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# taz.de -- Was gibt Halt in den Zeiten des Virus?: Das Denken wird immer schwi…
> Deutschland ist gegen die Folgen des Virus gut gewappnet. Wir haben daher
> eine staatsbürgerliche Verpflichtung, die weit übers Dauernörgeln
> hinausgeht.
Bild: Ankunft eines Bundeswehr-Flugzeugs in Köln. An Bord: Corona-Patienten au…
Das Denken ist schwierig geworden. Oder anders: In diesen Tagen der
globalen Coronakrise wird einem klar, wie schwierig es ist, festen Boden zu
finden. Man kann versuchen, das wegzuleitartikeln, indem man vom
Feldherrnhügel das sagt, was man immer sagt – aber mit der Einleitung, dass
jetzt „ganz neu gedacht“ werden müsse. Der „Neoliberalismus“ hat …, …
Staat muss …, aber die Freiheit darf …
Oder man kann von „Entschleunigung“ brabbeln und dass man jetzt endlich
wieder [1][ein gutes Buch lesen] müsse. Aber so läuft das nicht. Wer ein
gutes Buch lesen kann, der liest es. Und wer sonst immer davon redet, der
liest auch jetzt ein schlechtes oder buchstabiert bei Insta.
Die hektische Oberflächlichkeit eines „normalen“ Lebens in der liberalen
Moderne – ein Gedanke von Armin Nassehi – ist anstrengend und löst
romantische Sehnsüchte nach „tiefer“ und „entschleunigter“ aus, aber s…
ist auch eine Grundbedingung unseres Mittelschichtlebens (ich rede hier
nicht von der alleinerziehenden Mutter auf 48 Quadratmetern).
Wir kriegen zwar ständig „die Krise“, aber auf gehobenem Niveau.
Beherrschbar und sogar kultivierbar. Schlimme Zeiten, aber vierzehntes
Monatsgehalt. Es gehört zu diesem durchaus pragmatischen Politik- und
Lebensmodus, die großen, miteinander verknüpften und eskalierenden Krisen
weitgehend zu ignorieren oder auf eindimensionale Ereignisse zu verkürzen,
das beste Beispiel dafür ist „Flüchtlingskrise von 2015 in Deutschland“.
Und jetzt ist also durch Corona alles anders, der Neoliberalismus erledigt,
der Staat kommt wieder groß raus, Führung ist total angesagt, die CDU ist
wieder wer, die CSU sowieso – und sogar Olaf Scholz ist rehabilitiert,
obwohl er das macht, was er immer macht, nämlich ordentliche Arbeit?
Ich sage mal leicht elitär: Nicht alles, aber manches von dem, was gerade
so geredet wird, ist der Versuch, der Schwierigkeit des Denkens
auszuweichen und den Leerraum ganz schnell zuzuschütten, der sich jetzt
auftut. Kann man machen, muss man vielleicht sogar, wenn man sonst
durchdreht.
Wer es sich leisten kann und will, der könnte es aber andersherum machen
und den Leerraum erst mal ausdehnen, indem er ein paar der eigenen
pragmatischen oder romantischen Vorstellungen aufspürt, wie alles besser
wäre. Ich, zum Beispiel, müsste hier ja eigentlich durchdeklinieren, wie
zwingend aus der Coronakrise die Notwendigkeit von globaler Klimapolitik
folgt – und Winfried Kretschmann als Bundeskanzler. Das wäre zwar immer
noch logischer als Markus Söder: Mach ich aber trotzdem nicht.
Ich weiß nicht, wie schlimm Corona wirklich ist. Ich hab auch schon
Klopapier gehamstert! Ich weiß nicht, was sich in meinem Kopf und Leben
noch ändern wird, bis 2021 gewählt wird.
Mündigkeit besteht jetzt darin, sich erst mal über die Grundlagen der
eigenen Existenz klar zu werden. Die anderen sind potenziell eine Gefahr,
aber Du bist es auch für sie. Man kann das nicht allein und auch nicht mit
einer „Zivilgesellschaft“ der Guten hinkriegen. Sondern nur als Teil eines
funktionierenden Staatenwesens. Durch die Steuerkraft von Politik, durch
Infrastrukturen.
Diese Woche sprach ich mit einem Einwanderer, er fragte, in welches Land
ich einwandern würde, wenn ich mir eines aussuchen könnte. In diesem Moment
sah ich den Bundeswehr-Airbus vor mir, der italienische Coronakranke nach
Köln eingeflogen hatte, und da wurde mir klar: Ich würde in die
Bundesrepublik Deutschland einwandern. Aus dieser Erkenntnis folgt die
Einsicht, ein privilegierter Mensch zu sein und deshalb eine
staatsbürgerliche Verpflichtung zu haben, die weit über Dauernörgeln
hinausgeht.
Das ist jetzt bestimmt kein Durchbruch des Denkens, aber es gibt neuen Halt
und Struktur.
5 Apr 2020
## LINKS
[1] /Literatur-in-der-Corona-Krise/!5671156&s=Literatur/
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
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