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# taz.de -- Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt: Politik machen mit Effi Briest
> Kommunale Ämter sind in Männerhand, nur eine von zehn LandrätInnen ist
> eine Frau. Die Bürgermeisterin Nicole Golz will das ändern.
Bild: Nicole Golz, Bürgermeisterin der Gemeinde Elbe-Parey
Zerben/Parey taz | Vom Herrenhaus Zerben, das auf einem Plateau liegt, kann
man weit über die Elbwiesen blicken. In der Mitte des Gartens ragt der
Schattenstab einer Sonnenuhr, auch eine Schaukel ist da, wie von Theodor
Fontane beschrieben. Hier also ist [1][Effi Briest] aufgewachsen, die mit
dem viel älteren Baron von Instetten verheiratet wurde, der bald Karriere
machte als Landrat in Pommern. Effi hingegen hatte dort eine Affäre, die
von ihrem Gatten entdeckt wurde. Der erschoss den Liebhaber, nahm die
Tochter an sich und verstieß seine Frau. Ihre letzten Tage verbrachte Effi
wieder daheim, wo sie bald gestorben ist.
Alles falsch, sagt Nicole Golz. Sie ist die Bürgermeisterin der Gemeinde
Elbe-Parey, zu der das Dörfchen Zerben gehört, und hat ihr Auto zum
Herrenhaus gelenkt. Hier im Nordosten des heutigen [2][Sachsen-Anhalts] ist
die „wahre“ Effi aufgewachsen, das Vorbild für Fontanes Romanfigur:
Elisabeth von Plotho, die als Verheiratete tatsächlich eine außereheliche
Beziehung hatte, welche mit dem Tod des Geliebten in einem Duell endete.
Doch ganz anders als Effi ist Elisabeth nicht vor Gram gestorben, sondern
hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, zur Krankenschwester ausbilden
lassen, hat ihren Lebensunterhalt selbst verdient und ist 1952 im Alter von
98 Jahren gestorben. Die letzten Jahrzehnte verbrachte sie mit ihrer
Partnerin am Bodensee.
Frauen waren im Kaiserreich schon selbstbestimmter, als es einem damals
siebzig Jahre alten Romancier in den Sinn kam. Bei der Politik lag Fontane
aber nicht daneben. Kommunale Ämter sind in [3][Männerhand], Landräte
werden von Männern gestellt, damals wie heute, jedenfalls in
Sachsen-Anhalt. Allen elf Landratsämtern stehen Männer vor, deutschlandweit
sind nur rund zehn Prozent aller Landratsposten von Frauen besetzt.
[4][Bei den hauptamtlichen Bürgermeisterinnen sieht es nicht besser aus],
es sind kaum zehn Prozent. Eine davon ist Nicole Golz, die nebenbei auch
die Hüterin des Schlosses von Zerben ist. Im Hosenanzug steht sie vor dem
Eingang, groß und mit halblangem Haar, am Wochenende ist sie passionierte
Handballerin. Das Innere des Hauses ist nicht allzu herrschaftlich. Ein
Flügel steht im Saal, dazu Stühle, Tische, ein Gemälde zeigt Elisabeth von
Plotho als eine strenge, selbstbewusste Frau. Manchmal finden hier
Kammerkonzerte statt.
## Vernetzungstreffen
Warum hier nicht auch Bürgermeisterinnen aus dem ganzen Bundesland
zusammenführen, um den spirit, den dieser Ort hat, zu nutzen? Um Kontakte
zu knüpfen? Und um einen Aufruf zu starten: „Macht mit, liebe Frauen –
gestaltet eure Zukunft! In den Kommunen lebt die Demokratie“, verbunden mit
dem Appell, sich für die Kommunalwahlen im Juni 2024 aufstellen zu lassen.
Tatsächlich hat der besondere Ort bereits gewirkt. Im September 2023
versammelten sich hier 17 Frauen zum ersten Bürgermeisterinnentreffen in
Sachsen-Anhalt. Golz, parteilos, 49 Jahre alt, hatte dazu eingeladen. Es
war in erster Linie ein Netzwerktreffen. Die meisten Bürgermeisterinnen
sind parteilos und Einzelkämpferinnen. Zudem gibt es kaum Vorbilder. Viele
sind es nicht, die aus eigener Erfahrung berichten könnten. Eine
altgediente Bürgermeisterin ohne Parteibuch war in Zerben mit dabei. 32
Jahre lang hat sie eine Gemeinde westlich von Magdeburg geführt, im Herbst
2023 hat sie die Altersgrenze erreicht. Als Nachfolger wurde ein Mann
gewählt.
Nicole Golz hat nach ihrer Wahl zur Bürgermeisterin der Gemeinde Elbe-Parey
2015 schnell gemerkt, was fehlt – Frauen. Nicht nur in den Rathäusern und
Gemeindeverwaltungen, auch in den Kommunalparlamenten. Es finden sich
Handwerksmeister, Ärzte, Lehrer, Parteisoldaten, Rentner. Frauen aber
stellen im Durchschnitt nur zwanzig Prozent. Parey liegt exakt in diesem
Mittel, von den 20 Sitzen gingen bei der letzten Wahl 4 an Frauen. In der
Nachbargemeinde sind es mit 3 von 27 deutlich weniger. Warum?
Frauen engagieren sich eher im Heimatverein, manche sind auch in der Kirche
aktiv, sagt Golz. Aber Kommunalpolitik? „Ich habe in den letzten Monaten
viele Gespräche mit Frauen geführt, ich habe gesagt: Mensch, du wärst doch
die Richtige dafür“, erzählt sie. „Was muss ich denn da machen?“, das s…
die erste Rückfrage, gefolgt von der zweiten: „Muss ich da viel wissen?“
Nicole Golz kennt diese Scheu. „Frauen haben grundsätzlich die Angst, sich
zu blamieren.“ Solche Selbstzweifel habe sie bei Männern nicht beobachtet.
„Die diskutieren drauflos, ganz oft auch auf völlig falscher Ebene“,
erzählt sie. „Deswegen erhoffe ich mir durch mehr Frauen auch eine andere
Diskussionskultur.“ Viel stärker sachorientiert.
„Ob das wirklich klappt, wird sich zeigen.“ Es schwingt Skepsis mit. Die
Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse beginnen um 19 Uhr,
familienfreundlich ist das nicht. Und wenn man sich dann ellenlange, völlig
unsachliche Vorträge anhören muss, ist bald wieder Schluss. Es gibt
Gemeinderäte, die springen schnell wieder ab.
Zwei AfD-Männer sitzen im zwanzigköpfigen Gemeinderat, sagt Golz. Einer ist
bei der letzten Kommunalwahl in seinem Heimatdorf durchgefallen, obwohl es
dort bei der letzten Bundestagswahl reichlich AfD-Stimmen gab. Warum? Die
Leute im Dorf wüssten doch den Menschen einzuschätzen, der in die
Gemeindevertretung will. Gewählt wurde der Mann trotzdem, mit den Stimmen
aus den anderen Ortschaften.
Überhaupt sei die AfD ist ein Scheinriese. Sie wirke nur deswegen stark,
weil ihr die anderen Parteien den Platz überließen. Bei der letzten
Kommunalwahl 2019 habe die CDU in der Gemeinde keinen einzigen Kandidaten
aufgestellt. Ausgerechnet die CDU, die für sich als „Sachsen-Anhalt-Partei“
wirbt. Die wahre Sachsen-Anhalt-Partei sind die Nichtwähler. Oder die
Parteilosen, so wie Nicole Golz. Von den zwanzig Gemeindevertretern gehören
16 dazu, verteilt auf drei Listenvereinigungen. Von einer
Parteienlandschaft kann man da nicht mehr reden.
Nicole Golz sitzt jetzt in ihrem Büro im Dorf Parey. Dass hier eine Frau
die Geschäfte führt, würde man auch merken, wenn der Raum leer wäre. Auf
der einen Seite steht Holzspielzeug im Regal, auf der anderen eine kleine
Galerie privater Fotos – die Trauung, die dreiköpfige Familie, die Tochter.
Über dem Schreibtisch ein Bild, zwei stilisierte Gesichter, Baumkronen
ähnlich, die zu einem Kuss verschmelzen. Golz gibt viel Privates preis. Die
meisten männlichen Kollegen dürften sich schwerer tun.
Kompromisslos kann Golz trotzdem sein. Eine der ersten Entscheidungen war
die Rücknahme der fünf Kindergärten in kommunale Trägerschaft. Golz, vor
ihrem Jurastudium in einer Sparkasse tätig, hat die Abrechnungen des
Trägers geprüft, ihr Ergebnis: Das können wir besser. Ihre männlichen
Kollegen hielten sie für unbedarft. Golz hielt an dem Plan fest, der
Gemeinderat zog mit, die Kitas kamen wieder in kommunale Hand. 100.000 Euro
sparte die Gemeinde bereits im ersten Jahr, die Kita-Gebühren blieben
niedrig, und 2018 legte Golz erstmals einen ausgeglichenen Haushalt vor.
## Ihr Mann ist jetzt in Teilzeit
Es klingt so, als hätte sich Nicole Golz auf ihr Amt vorbereitet. Das
Gegenteil ist der Fall. Begonnen hat es, als der Gemeinderat um ihre
Expertise als Anwältin bat. Und weil juristischer Sachverstand immer gut
ist, wurde sie 2014 angesprochen, ob sie nicht für den Gemeinderat
kandidieren wolle. Ein Jahr später kandidierte sie für das
Bürgermeisteramt.
Die größte Herausforderung ist es, Amt und Familie zusammenzubringen. Die
Familie, die Verwandtschaft, helfe sehr. „Doch den allergrößten Anteil
übernimmt mein Mann.“ Seitdem Golz Bürgermeisterin ist, arbeitet ihr Mann
auf einer Teilzeitstelle. Wenn das Tagesgeschäft in eine Abendsitzung
mündet, komme er oft mit der vierjährigen Tochter vorbei. „Dann knuddeln
wir noch mal und spielen noch ein bisschen.“
Es sei ein großer Schritt gewesen von der sicheren Anwaltskanzlei zur
Wahlbeamtin auf Zeit. „Weil ich ein sehr sicherheitsdenkender Mensch bin“,
sagt Golz. „Das ist sehr wahrscheinlich typisch für Frauen.“ Der
Bürgermeisterstuhl hätte auch zum Schleudersitz für sie werden können.
Inzwischen wurde Golz im Amt bestätigt. „Der Job ist so flexibel. Ich kann
mich in verschiedenste Sachverhalte einarbeiten, immer Lösungen finden und
immer wieder neu denken.“
Nicole Golz ist als Kommunalpolitikerin selbst so etwas wie ein role model
geworden. Trotzdem geht es nur langsam vorwärts. Für den 20-köpfigen
Gemeinderat in Elbe-Parey mit seinen sieben Dörfern und 6.500 Einwohnern
haben sich zu den Kommunalwahlen am 9. Juni 30 Männer aufstellen lassen und
15 Frauen. Immerhin drei mehr als vor fünf Jahren. Dennoch hat sich schon
etwas geändert. Als Nicole Golz 2015 erstmals gewählt wurde, war sie die
einzige hauptamtliche Bürgermeisterin im Landkreis. Inzwischen gibt es drei
in einem Kreis mit acht Einheitsgemeinden – Frauenanteil 37,5 Prozent.
Spitzenplatz für die Heimat von Elisabeth von Plotho, nicht von Effi
Briest.
4 Jun 2024
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## AUTOREN
Thomas Gerlach
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