# taz.de -- Fußball-WM soll öfter stattfinden: Decolonise mit Infantino | |
> Der Fifa-Chef fordert eine WM alle zwei Jahre, um Afrika öfter teilhaben | |
> zu lassen. Viel sinnvoller wäre weniger Eurozentrismus im Weltfußball. | |
Bild: Selfie mit Fußballfans: Gianni Infantino (Mitte) | |
Um es vorwegzunehmen: Alles, was Sie in diesen Tagen über Fifa-Boss | |
[1][Gianni Infantino] gelesen haben, ist richtig. Der aktuelle Aufhänger | |
für die nicht so neue Erkenntnis: der Mann ist abstoßend. Vor dem Europarat | |
in Straßburg bewarb der Fifa-Chef seinen Lieblingsbusinessplan – [2][eine | |
Männer-WM] im Zweijahresrhythmus statt alle vier Jahre – so: „Wir müssen | |
den Afrikanern Hoffnung geben, damit sie nicht über das Mittelmeer | |
kommen müssen.“ | |
[3][Die Fifa] müsse Afrika Möglichkeiten und Würde geben. Dazu soll, man | |
ahnt es, die WM dienen. Denn: „Wir sehen, dass Fußball sich in eine | |
Richtung entwickelt, wo wenige alles haben und die Mehrheit hat nichts. In | |
Europa findet die WM zweimal pro Woche statt, weil die besten Spieler in | |
Europa spielen“. Decolonise mit Infantino. | |
Die Instrumentalisierung von Armut für die Geschäftspläne des Fifa-Chefs | |
ist all das, was sehr viele Kommentator:innen analysiert haben. | |
Dreist, verlogen, scheinheilig, gefährlich, rassistisch und skrupellos, um | |
nur ein paar der publizistischen Adjektive zu zitieren. Aber die Debatte | |
verläuft auch recht bequem. Denn was in der allgemeinen, wohligen Empörung | |
nicht stattfindet, ist, dass Infantino natürlich recht hat. | |
Europa spielt „zweimal pro Woche“ WM. Wer ein Star sein will im | |
Männerfußball, muss nach Europa. Von den 20 wertvollsten Fußballklubs | |
liegen laut Forbes 2021 alle 20 dort, wahrscheinlich auch alle 50, genauer: | |
in einer Handvoll Staaten Westeuropas. Jugendliche werden an der Peripherie | |
für dieses Zentrum herangezogen, auf eine Art und Weise, die nicht wenige | |
als neokolonial bezeichnen. | |
## Herrschaft des westeuropäischen Mannes | |
Einen Hauch von Dezentralisierung, das Äquivalent zu einem IT-Hub in | |
Nairobi oder einem Tech-Konzern in Südkorea, sucht man im Fußball | |
vergebens. Dort ist die Herrschaft des westeuropäischen Mannes noch ehern, | |
wenngleich sie mittlerweile durch chinesische und nahöstliche Investoren | |
großzügig kofinanziert wird. Auch das kolossale Ungleichgewicht innerhalb | |
Europas hat Infantino angesprochen. | |
Diese Tatsachen werden nicht unwahr dadurch, dass der Falsche sie sagt und | |
instrumentalisiert. Für Europa und die mit der Fifa rivalisierende Uefa war | |
es stets sehr leicht, auf den bösen Gianni Infantino zu zeigen und dabei | |
achselzuckend ihre Macht zu wahren. Die Uefa schafft es dabei gut, ein | |
Saubermann-Image zu konservieren. | |
Natürlich würde eine WM alle zwei Jahre an der Situation nichts ändern. Sie | |
wird durch ihren ökologischen Brontosaurus-Fußabdruck Fluchtursachen eher | |
noch weiter ankurbeln. Ein Turnier, das in fast hundert Jahren Geschichte | |
noch nie ein afrikanisches oder asiatisches Team gewonnen hat. | |
Im Fußball kursieren derart absurd hohe Summen, dass Aufrüstung auf | |
Augenhöhe Europas selbst für Länder wie USA und China zu teuer ist. Dennoch | |
ist es interessant, dass qua des Korruptions- und Abstimmungsprinzips | |
(jeder nationale Verband hat eine Stimme, unabhängig von der Größe) | |
ausgerechnet und allein die Fifa den Globalen Süden ein wenig | |
berücksichtigen muss. | |
## Fußballpolitik, die Globalen Süden berücksichtigt | |
Wie sähe eine Fußballpolitik aus, die den Globalen Süden wirklich | |
berücksichtigt? Es ist unredlich, das weiter zu ignorieren. Aktuell | |
finanzieren prekäre Arbeiter:innen aus Asien die fußballerischen | |
Erfolge der europäischen Großklubs – unter anderem, indem sie für wenige | |
Cents Trikots nähen, die in Deutschland für 85 Euro verkauft werden, und so | |
erst die hohen Gewinnmargen schaffen. | |
Ein echter Weltfußball kann nur ein dezentralisierter sein. Einer, der | |
Spitzenligen auf mehreren Kontinenten hat und regionale Karriereoptionen | |
für Spieler:innen. Das geht natürlich nicht mit der Fifa. Bislang aber | |
werden die Ausfälle Gianni Infantinos öffentlich eher im Sinne eines | |
schrägen Onkels behandelt, an dem sich wenig ändern lässt. | |
Es fehlt an echter Wut und echten Konsequenzen. Für beide rivalisierenden | |
Großverbände, Fifa und Uefa. Interesse hat an Dezentralisierung freilich | |
niemand, denn für Westeuropa gilt: es würde wehtun. Ein Onkel sagt eben | |
auch immer was über die Familie. | |
27 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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