| # taz.de -- Machtkampf im Fußball: One Love für das große Geschäft | |
| > Das gute Europa gegen die böse Fifa? Es tobt eine moralische Schlacht. | |
| > Doch die eigentliche Kampflinie verläuft woanders. Es geht ums Geld. | |
| Bild: Ein Herz und eine Seele? Fifa-Boss Gianni Infantino und Uefa-Chef Alexand… | |
| Berlin taz | Fußball ist mehr als ein Spiel. Das war schon immer so. | |
| Wichtig ist schon lange nicht nur, was auf dem Platz stattfindet. | |
| Entscheidungen werden in Geschäftsstellen von Klubs und am Sitz der | |
| Verbände getroffen. Ein eigenes Regelboard legt fest, was während des | |
| Spiels erlaubt und verboten ist. Auf den Rängen tragen die Fans ihre | |
| Auseinandersetzung mit Stimmgewalt und Fanutensilien aus. Und in den | |
| Expertenrunden der übertragenden Fernsehsender werden die Thesen | |
| vorgetragen, an denen sich ganze Nationen reiben können. So war es immer. | |
| Und doch hat sich etwas verändert mit der WM in Katar. Neben dem Spiel auf | |
| das Tor ist eine Schlacht um die rechte Moral entbrannt. | |
| Von Deutschland aus betrachtet, ist das Urteil leicht zu fällen. Die Fifa | |
| ist auf der dunklen Seite des Mondes zu Hause, die Guten kommen aus Europa. | |
| Im internationalen Fußballverband wird das anders gesehen. Dessen Präsident | |
| [1][Gianni Infantino] sieht eine gute Portion Rassismus bei der Verachtung | |
| aus vielen Länder Europas für den WM-Gastgeber Katar mitschwingen. Als wäre | |
| er in Identitätspolitik bestens geübt, hat er zu Beginn des Turniers | |
| gesagt: „Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren | |
| weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre | |
| entschuldigen.“ | |
| Was ist da los? Geht es im Fußball nun wirklich um die finale Schlacht | |
| zwischen Gut und Böse? Führen moralische Fragen zum Auseinanderfallen des | |
| Weltverbands? Immerhin hat der Präsident des dänischen Fußballverbands | |
| Jesper Møller öffentlich gemacht, dass unter nordeuropäischen Verbänden | |
| darüber diskutiert wurde, die Fifa zu verlassen. Dänemark gehört zu den | |
| sieben Verbänden, die ihre Kapitäne in Katar [2][mit der berühmt gewordenen | |
| „One Love“-Spielführerbinde] auflaufen lassen wollten, was ihnen dann | |
| untersagt wurde. | |
| Zuvor hatte die Fifa den Dänen schon verboten, Aufwärmtrikots mit der | |
| Aufschrift „Menschenrechte für alle“ zu tragen. Genauso wie der Deutsche | |
| Fußball-Bund versagen die Dänen Infantino die Unterstützung bei der | |
| nächsten Wahl zum Fifa-Präsidenten im März 2013. Das hell scheinende Europa | |
| vereint im Kampf gegen die finstere Fifa? So einfach ist das nicht. | |
| ## Gutes Europa – schlechtes Europa | |
| In moralischen Fragen sind die Mitgliedsnationen der Europäischen | |
| Fußballunion (Uefa) alles andere als einig. Die WM-Teilnehmer Polen, | |
| Frankreich, Spanien, Portugal, Serbien und Kroatien gehörten nicht zu | |
| denen, die mit den bunten Herzchen auf der Binde für die Rechte von | |
| Minderheiten welcher Art auch immer ein Zeichen setzen wollten. Gehören sie | |
| zu den Bösen? Haben nur England, Wales, Belgien, die Schweiz, Deutschland, | |
| Dänemark und die Niederlande das Herz am rechten Fleck? Und hat eigentlich | |
| die Uefa als europäischer Dachverband sich mal zu dem Konflikt geäußert? | |
| Wer sich daranmacht, das Verhältnis der Uefa zum Weltverband Fifa unter die | |
| Lupe zu nehmen, wird schnell merken, dass es da keineswegs um die | |
| Verbesserung der Welt geht. Es geht um den Markt. Zwischen den beiden | |
| Verbänden tobt ein Kampf um die marktbeherrschende Stellung in der | |
| Fußballindustrie. Diese Auseinandersetzung könnte wirklich dazu führen, | |
| dass sich die Fußballwelt dereinst spalten wird. Denn der Kampf wird schon | |
| jetzt mit härtesten Bandagen geführt. Die Europäer haben dabei bereits mit | |
| der schärfsten Waffe gedroht, die sie zur Verfügung haben – mit einem | |
| WM-Boykott. | |
| Als Gianni Infantino in vergangenen Jahr die [3][Pläne für eine WM im | |
| Zweijahresrhythmus] vorangetrieben hat, um die Welt mit noch mehr | |
| Weltmeisterschaftsfußball zu beglücken, ist Uefa-Präsident Alexander | |
| Čeferin dagegen auf die Barrikaden gegangen. Ein „No-Go“ sei das für sein… | |
| Verband, meinte er und holte sich die Unterstützung des südamerikanischen | |
| Kontinentalverbands Conmebol. Beide sahen die Geschäfte ihrer | |
| profitabelsten Wettbewerbe gefährdet, die der Nationenturniere EM und Copa | |
| America sowie der Klubwettbewerbe Champions League und Copa Libertadores. | |
| ## Finalissima ums Geld | |
| Ergebnis der gemeinsamen und letztlich erfolgreichen Opposition war die | |
| Vereinbarung, den Europameister gegen den Südamerikameister in einem Spiel | |
| mit dem Namen Finalissima um einen neu geschaffenen Pokal spielen zu | |
| lassen. Den hat Argentinien im Spiel gegen Italien gewonnen. Und auch die | |
| Uefa hatte wieder einen Punkt gemacht im Kampf gegen die Fifa. Sie hatte | |
| zusammen mit der Conmebol ein weiteres Event zur weltweiten Vermarktung | |
| aufgesetzt. | |
| Dem Umsatz der Uefa hat das Event einen weiteren Schub versetzt. Die Fifa | |
| kann mit den Zuwächsen, die in Europa erwirtschaftet werden, nicht | |
| mithalten. Gewiss, die Zahlen, die Gianni Infantino zu Beginn der WM in | |
| Katar präsentiert hat, sind eindrucksvoll. Mit einem Umsatz von umgerechnet | |
| 7,2 Milliarden Euro schließt der Weltverband Ende 2022 seine | |
| Vierjahresbilanz in diesem Jahr wohl ab. Die hierzulande so übel | |
| beleumundete WM in Katar ist dabei wesentlich profitabler, als es das | |
| Turnier vor vier Jahren in Russland war. Im Vergleich zum vorangegangenen | |
| Vierjahreszyklus, der im WM-Jahr 2018 endete und in dem die Fifa einen | |
| Umsatz von 6,14 Milliarden Euro Umsatz gemacht hat, ist das eine Steigerung | |
| von 17 Prozent. | |
| Die Uefa hat allein im vergangenen Geschäftsjahr 5,72 Milliarden Euro | |
| umgesetzt. In den vier Jahren bis 2018 waren es satte 15,4 Milliarden. Kein | |
| Wunder, dass die Fifa denken muss, dass da noch viel zu holen ist. Sie | |
| versteht sich dabei als Anwalt der Verbände, die zwar jede Menge Mitglieder | |
| stellen, aber, was das Geschäft angeht, von Beträgen, wie sie in Europa | |
| erwirtschaftet werden, nur träumen können. | |
| So erwartet etwa der Verband Mittel- und Nordamerikas sowie der Karibik | |
| Concacaf, dass sich die Fifa nach dem Scheitern der Pläne für eine WM im | |
| Zweijahresrhythmus etwas Neues für sie einfallen lässt. Von einer | |
| Wiederbelebung des Confederations Cup, der bis 2017 als Testwettbewerb im | |
| Jahr vor der WM stattgefunden hat, war schon die Rede oder von einer | |
| Weltliga, einer Ausweitung des Nations-League-Wettbewerbs, mit dem die Uefa | |
| seit der Einführung 2018 gute Geschäfte in Europa macht. | |
| „Uns ist schon klar, dass die Brotkörbe des Fußballs in Europa sind“, sagt | |
| Victor Montagliani, der Concacaf-Präsident, im Wissen, dass die besten | |
| Profis der Welt für die höchsten Gehälter in Europa spielen. Und doch müsse | |
| man einen Schritt zurücktreten und von einer globalen Perspektive aus auf | |
| das Geschäft blicken. Montagliani vertritt 41 Verbände, große wie Mexiko | |
| und die USA und kleine und bettelarme wie Haiti. 41 Stimmen bringt er mit, | |
| wenn bei einem Fifa-Kongress alle 211 Verbände zusammenkommen. Er kämpft | |
| für eine stärkere Umverteilung der Fußballmillionen zugunsten der Kleinen. | |
| ## Verdienen an den Klubs | |
| Und die Uefa, die mit ihren 55 Stimmen in der Fifa allein wenig ausrichten | |
| kann, kämpft für die Beibehaltung des Status quo, um ihre Rolle als | |
| finanzielles Herz des Fußballs. Den Kampf muss sie auch innerhalb | |
| Fußballeuropas führen. Als sich ein Dutzend Spitzenklubs aus England, | |
| Italien und Spanien zusammengeschlossen haben, um gegen die Uefa in einer | |
| Super League Geschäfte auf eigene Rechnung machen zu können, musste die | |
| Uefa kurz um die herausragende Stellung ihrer Champions League bangen. | |
| Niemand wunderte sich über einen Bericht der New York Times, nach dem die | |
| Fifa an den Vorbereitungen zu einer solchen Eliteliga im Hintergrund | |
| mitgewirkt haben soll. Die öffentlichen Bekundungen Infantinos, die Fifa | |
| sei gegen die Super League, konnten in den Zeiten der Auseinandersetzung | |
| der Europäer mit der Fifa das Geraune nicht aufhalten. | |
| Am Geld, das sich mit Spielen der europäischen Großklubs machen lässt, will | |
| die Fifa ebenfalls partizipieren. Die Pläne für eine | |
| Klub-Weltmeisterschaft, an der statt wie bisher acht Teams 24 Mannschaften | |
| teilnehmen sollen, standen gefüttert von Milliarden einer japanischen Bank | |
| kurz vor der Realisierung. Die Coronapandemie bremste die Pläne vorerst | |
| aus. Werden sie umgesetzt, braucht es die Unterstützung eines der | |
| mächtigsten Männer im Weltfußball. | |
| Der heißt Nasser Al-Khelaifi und ist nicht nur Präsident des französischen | |
| Spitzenklubs Paris Saint-Germain und Chef der European Club Association, | |
| sondern auch Mitglied des Exekutivkomitees der Uefa. Der Katarer kann von | |
| der Uefa-Zentrale aus Sportswashing betreiben. Und der Verband bindet ihn | |
| ein, weil er von der Gunst der Großklubs abhängig ist. Das sollte gewiss | |
| mehr sein als nur ein Nebenaspekt in diesen moralisch so aufgeladenen | |
| Tagen. | |
| Ohne den Griff in den Moralbaukasten geht beim Kampf um die | |
| Fußballmillionen sowieso fast gar nichts. Als Gianni Infantino im Januar | |
| vor den Europarat geladen war, schwärmte er noch von einer WM, die alle | |
| zwei Jahre stattfindet. Und wie! „Wir müssen einen Weg finden, die ganze | |
| Welt mit einzuschließen, Afrikanern Hoffnung zu geben, so dass sie nicht | |
| übers Mittelmeer müssen, um ein besseres Leben zu finden oder – viel | |
| wahrscheinlicher – den Tod im Wasser.“ | |
| 26 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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