| # taz.de -- Die Grünen und Corona: Merkels Mikrowelle | |
| > Ernsthafte Klima- und neue EU-Politik hat noch gar nicht begonnen. Warum | |
| > wird jetzt das Ende der „Grünen Ära“ beschworen, obwohl es sie nie gab? | |
| Bild: Will man etwa beim gemütlich-ungemütlichen „Merkel wird uns schon irg… | |
| Es hat etwas Komisches und auch Tragisches, wenn in diesen Tagen das Ende | |
| der „Grünen Ära“ beschworen wird. Bevor ernsthafte Klima- und neue | |
| EU-Politik überhaupt begonnen hat. Im Angesicht der Tatsache, dass die | |
| Grünen mit Ausnahme eines Pilotprojekts nie im Bund regiert haben. Den | |
| Vertretern dieses Denkens geht es nicht um die derzeit kleinste Partei im | |
| deutschen Bundestag. Es geht darum, das Unerledigte abzuhaken und letztlich | |
| unausgesprochen: eine postfossile europäische Zukunft. | |
| Und genau darum muss es demnächst gehen: das Unerledigte zu erledigen – | |
| weit über Klimapolitik hinaus. Wir sind richtig in der Scheiße, das muss | |
| man realisieren, sonst bleibt man im gemütlich-ungemütlichen „Merkel wird | |
| uns schon irgendwie“. | |
| Die CDU ist die Partei der Bundesrepublik – auch im guten Sinne. Wenn in | |
| der Coronakrise die Exekutiven gebraucht werden, funktionierende Routinen, | |
| dann ist sie offenbar verlässlich, [1][dann wächst der Zuspruch]. Dies | |
| alles auf dem Hintergrund, dass das liberaldemokratische Deutschland mehr | |
| Qualitäten hat, als mancher von 1968 Kommende sich klarzumachen pflegt. | |
| ## Deutschlands kultureller Rückstand | |
| Aber Deutschland hat eben auch kulturellen Rückstand, zum Beispiel, dass es | |
| die sozialen und wirtschaftlichen Probleme anderer EU-Länder noch nicht als | |
| die eigenen versteht. Während Präsident Macron in seinen Corona-Ansprachen | |
| auf das europäisch und globale Unerledigte zielt, erklärt Merkel offiziell, | |
| [2][dass man Gesichtsmasken regelmäßig waschen müsse] und in der Mikrowelle | |
| erwärmen. Zweiteres kommt bei uns prima an. | |
| Es wird also nichts bringen, zackig zu verkünden, dass alles anders werden | |
| muss. Gerade jetzt, da existenzielle Angst der größte Treiber ist, wird man | |
| damit keine gesellschaftlichen Mehrheiten gewinnen. Den deutschen | |
| „Vorsorgestaat“ auszubauen, [3][von dem Joschka Fischer spricht], dürfte | |
| kurzfristig noch das Einfachste sein, da kann man die Zukunft in Haftung | |
| nehmen – und die Mittelschicht. Die anderen Notwendigkeiten sind | |
| komplizierter. Ein hochdynamisches postfossiles Wirtschaftsprojekt gegen | |
| die Rezession und eine solidarische europäische Machtpolitik. | |
| Wenn man – angesichts des parteipolitischen Angebots – unterstellen muss, | |
| dass das, wofür die Grünen gegründet wurden, noch in der Zukunft liegt, | |
| dann ist die Aufgabe von Annalena Baerbock und Robert Habeck, jetzt einen | |
| politischen, rhetorischen und kulturellen Modus zu entwickeln, das große | |
| Sicherheitsbedürfnis und die noch größere Aufbruchsnotwendigkeit | |
| mehrheitsfähig zu verknüpfen. | |
| Das kann nicht als Klima- oder Klientelpartei gelingen, sondern nur als | |
| Partei einer dynamischen Wirtschaft und zumindest teildynamischen | |
| Mittelschicht, die für ihr Steuergeld auch wirklich Zukunft bekommen will, | |
| aber nicht selbst dauerhaft reguliert sein will und kann. | |
| Es ist ein Balanceakt: Die liberale Demokratie leben und gleichzeitig | |
| verteidigen. Tiefergehend, dialogisch und damit offen sprechen und | |
| gleichzeitig vermitteln, dass das mündige Führung ist. Den | |
| Paradigmenwechsel von der Krisenbewältigung zur Krisenvorsorge | |
| voranbringen, obwohl künftig mehr Leute auf das Hier und Jetzt konzentriert | |
| sein müssen. Die Qualitäten der Bundesrepublik und die historische Leistung | |
| der Union anerkennen und gerade Teilen ihrer Kundschaft klarmachen, dass | |
| man es besser machen kann. | |
| Jetzt steht erst mal die Frage im Vordergrund, ob die Exekutive die | |
| richtige Balance hinbekommt zwischen den unmittelbar bevorstehenden | |
| Coronakrisen. Aber bald ist Crunchtime. Für Europa, für Deutschland, für | |
| die Grünen – und auch für uns. | |
| 19 Apr 2020 | |
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| Peter Unfried | |
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