# taz.de -- Grüne und das Corona-Virus: Die Krisenverlierer | |
> Merkels CDU legt in Umfragen zu, die Grünen rutschen ab. Kaum einer | |
> interessiert sich noch für Klimaschutz. Bricht Corona die grüne Welle? | |
Bild: Die Corona-Krise könnte den Lauf der erfolgsverwöhnten Grünen-Spitze s… | |
Berlin taz | Häme gibt es in der Politik schnell und umsonst. Robert Habeck | |
war neulich in einer Fernsehschalte zu sehen. Den Wind im Haar, die Sonne | |
im Gesicht, redete der Grünen-Chef über Einsamkeit in der Corona-Krise. Er | |
sprach über sozialen Stress, über Depressionen, über Großeltern die ihre | |
Enkel knuddeln wollten, sie aber nur über Videos und Skype zu sehen | |
bekämen. Das, sagte Habeck, ersetze keine Liebe. | |
„Der Kampf der Grünen gegen die eigene Vereinsamung“, kommentierte | |
SPD-Bundesvize Klara Geywitz die Szene auf Twitter. [1][Ihr boshafter | |
Tweet] war nicht der klügste, weil mit Vereinsamung nicht zu spaßen ist. | |
Aber Geywitz wenig subtile Botschaft traf einen wunden Punkt: Die einen | |
handeln, die anderen reden nur. Während die Regierung – samt | |
SPD-MinisterInnen – die Krise managt, gibt Habeck gefühlige Interviews an | |
der Seitenlinie. | |
Für die Grünen wird die Corona-Krise zur strategischen Herausforderung. Die | |
erfolgsverwöhnte Partei war in Medien vor der Krise sehr präsent, sie | |
setzte Themen, selbst ein oder eine grüne KanzlerIn schien irgendwann | |
möglich. Seit Corona ist alles anders. Die Grünen sacken in manchen | |
Umfragen ab – drei Institute maßen die Grünen zuletzt unter der | |
20-Prozent-Marke. Die Union, die Konkurrentin im Kampf um die bürgerliche | |
Mitte, legte deutlich zu. | |
Bricht die Grüne Welle an Corona? Wenn man mit Annalena Baerbock über diese | |
Frage spricht, gibt sie sich gelassen. Corona wecke Ängste, sagt die | |
Parteivorsitzende. „Dass sich viele Menschen in so einer Krise hinter der | |
Regierung versammeln, ist nur natürlich und nachvollziehbar.“ | |
## Opposition und Exekutive zugleich | |
In der Tat ist der Effekt nicht neu: Krisenmanagement zahlt in der Regel | |
bei der aktuellen Regierung ein, und hier bei der prominentesten Figur – | |
also Angela Merkel. Der Effekt sei weltweit zu sehen, sagt Baerbock. In der | |
Tat: Viele Amerikaner loben derzeit Donald Trump, obwohl der US-Präsident | |
das Virus wochenlang fahrlässig verharmloste. | |
Wobei die Rolle der Grünen komplexer ist, sie sind ja Opposition und | |
Exekutive zugleich. Sie regieren in elf Bundesländern mit, in dreien | |
stellen sie mit Manfred Lucha (Baden-Württemberg), Kai Klose (Hessen) und | |
Ursula Nonnemacher (Brandenburg) sogar die Sozial- und | |
GesundheitsministerInnen. Die Länder stehen an vorderster Front im Kampf | |
gegen Corona, sie setzen die von Bund und Ländern beschlossenen | |
Kontaktbeschränkungen um – die Grünen sind also mit Details und | |
Fallstricken vertraut. | |
Baerbock klingt denn auch eher wie eine Ministerin als eine | |
Oppositionspolitikerin. Die Grünen, findet sie, seien Teil der | |
gesamtstaatlichen Verantwortung. „Die gemeinsame politische Aufgabe ist, | |
ein Vertrauen in der Gesellschaft zu schaffen, dass wir der Krise Herr oder | |
Herrin werden.“ Die Grünen im Bund trieben die Regierung voran, | |
verbesserten oder bremsten, wo nötig – aber sie reichten auch die Hand. | |
Konstruktiv bleiben, vernünftig, Parteitaktik hinten an stellen. All das | |
hat man so ähnlich von der Grünen-Spitze schon oft gehört, aber dieser | |
Anspruch ist nun kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Auch FDP und Linkspartei | |
machen im Moment konstruktive Opposition, selbst die AfD unterstützte das | |
Sozialpaket der Bundesregierung, das die Hürden für Hartz IV senkte. Das | |
Problem ist nur: Die allseits konstruktive Opposition ist den BürgerInnen | |
gerade herzlich egal. | |
## Weltfremde Ein-Themen-Partei? | |
Es ist eine undankbare Zeit für Baerbock, Robert Habeck und die | |
Fraktionsspitze: Grüne Erfolge bleiben unter dem Radar, oder sie werden | |
gleich Merkel aufs Konto gebucht. Die Grünen warben zum Beispiel als Erste | |
für einen Rettungsfonds für Kleinunternehmer, Kulturschaffende und | |
Solo-Selbständige. Merkels Koalition schrieb ihn kurz darauf ins Gesetz und | |
wurde gelobt. Oder sie pochten bei der Debatte über eine Tracking-App früh | |
auf Datenschutz und Freiwilligkeit, [2][Schlagworte, die neuerdings auch | |
die Kanzlerin im Munde führt.] | |
Das Thema Corona dominiert alles und drängt grüne Kernthemen – Klima- und | |
Umweltschutz, Verkehr oder Landwirtschaft – an den Rand. Und das Vorurteil, | |
dass die Grünen eine auf das Ökologische fixierte, etwas weltfremde | |
Ein-Themen-Partei seien, hält sich hartnäckig. | |
Werden BürgerInnen gefragt, welcher Partei sie welche Kompetenz zutrauen, | |
liegen die Grünen beim Klima- oder Umweltschutz vorn, bei Verkehr noch ganz | |
gut. Aber bei der Wirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik trauen ihnen die | |
BürgerInnen wenig zu. Das war der wichtigste Grund für die mäßigen | |
Wahlergebnisse in Ostdeutschland. | |
Die Grünen haben also ausgerechnet bei den Themen wenig Credibility, auf | |
die es in einer Rezession ankommt. Baerbock und Habeck haben diese Schwäche | |
beizeiten erkannt. Sie arbeiteten in den vergangenen zwei Jahren gezielt | |
daran, das Image der Ein-Themen-Partei loszuwerden. Sie zogen die | |
Sozialpolitik hoch oder widmeten den letzten Bundesparteitag fast komplett | |
der Wirtschaftspolitik. Das Klischee stimmt sowieso nicht mit der Realität | |
überein, weil die Grünen seit Langem ein Vollsortimenter sind – und für | |
fast alles ausgeklügelte Konzepte haben. | |
## Vorsicht zahlt sich aus | |
Aber Vorurteile sind zäh, sie kleben fest. Jürgen Trittin, der früher | |
Bundesminister unter Gerhard Schröder war, sieht das Dilemma nüchtern: „Man | |
erwirbt sich Kompetenz, wenn Leute sichtbar in exekutiven Funktionen sind.“ | |
Im Bund sei dies eben nicht der Fall, „das können wir nur bedingt | |
kompensieren.“ | |
Ein Trost bleibt den Grünen: Jetzt zahlt sich ihre Vorsicht in Sachen | |
Kanzlerkandidatur aus. Baerbock und Habeck mieden in den vergangenen | |
Monaten jede Festlegung, obwohl die Medien drängelten. „Wenn wir vor der | |
Bundestagswahl so gut dastehen, dass wir eine Chance haben, das Land zu | |
führen, werden wir alles Relevante regeln“, [3][sagte Baerbock der taz im | |
Januar.] Solch vage Sätze ließen die K-Frage so weit offen, dass die Grünen | |
sie ohne Gesichtsverlust kassieren könnten. | |
Trittin erinnert vieles gerade an die Finanzkrise 2008 und 2009. Damals | |
habe sich die Regierung geweigert, aus der Krise zu lernen, sagt er am | |
Telefon. Durch die Abwrackprämie hätten Autokonzerne ihr veraltetes | |
Geschäftsmodell mit Verbrennungsmotoren verlängert. Die von Deutschland | |
durchgedrückte Austeritätspolitik in der EU habe Spanien dazu gezwungen, | |
sein Gesundheitssystem kaputt zu sparen. | |
Trittins Fazit: Die Grünen müssten jetzt alles dafür tun, dass solche | |
Fehler nicht wiederholt würden. Es gelte, in Europa finanz- und | |
wirtschaftspolitisch solidarisch zu sein. Außerdem will Trittin, dass die | |
Investitionen des Staates die ökosoziale Wende unterstützen. „Wenn der | |
Staat Unternehmen mit Milliarden Euro hilft, muss er darauf achten, dass | |
falsche Strukturen nicht künstlich verlängert werden.“ | |
Aber wird das helfen? Oder schwächt Corona die Grünen dauerhaft? Trittin | |
gibt sich optimistisch. „Die Grünen können Krise.“ Er erinnert an den | |
Bundestagswahlkampf 2009, in dem die Ökopartei nach der Finanzkrise für | |
ihren Green New Deal warb – und den Slogan „Aus der Krise hilft nur Grün“ | |
erfand. Damit, so Trittin, hätten sie „das beste Bundestagsergebnis aller | |
Zeiten“ erzielt. | |
Stimmt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Grünen damals nur 10,7 | |
Prozent holten, aus heutiger Sicht lächerlich wenig. Und Merkel regierte | |
danach erstmal mit der FDP. | |
4 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/klara_geywitz/status/1244724681225232386 | |
[2] /Beschraenkungen-waehrend-der-Feiertage/!5675945 | |
[3] /Gruenen-Chefs-ueber-Macht/!5651653 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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