| # taz.de -- Streit um die Zukunft des Fußballs: Infantinischer Kalender | |
| > Eine WM alle zwei Jahre? Die Fifa macht ernst. Europas Verbände sehen das | |
| > als Angriff auf ihr Fußballsystem und drohen sogar mit Boykott. | |
| Bild: Winke, winke! Fifa-Boss Gianni Infantino hätte gerne mehr Weltmeistersch… | |
| Berlin taz | Was [1][Gianni Infantino, der Präsident des Internationalen | |
| Fußballverbands], im Januar mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin | |
| Salman besprochen hat, weiß man nicht. Ergebnis des Besuchs war jedenfalls | |
| [2][ein Promovideo für das Sportministerium Saudi-Arabiens], das kitschiger | |
| kaum sein könnte. Männer in Landestracht tanzen, immer eine Hand am | |
| kostbaren Krummsäbel, vor historischen Kulissen, und der Fifa-Boss findet | |
| alles „unglaublich“ und „großartig“. | |
| Die Welt solle kommen und sich das anschauen, schwärmte er und tanzte mit. | |
| Es ging dann noch um Gespräche, die er mit dem saudischen Fußballverband | |
| und dem Sportministerium des Landes geführt hat. Dort wolle man etwas | |
| entwickeln, von dem nicht nur das Land, von dem die ganze Welt profitieren | |
| solle. | |
| Vier Monate später wurde klar, was damit gemeint war. Auf dem 71. | |
| Fifa-Kongress am 21. Mai meldete sich der Präsident des saudischen | |
| Fußballverbands [3][in einer Videobotschaft] zu Wort und stellte den | |
| Antrag, zu prüfen, ob man die Fußballweltmeisterschaften der Frauen und der | |
| Männer künftig im Rhythmus von zwei Jahren austragen solle. Yasser | |
| al-Misehal sprach von einem kritischen Punkt, an dem sich der Fußball | |
| befinde, vom Wohl der Spieler und von steigenden Einnahmen. „Eloquent und | |
| durchdacht“ nannte Gianni Infantino den Vorschlag. 166 Verbände stimmten | |
| ihm zu, nur 22 waren dagegen. | |
| Es war dies der Startschuss zu einer Kampagne der Fifa für Turniere im | |
| Zweijahresrhythmus, der das Zeug hat, die Fußballwelt zu spalten. Da ist | |
| die Europäische Fußballunion, die kein Interesse hat, größere Teile des | |
| Fußballgeschäfts der Fifa zu übertragen. Da sind Fans aus vielen Teilen der | |
| Erde, die der Fußballflut, die auf sie zurollt, gern entfliehen wollen. Und | |
| da sind kleinere Fußballverbände aus Asien, der Karibik und Afrika, die | |
| hoffen, von den von der Fifa erwarteten Mehreinnahmen zu profitieren. | |
| Doch allein mit Geld und der Umverteilung von großen auf kleine Verbände | |
| argumentiert die Fifa nicht. Sie hat Arsène Wenger, langjähriger Trainer | |
| des FC Arsenal und heute Direktor für globale Fußballförderung bei der | |
| Fifa, beauftragt, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen, die Argumente für | |
| eine [4][Reform des Turnierkalenders] liefern soll. | |
| ## Arsène Wengers Präsentation | |
| [5][Die hat er am 11. September vorgestellt] und dabei in bester | |
| Fifa-Manier die Pläne so präsentiert, als dienten sie allein der | |
| Gerechtigkeit auf dem Fußballglobus. Zunächst gehe es darum, das | |
| Ungleichgewicht zwischen Klub- und Nationalmannschaftsfußball ein wenig | |
| auszugleichen. 80 Prozent des Jahres sind die Spieler für Klubs unterwegs. | |
| Zu viel, meint Wenger. Und wenn sie dann mal für die Nationalmannschaft | |
| spielen, dann seien das oft unbedeutende Partien oder Testspiele. Den Fans | |
| sollen mehr wichtige Spiele serviert werden. | |
| Und auch wenn die WM und die kontinentalen Turniere wie die | |
| Europameisterschaft künftig alle zwei Jahre stattfinden, sollen die Spieler | |
| keineswegs mehr belastet werden. Die Reiserei zu den Terminen in fünf | |
| Länderspielfenstern könnte nach Wengers Plan künftig wegfallen. Stattdessen | |
| soll es nur noch ein oder zwei längere Phasen für | |
| Nationalmannschaftsfußball geben. Im Juni würden dann die großen Turniere | |
| stattfinden, und danach hätten die Profis dann bis Anfang August offiziell | |
| frei. | |
| Folgt man der Argumentation, man könnte glatt glauben, die Fifa meine es | |
| nur gut – mit den Fans, den Verbänden und den Profis. Doch die Begeisterung | |
| hält sich vor allem in Europa in engen Grenzen. Die Uefa hat sogar mit | |
| einem Boykott der Pläne gedroht, sollte die Mehrheit der Verbände in der | |
| Fifa der Reform zustimmen. Dass es eine solche Mehrheit geben könnte, ist | |
| nicht unwahrscheinlich. Aus Asien und Afrika ist viel Lob für die | |
| Kalenderreform zu hören. Gegen die Stimmmacht von 103 Nationalverbänden von | |
| diesen beiden Kontinenten kann die Uefa mit ihren 55 Mitgliedern nur wenig | |
| ausrichten. | |
| Die Europäer argumentieren dabei aus einer Position der Stärke heraus. Auf | |
| ihrem Gebiet sind die umsatzstärksten Ligen beheimatet. Die von der Uefa | |
| veranstaltete Champions League ist eine stetig sprudelnde Einnahmequelle. | |
| Während die Fifa vor allem in den Jahren, in denen eine Männer-WM | |
| stattfindet, hohe Umsätze erwirtschaftet, ist ein EM-Turnier für die Uefa | |
| weit weniger wichtig. Sie veranstaltet ja die Champions League und | |
| profitiert dabei von der Popularität der großen Klubs, als deren | |
| Interessenvertreterin sie agiert. | |
| Das von Wenger beobachtete Ungleichgewicht zwischen Klub- und | |
| Nationalmannschaftsfußball ist für die Uefa kein Problem. Fußballfreie | |
| Monate können die Europäer auch nicht gebrauchen. Wenn die Stars nach einer | |
| Europameisterschaft ihre Urlaubsbilder aus Luxusresorts in die sozialen | |
| Netzwerke spülen, laufen längst die Qualifikationsrunden für die | |
| Europapokalwettbewerbe für die Klubs aus dem europäischen Fußballprekariat. | |
| Auch deshalb verbittet sich die Uefa einen Eingriff in ihre | |
| Kalenderautonomie. | |
| ## Der PR-Krieg der Fifa | |
| Zudem bemängelt sie, dass die Fifa in eine wahre PR-Schlacht gezogen ist, | |
| um den Zweijahresplan Realität werden zu lassen. Im Tagesrhythmus | |
| präsentiert der Weltverband auf seiner Website unter dem Menüpunkt „Future | |
| of Football“ Persönlichkeiten, die sich positiv zum Zweijahresrhythmus | |
| äußern. In dieser Woche war das etwa der ehemalige argentinische | |
| Nationalspieler Pablo Zabaleta, der meinte, weniger Länderspielfenster | |
| würden dazu beitragen, physische und mentale Erschöpfungszustände bei den | |
| Spielern zu reduzieren. Und Weltmeistertrainerin Jill Evans darf sagen, | |
| dass sie sich geehrt fühlt, einen umfassenden Blick auf die Kalenderreform | |
| aus Frauenfußballsicht werfen zu dürfen. | |
| In der Woche zuvor sollten die Ergebnisse einer Umfrage unter Fans den | |
| Fifa-Plänen Rückenwind geben. Doch der Weltverband musste die Erhebung | |
| unter 15.000 Menschen in 23 Ländern schon sehr eigenwillig interpretieren, | |
| um sie zu PR-Zwecken verwenden zu können. Die Umfrage hatte ergeben, dass | |
| 45 Prozent der Befragten ganz zufrieden mit dem bestehenden | |
| Vierjahresrhythmus sind. 30 Prozent sind demnach für eine WM, die alle zwei | |
| Jahre stattfindet, 11 Prozent für ein jährliches Turnier und 14 Prozent für | |
| eines alle drei Jahre. Wie die Fifa diese Ergebnisse präsentiert? „Die | |
| Mehrheit der Fans wünscht sich eine häufigere Austragung der FIFA | |
| Fußball-Weltmeisterschaft der Männer“, heißt es auf der Website des | |
| Verbands. | |
| Bebildert ist die Meldung auf der Fifa-Seite mit einem Foto, das | |
| isländische Fans zeigt, die gerade ihre gefeierte Wikingerchoreografie | |
| zelebrieren. Tolfan nennt sich die Fanvereinigung der isländischen | |
| Nationalmannschaft. Sie gehört zu den Fanorganisationen, die sich explizit | |
| gegen die Veränderung des WM-Rhythmus ausgesprochen haben. Das kann schnell | |
| herausfinden, wer die Publikationen der Football Supporters Europe, eines | |
| Netzwerks von Fanorganisationen auf dem Kontinent, studiert. Dort | |
| sind Fanorganisationen aufgelistet, die einen o[6][ffenen Brief des | |
| Netzwerks] unterzeichnet haben. | |
| Darin heißt es: „Wir mögen die WM genau deshalb, weil sie ein | |
| außergewöhnliches Ereignis ist. Die meisten von uns haben weder die Zeit | |
| noch das Geld und damit die Möglichkeit, alle 24 Monate an das andere Ende | |
| der Welt zu pilgern, um unsere Teams in einem entwerteten Wettbewerb vor | |
| halbleeren Rängen zu verfolgen.“ Die Behauptung Arsène Wengers bei seiner | |
| Präsentation wäre demnach falsch. „Das ist es, was die Fans wollen“, hatte | |
| er gesagt. | |
| ## Anhänger der Reform | |
| Auch Befürworter melden sich zu Wort. So haben die Fußballverbände aus | |
| Bangladesch, Nepal, Sri Lanka und den Malediven eine [7][gemeinsame | |
| Erklärung veröffentlicht]. „Wenn wir als Fußballnationen wachsen, dann | |
| verehren die Fans die Leistungen unserer Nationalspieler eines Tages | |
| vielleicht genauso wie die der Weltstars aus Übersee.“ Es ist die Fifa mit | |
| ihren Geldern, die diese Entwicklung anschieben soll. Ohne den | |
| Betriebskostenzuschuss von 1,5 Millionen US-Dollar im WM-Jahr 2018 hätte | |
| etwa der Betrieb der Nationalmannschaften von Bangladesch kaum finanziert | |
| werden können. Insofern ist es keineswegs angebracht, die Fußballzwerge zu | |
| belächeln. Andererseits ist ihre Abhängigkeit von der Fifa so groß, dass | |
| sich Gianni Infantino auf ihre Unterstützung verlassen kann. | |
| Auch im europäischen Fußballverband gibt es ein Förderprogramm für kleine | |
| Verbände. Hattrick heißt das. Der albanische Fußballverband konnte mit | |
| Geldern dieses Programms ein Nationalstadion errichten. Doch Hauptprofiteur | |
| der Ausschüttungen aus dem Töpfen der Uefa sind die erfolgreichen Klubs aus | |
| den großen Fußballnationen, die den Löwenanteil der Champions-League-Erlöse | |
| einstreichen. Sie sind die vielleicht vehementesten Kritiker der | |
| Fifa-Pläne. | |
| European Leagues, ein Art Dachverband europäischer Fußballligen, hat | |
| [8][unmissverständlich klargestellt], dass die Klubs nichts, aber auch gar | |
| nichts von einer WM im Zweijahresrhythmus halten, wohl auch weil sie | |
| befürchten, dass damit Aufmerksamkeit und somit Einnahmen vom | |
| Premiumprodukt des europäischen Fußballs abgezogen werden könnte. Sie sind, | |
| wie Uefa-Präsident Aleksander Čeferin, auch deshalb sauer, weil die Fifa | |
| Pläne forciert, die nicht mit den europäischen Fußballmachthabern | |
| abgesprochen sind. Es ist ein veritabler Machtkampf, der da gerade | |
| ausgetragen wird. | |
| Am 30. September sind nun alle Fifa-Mitgliedsverbände zu einem | |
| Onlinemeeting eingeladen, um über einen neuen Turnierkalender zu | |
| diskutieren. Dort wird sich zeigen, ob das Herz des Profifußballs weiter am | |
| Uefa-Sitz in Nyon schlägt oder doch eher in Riad, der Hauptstadt | |
| Saudi-Arabiens, wo es dem Fifa-Präsidenten so gut gefällt. | |
| 24 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verfahren-gegen-Fifa-Praesident/!5699719 | |
| [2] https://twitter.com/gsaksa_en/status/1347171012954222598?ref_src=twsrc%5Etf… | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=RI1k3EcVSE4 | |
| [4] /Fifa-Chef-in-der-Coronakrise/!5670665 | |
| [5] https://digitalhub.fifa.com/m/1efde7dcf7db35ce/original/The-Football-of-Tom… | |
| [6] https://www.fanseurope.org/de/news-2/news-2/2564-fans-from-across-the-globe… | |
| [7] https://the-anfa.com/index.php/news-detail/1245 | |
| [8] https://europeanleagues.com/european-leagues-statement-on-football-calendar/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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