| # taz.de -- Transformation in der Coronakrise: Mit dem Schrubber im Homeoffice | |
| > Die meisten hoffen, dass irgendwann alles wieder so wird, wie es war. | |
| > Aber was kann man in der neuen Corona-Normalität an Gutem finden? | |
| Bild: Putzen, schrubben, wischen | |
| Wenn man versucht, dem Ende der alten Normalität etwas Gutes abzugewinnen, | |
| dann ist die erste Antwort: Reflektier erst mal Deine Privilegien, Alter. | |
| Dir geht’s ja gut, du bist nicht Risikogruppe, festangestellt, und außerdem | |
| hängst du Sack doch sowieso am liebsten zuhause rum. Aber die Kranken, die | |
| Alten, die Jungen, die Armen, die Frauen, die Freien, die Künstler, die | |
| Klein- und Mittelunternehmer, die Autoindustrie, alle schlimm dran. Und die | |
| Grünen erst! | |
| Etwas Gutes zu suchen oder gar zu finden, gilt fast schon als obszön, wo es | |
| vielen objektiv schlechter geht. Und sie womöglich auch dauerhaft weniger | |
| haben werden als bisher. Das betrifft speziell die Unter-40-Jährigen, wenn | |
| die [1][Corona]-Billiarden in der EU nur nach hinten und nicht in Zukunft | |
| investiert werden. Um es mal ganz brutal zu sagen: Die Alten, denen es | |
| wirklich dreckig gehen könnte, weil der Staat sie nicht mehr retten kann, | |
| das sind die Jungen von heute. | |
| Aber was interessieren uns Leute, die in 50 Jahren sterben? In der Tendenz | |
| favorisieren wir die Vollnarkose-Erzählung: Es ist schlimm, nichts wird | |
| sein wie vorher, aber irgendwie wird alles so weitergehen wie vor der | |
| Epidemie, jedenfalls für mich, mein Unternehmen und meinen individuellen | |
| Lebensstil. | |
| Da eine Mehrheit für europäische Zukunftspolitik zu gewinnen, ist eine | |
| echte Herausforderung, die bei einem selbst beginnt. Noch härter aber ist | |
| es, sagen zu können, was man als mündiger Mensch selbst jetzt anders machen | |
| kann und auch will. | |
| ## Homeoffice selbst putzen | |
| Hm, mal sehen: Seine „Geschäftsmodelle“ ins Digitale verlagern! Yeah. | |
| [2][Es wäre systemrelevant] für die Berliner Mittelschicht, wenn das | |
| zunächst und subito bei ihren ukrainischen Raumpflegerinnen hinhaute, die | |
| alle vor Wochen abgedampft sind. Homeoffice ist ja schon hart, aber es auch | |
| noch selbst zu putzen? | |
| Meetings „im Netz“, Online-Panels, Seminare von der Datsche aus, virtuelle | |
| „Events“, das sind bisher so die schockbebendsten Change-Vorstellungen. In | |
| Wahrheit also Business as usual. | |
| Leider muss ich mir abschminken, dass ich selbst die große Ausnahme bin und | |
| total aufbruchbereit. Is' nicht so. Meistens sitzt man so da und wartet, | |
| dass das Programm weitergeht. Wie früher bei den [3][Störungen] im | |
| Fernsehen („Bitte haben Sie etwas Geduld.“). | |
| Zukunft kann man ja blöderweise auch nicht mit Denunzieren anderer unter | |
| der Nummer 110 bestellen. Oder mit einem Grünen Lynchmob zur Rettung der | |
| Menschenwürde gestalten. Aber diese Woche sprach ich mit einer bisher | |
| erfolgreichen Unternehmerin, die die neuen Probleme von Selbstständigen | |
| hat, keine Projekte, keine Einnahmen, Kurzarbeit, Mietsorgen undsoweiter. | |
| Die erzählte mir in Toppstimmung, was sie jetzt Gutes entdeckt, es war eine | |
| ganze Menge und kaum romantisierend. | |
| Ich sagte bockig: „Naja, Sie sind auch privilegiert“. | |
| Nicht mal damit konnte ich sie stoppen. Sie ist nicht darauf fixiert, „ihr | |
| Business zu retten“, was von der Denkanlage her eine Rückwärtsbewegung | |
| bedeutet. Sie will die neu gefundenen Freiheiten und Möglichkeiten | |
| ausbauen. Den weggefallenen Bullshit nicht zurückholen, den gewonnenen | |
| Raum, die gewonnene Zeit und eine neue Solidarität genießen, die sich dem | |
| produktiven Umgang mit gegenseitigen Abhängigkeiten verdankt. „Die Welt ist | |
| so, wie ich immer ahnte“, sagte sie aufgekratzt. „Im Schlechten, aber eben | |
| auch im Guten: Es geht alles.“ | |
| In dem Moment fiel mir ein, dass meine Frau mich neuerdings den „Pastor“ | |
| nennt. Und ich dachte: Geil. Damit schließe ich meine Wochenendpredigt ab. | |
| 17 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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