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# taz.de -- Corona-Diskurse: Empörungsschaum reicht nicht
> Es geht nicht darum zu klären, wer oder was „menschenverachtend“ ist.
> Sondern: Wie gehen wir die nächste Phase der Coronakrise konkret an?
Bild: Von einer klaren Mehrheit gestützt: Bundeskanzlerin Angela Merkel
Ob politische Maßnahmen in der Coronakrise gegen die Menschenwürde
verstoßen, muss im konkreten Fall diskutiert und geprüft werden, das ist
klar. Was wir aber überhaupt nicht brauchen, ist die übliche
theoretisch-philosophische Grundsatzdiskussion zur Produktion von
[1][Empörungsschaum]. Die große Frage lautet: Wie kriegen wir das konkret
und praktisch hin, wenn wir von einem langen Zeitraum ausgehen müssen, bis
zumindest Medikamente gegen das Coronavirus zur Verfügung stehen?
Die üblichen publizistischen Verdächtigen haben – wie zur Klimakrise – au…
hier wenig Substanzielles beizutragen. Offenbar, weil auch dieses Problem
sich mit ihren eingeübten Gut-Böse-Theorie-Achsen nicht oder ungenügend
vermessen lässt. Klar, kann man insistieren, dass die „Linke“, der
„Neoliberalismus“, der Mann oder gar der Kapitalismus das Problem ist. Aber
das hilft bei der Problemlösung echt nicht weiter. Das gilt auch für
allgemeine Freiheitsgefährdungs- und Menschenwürdebeschwörungen.
Die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) hat, von einer klaren
demokratischen Mehrheit gestützt, bisher eindeutig die Gesundheit der Leute
priorisiert, sie hat – was Linke und Wirtschaftsliberale gleichermaßen
irritiert – nicht die Kapitalinteressen nach vorn gestellt, sie hat in
großem Ausmaß superschnell sozialstaatliche Nothilfe rausgedonnert, damit
Arbeit und Lebensgrundlage erst mal erhalten bleiben. Und das
bundesrepublikanische Gesundheitssystem ist im Vergleich offenbar sehr
funktionsfähig. Das ist nicht nichts.
Unsere Ausgangslage ist gleichzeitig schwieriger, als viele denken – und
besser. Schwieriger, weil die Scheiße jetzt erst richtig losgeht. Und
besser, weil unsere Grundbedingungen ordentlich sind, um etwas
hinzukriegen. Was jetzt wirklich nicht hilft, ist ein zielloses
Irgendwie-reichts-jetzt-Gefühl eines konzentrationsschwachen Teils der
Mediengesellschaft, der aus schlechter Gewohnheit immer lauter rumnölt.
## Sich der Komplexität stellen
Besser ist, sich der Komplexität einer Problemlösung zu stellen, für die es
keine Theorie und keine Ideologie gibt. Diese besteht beim jetzigen
Kenntnisstand in dem Versuch einer Ausbalancierung zwischen massivem Schutz
des Lebens der Covid-19-Risikogruppen und Verhinderung anderer schlimmer
Verwerfungen. Diese Ausbalancierung ist ein politischer und diskursiver
Prozess, in dem man das Gelernte anwenden, Neues auf die harte Tour lernen
und dementsprechend permanent zum Nachjustieren bereit sein muss. Als
Regierung, als Unternehmen und auch als Bürger.
Dafür muss der große deutsche Konsens, der von Habeck bis Söder reicht, in
eine produktive Diskussion überführt werden, in der es nicht um Prinzipien
oder Pipifax geht, sondern um drängende praktische Fragen wie
Schulöffnungstermine. Und daneben schon auch um große Fragen der
bundesrepublikanischen Zukunft, aber eben politisch-praktische: Welche
finanziellen Instrumente halten die EU wirklich zusammen? Wie sieht eine
europäische Gesundheitspolitik aus?
Einen sozialökologischen und europäischen Umbau voranzubringen, ist jetzt
die Verpflichtung von grünen Ministerpräsidenten und
Vizeministerpräsidenten in Verantwortung.
Aber klar: Die Sehnsucht besteht im Moment nicht in einer „anderen Welt“,
sondern darin, die alte Welt zurückzubekommen, also die Welt vor Corona.
Das ist die deutsche Welt, die für die einen unterging, wenn Kinder
freitags nicht in die Schule gingen. Und für die anderen, weil ein
FDP-Politiker durch einen Bauerntrick von Rechtspopulisten zum
Ministerpräsidenten gewählt wurde.
Vielleicht fängt das Neue genau in diesem Moment an, in dem man denkt:
Also, das kann’s doch auch nicht sein.
3 May 2020
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## AUTOREN
Peter Unfried
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