# taz.de -- Greenpeace-Chef zum Krieg in der Ukraine: „Wir lehnen Waffen als … | |
> Martin Kaiser erklärt das Dilemma der Friedensbewegung: Greenpeace ist | |
> gegen Krieg und Rüstung, aber auch für die Verteidigung der Ukraine. | |
Bild: Grenzen des Pazifismus? Helm eines ukrainischen Soldaten in Kiew | |
taz: Herr Kaiser, Greenpeace ist von Pazifisten mitgegründet worden und | |
kämpft außer für Umweltschutz auch für Frieden. Sie lehnen kriegerische | |
Konflikte aller Art ab. Darf sich die ukrainische Armee mit Gewalt gegen | |
den russischen Überfall wehren? | |
Martin Kaiser: Wir verurteilen den [1][Überfall Russlands auf die Ukraine] | |
aufs Schärfste und fordern die russische Regierung auf, sich sofort | |
zurückzuziehen. Grundsätzlich stehen wir für Konfliktlösungen ohne | |
kriegerische Auseinandersetzung. | |
Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Ist es okay, dass die Ukraine sich | |
auch mit Gewalt wehrt? | |
Die Ausgangslage ist ja: Russland hat den Krieg begonnen. Dass sich die | |
Ukraine wehrt, ist nach Artikel 51 der UN-Charta legitim, und dieses Recht | |
finden wir auch richtig. | |
Warum schreiben Sie dann auf Ihrer Internetseite, dass sie [2][jegliche | |
Kriege] ablehnen? Dieser Krieg wäre ja schnell vorbei, wenn die Ukrainer | |
sich den Angreifern ergeben würden. | |
Die Geschichte hat gezeigt, dass kriegerische Auseinandersetzungen nie | |
einen Konflikt besser gelöst haben als nichtkriegerische Mittel. | |
Würden Sie der Ukraine raten, sich zu ergeben, um Tote zu vermeiden? | |
Es liegt nicht an mir, der Ukraine einen Rat zu geben. Aber wir fordern | |
von der Bundesregierung und den anderen europäischen Regierungen, | |
zusätzlichen ökonomischen Druck auf die russische Regierung zu erzeugen | |
durch ein möglichst baldiges Importverbot von Kohle, Öl und Gas. Es kann | |
nicht sein, dass jetzt noch täglich bis zu 500 Millionen Euro in Europa | |
alleine für Kohle, Öl und Gas gezahlt werden, die Geld für den | |
Kriegstreiber Putin bedeuten. | |
Wenn Sie dafür Verständnis haben, dass sich die ukrainische Armee wehrt, | |
muss Deutschland ihr dann auch mit militärischen Mitteln helfen? | |
Wir können es nachvollziehen, dass die Bundesregierung aus moralischen | |
Gründen jetzt Waffen geliefert hat und liefert. Aber wir als Umwelt- und | |
Friedensorganisation lehnen die Auseinandersetzung mit Waffen ab. | |
Ist das nicht ein Widerspruch? | |
Das ist ein vermeintlicher Widerspruch, aber Sie werden von mir nicht | |
hören, dass wir grundsätzlich für Waffenlieferungen sind, um Konflikte zu | |
lösen. Ich kann es nachvollziehen, dass die Bundesregierung das jetzt | |
gemacht hat. Aber wir lehnen Waffen oder eine kriegerische | |
Auseinandersetzung als Lösungsmittel für Konflikte ab. Daran hat sich | |
grundsätzlich nichts geändert. | |
Sie haben Verständnis dafür, dass Deutschland der Ukraine Waffen liefert. | |
Gleichzeitig sagen Sie, dass die Bundesregierung noch nicht alle zivilen | |
Mittel ausgeschöpft hat. Wie passt das zusammen? | |
Die Isolation der russischen Regierung ist ja schon beispiellos. Das ist | |
der richtige Weg. Aber es muss auch ein möglichst weit gehendes Embargo für | |
den Import von Kohle, Öl und Gas aus Russland geben. | |
Auch diese Frage haben Sie nicht klar beantwortet. Wie ist es mit der hier: | |
Was halten Sie von den Forderungen der Ukraine, dass die Nato-Staaten | |
zumindest eine Flugverbotszone über dem Land durchsetzen, also russische | |
Flugzeuge und Raketen abschießen? | |
Unsere Position ist es, Menschenleben zu schützen. Eine Ausweitung der | |
kriegerischen Auseinandersetzungen muss daher unbedingt vermieden werden, | |
da sie zu einem dritten Weltkrieg führen könnte. | |
Wie stehen Sie zu der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die | |
Bundeswehr für 100 Milliarden Euro aufzurüsten? | |
Diese 100 Milliarden als Zahl lehnen wir ab, da sie ohne Debatte im | |
Bundestag zur strategischen Ausrichtung angekündigt wurde. Zudem ist nicht | |
diskutiert, ob diese Höhe überhaupt notwendig ist. So viel Geld sollten wir | |
nicht ohne genaue Analyse und Zielrichtung allein in die Bundeswehr | |
stecken. Bisher wurden die Prioritäten falsch gesetzt: Die Bundeswehr war | |
bislang sehr stark auf Auslandseinsätze ausgerichtet. Um | |
Krisenprävention zu betreiben, müssen wir aber auch in anderen Bereichen | |
investieren, zum Beispiel in Klimaschutz. Das bringt nicht nur | |
Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern, sondern macht auch autark | |
gegenüber Autokraten wie Putin. Die hohen Energiepreise sind eine riesige | |
soziale Herausforderung. Wir müssen unsere Abhängigkeit von fossilen | |
Energieträgern sehr schnell abbauen. Auch das kostet Geld. | |
Sind Sie jetzt dafür, die Bundeswehr aufzurüsten, oder nicht? | |
Es geht nicht um Aufrüstung, sondern um Ausstattung und eine strategische | |
Ausrichtung der Bundeswehr. Seit 2014 wurde der Bundeswehretat bereits von | |
32 Milliarden auf 47 Milliarden Euro erhöht, Deutschland hat bereits den | |
siebtgrößten Militäretat der Welt. Die Frage ist doch, warum es dennoch an | |
allen Ecken zu mangeln scheint. Wir unterstützen eine auf | |
Landesverteidigung ausgerichtete Bundeswehr mit einer angemessenen | |
Ausrüstung. Wir sind aber dagegen, einen riesigen Betrag in den Raum zu | |
stellen, der auch in so kurzer Zeit kaum abrufbar ist, und erst dann zu | |
überlegen, wofür wir das Geld überhaupt brauchen. Wir müssen unbedingt eine | |
neue Spirale der internationalen Aufrüstung verhindern. | |
Sind die 100 Milliarden Euro nötig als Symbol, dass sich Deutschland gegen | |
einen Angriff Putins auf Deutschland oder unsere Verbündeten wehren könnte | |
und würde? | |
Ich kann nachvollziehen, dass Olaf Scholz das Signal setzt: Wir müssen die | |
Ausrüstung der Bundeswehr angehen. Dafür hätte es die 100 Milliarden nicht | |
gebraucht. Viel entscheidender waren die Ankündigung, russische Banken aus | |
dem Swift-Überweisungssystem auszuschließen, und andere ökonomische | |
Maßnahmen. | |
Putin hat ja im Ukrainekrieg kaum verhehlt mit Atombomben gedroht. Sind Sie | |
immer noch gegen die US-Atomwaffen in Deutschland, die im Ernstfall auch | |
von der Bundeswehr eingesetzt würden? | |
Ja. | |
Atomwaffen scheinen aber ein wirksames Mittel zu sein, um Putin vor | |
Angriffen abzuschrecken. | |
Gerade die Drohungen vonseiten Putins zeigen, wie verheerend es ist, wenn | |
Atomwaffen in die Hand solcher Machthaber kommen. Deswegen ist dringend | |
nukleare Abrüstung notwendig – und keine Aufrüstung. Und deswegen lehnen | |
wir auch weiterhin die nukleare Teilhabe Deutschlands ab. | |
Putin hat aber nun mal Atombomben, und wir können ihn nicht dazu zwingen, | |
dass er abrüstet, oder? | |
Das ist in der derzeitigen Situation absolut richtig. Aber die Frage ist: | |
Was passiert nach dem Krieg, wenn hoffentlich eine diplomatische Lösung | |
gefunden ist? Dann besteht hoffentlich auch wieder eine Atmosphäre, in der | |
über nukleare Abrüstung verhandelt wird. Der nun angekündigte Kauf des | |
Kampfflugzeugs F35 als neues Atomwaffenträgersystem der Bundeswehr und | |
damit die Fortschreibung der nuklearen Teilhabe Deutschlands auf Jahrzehnte | |
sind daher falsch. | |
Bietet dieser Krieg eine Chance für den Umweltschutz? | |
Das ist mir zu zynisch. Wir sehen ja das Leid in der Ukraine, zum Beispiel | |
die Fluchtbewegung, wo Familien zerrissen werden. Das ist wirklich | |
fürchterlich. Der Krieg zeigt aber auch, dass wir in der Energiepolitik und | |
anderen zentralen Versorgungsbereichen unabhängig sein müssen von Staaten, | |
die sehr autokratisch regiert werden und die Zivilgesellschaft | |
unterdrücken. In den letzten Jahren ist ein Mythos aufgebaut worden über | |
Gas als Brücke zu Klimaneutralität. Der erweist sich jetzt allein aus | |
klima-, aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen als Irrtum. Und | |
insofern macht es doppelt Sinn zu sagen: Wir machen uns unabhängig von den | |
Importen fossiler Energieträger. Das erhöht die Unabhängigkeit von solchen | |
Regierungen, und es ist gut für das Klima. | |
Herr Kaiser, haben Sie auch den Kriegsdienst damals verweigert? | |
Ja, ich habe den verweigert. | |
Würden Sie das heute auch noch tun? | |
Ich würde es heute auch noch tun. Meine Entscheidung fiel damals im Kalten | |
Krieg, als es auch um den Nato-Doppelbeschluss ging. Da gab es schon diese | |
Konfliktlage zwischen Ost und West. Das ist eine sehr persönliche | |
Entscheidung, ob man den Einsatz von Waffen und Militär unterstützt. Das | |
muss auch weiterhin so sein. | |
Ihre Antworten waren jetzt teilweise nicht so klar. | |
Das stimmt. Aber die aktuelle Situation ist nicht dazu gemacht, um in | |
Schwarz-Weiß-Rastern eingeordnet zu werden. Sie ist komplex und muss | |
entsprechend behandelt werden. Wir alle stehen vor großen | |
Herausforderungen, und genau diesen müssen wir uns auch durch Reflexion | |
stellen. Das tue ich. | |
18 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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