# taz.de -- Hass auf Grünen-Politiker*innen: Wer tut sich das noch an? | |
> Der Rechtsruck schreckt Grünen-Mitglieder davon ab, zu Kommunalwahlen | |
> anzutreten. Unerwartet füllen sich jetzt viele Listen aber doch. | |
Bild: Die Arbeit in den Kommunen ist für die Demokratie wichtig, doch viele Pl… | |
Dieser Text ist Teil unserer [1][Berichterstattung zu den Kommunal- und | |
Landtagswahlen 2024] in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. [2][Die taz | |
zeigt, was hier auf dem Spiel steht:] Wer steht für die Demokratie ein? | |
Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um | |
ihre Existenz? | |
Am Ende ging bei Martin Zimmermann alles ganz schnell. An einem Mittwoch im | |
Februar reichte der 37-Jährige seinen Mitgliedsantrag bei den Grünen ein. | |
Zwei Tage später traf sich sein Kreisverband, um die Listen für die | |
Kommunalwahl zu beschließen, und da machte der Neue Ernst: Er kandidiert | |
sowohl für den Kreistag als auch für die Stadtverordnetenversammlung von | |
Ruhland, einer Kleinstadt im Süden Brandenburgs, in der die AfD schon bei | |
der letzten Bundestagswahl mit 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft wurde. | |
„Jetzt erst recht“, sagt der IT-Fachmann, der 2019 aus Dresden dorthin | |
gezogen ist. „Die ganze Region wandelt sich, der Rechtsextremismus ist im | |
Alltag immer mehr verankert. Dagegen möchte ich zumindest alternative Ideen | |
einbringen.“ Der Gedanke sei über die letzten Jahre in ihm gereift. Die | |
Demos gegen rechts, die es zu Jahresbeginn auch in seinem Landkreis gab, | |
waren „dann noch mal ein Wachrüttler“. Ob er keine Angst vor Konsequenzen | |
der Kandidatur hat? „Bislang nicht“, sagt Zimmermann. „Das mag daran | |
liegen, dass ich frisch dabei bin. Bisher wurde ich hier nicht | |
angefeindet.“ | |
Kein Einzelfall – und doch nicht typisch. In 9 von 16 Bundesländern werden | |
in diesem Jahr neue Kreistage und Gemeindevertretungen gewählt. Die | |
Vorbereitungen darauf gestalten sich vor allem bei den Grünen | |
zweischneidig: Einerseits mobilisiert der Kampf gegen rechts neue | |
Kandidat*innen. Parallel gibt es aber auch einen gegenläufigen Trend, der | |
weit ernüchternder ist. | |
Schon seit Jahren bereitet den Parteien die Suche nach Ehrenamtlichen für | |
die Gremien vielerorts Probleme. Die Arbeit in den Kommunen ist für die | |
Demokratie wichtig, dort fallen zentrale Entscheidungen und dort begegnen | |
die Menschen der Politik in ihrem Alltag. Die Aufgaben sind aber komplex, | |
kosten Zeit und werden nicht immer gedankt: Laut einer [3][Erhebung des | |
Bundeskriminalamts] aus dem Frühjahr 2023 haben 38 Prozent der | |
Kommunalpolitiker*innen im vorangegangenen halben Jahr Anfeindungen | |
erlebt. Seitdem ist das politische Klima noch rauer geworden. | |
Das bekommen Vertreter*innen aller demokratischen Parteien zu spüren. | |
Die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Kirchberg bei Zwickau, Dorothee Obst | |
von den Freien Wählern, fand eines Morgens im Februar einen Misthaufen vor | |
ihrer Garageneinfahrt, inklusive Botschaft: Sie solle eine Resolution der | |
rechtslastigen Bauernvereinigung „Land schafft Verbindung“ unterzeichnen. | |
Auch die Bürgermeisterin von Zossen in Brandenburg, Wiebke | |
Sahin-Schwarzweller von der FDP, berichtet von Anfeindungen. „Oft fühlen | |
wir uns von der ‚großen‘ Politik und von der Rechtsprechung bei unserer | |
Arbeit im Stich gelassen“, sagt sie. | |
## Besonders viel Hass im Osten | |
Die Folgen, die das in diesem Wahljahr für die Suche nach Ehrenamtlichen | |
hat, werden je nach Partei unterschiedlich wahrgenommen. „Wir spüren keine | |
Veränderung zu den vergangenen Jahren“, sagt eine Sprecherin der CDU | |
Brandenburg. Dagegen berichtete die Vorsitzende der SPD Sachsen, Kathrin | |
Michel, gerade neue Interessenten würden sich wegen der Bedrohungslage | |
inzwischen sehr genau überlegen, ob sie für Ämter kandidieren. „Viele haben | |
Familie und keiner will, dass die Kinder in der Schule angefeindet werden, | |
nur weil man selbst in der Öffentlichkeit steht.“ | |
Noch mehr als allen anderen demokratischen Parteien schlägt aktuell aber | |
[4][den Grünen der Hass entgegen]. Entsprechend viele Berichte sind von | |
ihnen über die Auswirkung auf die Suche nach Kandidat*innen zu hören. | |
„In den Orten im Landkreis, wo wir sehr viel Gegenwind bekommen, konnten | |
wir zum Teil nicht mal mehr die überzeugen, die bisher immer kandidiert | |
hatten“, sagt Paul-Philipp Neumann, Vorsitzender des Kreisverbands | |
Oberspreewald-Lausitz, dem der Neuling Zimmermann gerade beigetreten ist. | |
Ähnliches ist auch aus anderen, [5][vor allem ostdeutschen Landesverbänden | |
zu hören]. Die Angst vor Anfeindungen, Ausgrenzung oder gar Angriffen ist | |
ein großes Hemmnis. Ganz besonders gilt das für Mitglieder auf dem Land, | |
die „verbale und persönliche Angriffe noch unmittelbarer“ erlebten, wie es | |
aus dem sächsischen Landesverband heißt. | |
Katharina Horn ist Mitglied der Bürgerschaft von Greifswald und | |
Landesvorsitzende der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern. Sie berichtet: | |
„Manche Mitglieder sagen: ‚Bei uns im Dorf darf niemand erfahren, dass ich | |
bei den Grünen bin. Sonst kann ich hier nicht mehr leben.‘ Die würden sich | |
gerne einbringen, wollen aber nicht mit Namen und Foto auf unseren Websites | |
erscheinen. Die sprechen wir natürlich gar nicht erst für eine Kandidatur | |
an.“ | |
## Seit Januar gibt es einen Gegentrend | |
Dazu kommt: Wo die AfD schon bei den letzten Kommunalwahlen stark | |
abgeschnitten hat, sind viele bisherige Mandatsträger*innen | |
mittlerweile abgekämpft. Der Ton in den Gremien sei aggressiver geworden, | |
heißt es vielerorts, und die Brandmauer zur AfD zum Teil gefallen. „Die | |
Kooperation unter den demokratischen Parteien wird schwieriger. Das kostet | |
unseren Leuten Kraft und führt dazu, dass manche nicht mehr kandidieren“, | |
sagt Katharina Horn. | |
Schließlich gibt es noch einen Faktor, den nur die wenigsten grünen | |
Funktionär*innen von sich aus erwähnen: Frust über den grünen Kurs in | |
der Bundesregierung. In Lokalzeitungen fanden sich zuletzt Berichte über | |
Kommunalpolitiker*innen, die aus Protest gegen die Berliner Politik aus | |
ihrer Partei ausgetreten sind – wahlweise wegen zu viel oder zu wenig | |
Kompromissen in der Asylpolitik, zu wenig Klimaschutz oder zu viel | |
Waffenlieferungen an die Ukraine. Schließlich hat auch die Kürzung von | |
Agrarsubventionen die Grünen ein paar Landwirte in Gemeinderäten gekostet. | |
Unterm Strich stehen also verschärfte Bedingungen – und das nicht | |
ausschließlich in Ostdeutschland. Keine außergewöhnlichen Probleme melden | |
zwar die Grünen-Landesverbände in Hamburg und Rheinland-Pfalz. Aber selbst | |
im grünen Kernland Baden-Württemberg gestaltete sich die Listenaufstellung | |
laut einer Parteisprecherin gerade im direkten Vergleich zur Wahl 2019 noch | |
bis zum Jahreswechsel „herausfordernd“. | |
Seit Januar gibt es aber eben auch den Gegentrend. Die Enthüllungen über | |
Deportationspläne der AfD und Demos gegen rechts haben den Grünen | |
bundesweit nicht nur tausende Neueintritte beschert. „Dadurch hat auch die | |
Gewinnung von Kandidierenden nochmals einen Schub bekommen“, sagt die | |
Sprecherin aus Baden-Württemberg. Angriffe auf die Partei wie [6][beim | |
Politischen Aschermittwoch in Biberach] hätten die Mitglieder zwar | |
beunruhigt, aber auch zu einer „Jetzt-erst-recht“-Haltung geführt. | |
## Manche Listen sind so lang wie noch nie | |
Jetzt erst recht: Telefoniert man sich durch Grünen-Verbände, hört man | |
diese Formulierung immer wieder. Dass sich Menschen selbst in Kleinstädten | |
zu Kundgebungen versammelten, habe viele zu einer Kandidatur ermutigt. | |
Länderübergreifend zeigt die Demokratiebewegung Wirkung. In Südbrandenburg | |
etwa blieb Martin Zimmermann nicht der einzige neue Kandidat. Die grüne | |
Liste für den Kreistag Oberspreewald-Lausitz ist mit 36 Bewerber*innen | |
so lang wie nie zuvor. | |
Welcher der beiden Trends überwiegt aber zahlenmäßig? Schwer zu sagen. Die | |
Wahlen finden dezentral statt, die Listenaufstellung ist noch nicht überall | |
abgeschlossen und die meisten Informationen beruhen auf Angaben der Partei | |
selbst – die ein Interesse an positiven Schlagzeilen hat. In der Summe | |
scheinen die Grünen aber nicht schlechter aufgestellt zu sein als bei den | |
vorangegangenen Wahlen. | |
In Thüringen und Sachsen-Anhalt rechnet man inzwischen damit, das | |
Personalniveau der letzten Jahre halten zu können. Das heißt allerdings | |
auch, dass das Mitgliederwachstum der letzten Jahre nicht zu größerem | |
Engagement geführt hat. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist | |
dagegen von mehr Kandidat*innen die Rede. Baden-Württemberg ist nach | |
der Trendwende der letzten Wochen sogar wieder zuversichtlich, das selbst | |
gesteckte Ziel von 50 neuen Listen zu erreichen. | |
## Jetzt erst recht! | |
Im Südwesten trägt sogar der Kreisverband Wangen zum Wachstum bei. Für | |
Grüne ist die Gegend im Vergleich zu manch anderen Regionen eigentlich eine | |
heile Welt. Die AfD spielt in den kommunalen Gremien bisher keine große | |
Rolle. Ein grünes Parteibuch musste man bislang auch nicht verschweigen. | |
Anfang März kam der Kreisverband aber überregional in die Schlagzeilen. Im | |
kleinen Ort Amtzell, wo die Grünen erstmals eine Wahlliste eingereicht | |
haben, schlug ein Mann [7][einen der Kandidierenden vor dessen Haus | |
nieder]. Dem Opfer zufolge hatte der Täter ihn zuvor wegen seines | |
Engagements beleidigt. | |
Drei Wochen später erzählt der Kreisvorsitzende Klaus Häring-Becker, die | |
Tat habe ihm neben allem anderen eine Menge Arbeit eingebrockt. Schon zuvor | |
hatten die Grünen hier einen Workshop veranstaltet, bei dem ein Referent | |
des Bundesvorstands den Mitgliedern beibrachte, wie sie in brenzligen | |
Situationen deeskalieren können. Nach der Tat habe er viele Gespräche zur | |
Sicherheit im Wahlkampf geführt. Dem Prügelopfer und den anderen | |
Bewerber*innen habe er versichert, sie könnten ihre Kandidatur | |
jederzeit zurückziehen. | |
„Er hat aber gesagt, er zieht nicht zurück, weil das sonst eine | |
Kapitulation wäre“, sagt Häring-Becker. Auch sonst habe sich niemand im | |
Kreisverband von den Wahllisten streichen lassen. Jetzt erst recht: Diese | |
Stimmung spüre man auch bei den Allgäuer Grünen. | |
Eine erste Sicherheitsmaßnahme hat der Kreisverband für den Wahlkampf | |
dennoch beschlossen. Früher schmückten sie hier ihre Stände immer mit | |
Maßkrügen, in denen sich grüne Windräder drehten. In Süddeutschland weiß | |
man aber: Die schweren Biergläser eignen sich auch als schädelbrechende | |
Waffen. Jetzt sind die Krüge gestrichen. | |
Mitarbeit: Sabine am Orde und Anna Lehmann | |
23 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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