshandel, um die sündhaften, aber so | |
profitablen Geschäfte weiterbetreiben zu können. | |
Die Situation ist also verfahren. Welche Möglichkeiten des Protests gibt es | |
noch, damit sich etwa die Fifa nicht zum Büttel von Katar macht? Ein | |
Grundproblem ist gewiss, dass große Sportorganisationen wie die Fifa | |
in den Strukturen wesensverwandt mit autoritären Systemen sind. Sie wirken | |
uniformierend. Einstimmigkeit im Erscheinungsbild nach außen ist ein Wert | |
für sich. Abweichler werden zur Not zur Räson gerufen. Der norwegische | |
Verband würde gewiss einen Boykott der WM nicht mit dem möglichen | |
Ausschluss für andere Turniere bezahlen wollen. | |
Es bräuchte kreativere Protestformen: Auch die Mittel des Erlaubten können | |
schlagkräftig sein. Die Regeln des Systems müssten gegen das System selbst | |
ausgespielt werden. Man stelle sich einmal eine WM-Qualifikation vor, bei | |
der die großen Fußballnationen Andorra, Gibraltar und Liechtenstein den | |
Vortritt lassen würden. Eine Niederlage der deutschen Nationalelf gegen | |
Luxemburg könnte dann als politischer Erfolg gefeiert werden. Im WM-Finale | |
2022 in Doha würde dann Gastgeber Katar das Team aus Äquatorialguinea | |
besiegen bei einer historisch desaströsen TV-Quote. | |
Schon allein die Vorstellung, eine solche Weltmeisterschaft könnte wahr | |
werden, würde sowohl bei der Fifa als auch in Katar immensen Reformeifer in | |
Gang bringen. Vermutlich würde es schon genügen, wenn sich ein, zwei große | |
Fußballnationen dazu entschließen. Weil dieses Szenario aber noch | |
unrealistischer erscheint, bleibt der Boykott der WM in Katar die erste | |
Wahl. Es wäre schön, wenn die norwegische Debatte auch hierzulande auf | |
diesem hohen Niveau geführt würde. | |
16 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Initiative-fuer-Fan-Boykott-der-WM/!5731878 | |
[2] https://www.theguardian.com/global-development/2021/feb/23/revealed-migrant… | |
[3] /Kommentar-WM-Auftakt-in-Russland/!5510445 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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