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# taz.de -- Friedensaktivistinnen über die Ukraine: „Endloser Hass ist keine…
> Dana Jirouš und Inga Luther von der NGO Owen arbeiten seit Jahren mit
> einem Frauennetzwerk für Frieden in der Ostukraine – grenzübergreifend.
Bild: Ukrainische Freiwillige sortieren in Lwiw Kleidung, die an Kriegsflüchtl…
taz am wochenende: Frau Jirouš, Frau Luther, stehen Sie nach sechs Jahren
Friedensarbeit [1][im Donbass] jetzt vor einem Scherbenhaufen?
Dana Jirouš: Noch ist es kein Scherbenhaufen. Aber ein sehr fragiles
Konstrukt. Wir balancieren da gerade eine Art empfindliche Glasvase
zwischen uns.
Was ist für die Friedensaktivistinnen vor Ort derzeit noch möglich?
Dana Jirouš: Unser Projekt Women’s Initiatives for Peace in Donbas(s) ist
ein Netzwerk von zivilgesellschaftlich engagierten Frauen von verschiedenen
Seiten des Konflikts. Es gab schon vorher einen jahrelangen Krieg, und
diese Frauen bleiben weiterhin in einer aktiven Position und schauen: Was
ist jetzt mein Handlungsspielraum? Es ist ja auch eine ganz bestimmte
Genderperspektive, die annimmt, dass Frauen jetzt verschreckt in der Metro
sitzen oder flüchten und die Männer kämpfen.
Was hören Sie konkret von den [2][Frauen]?
Dana Jirouš: Natürlich ist eine Person, die jetzt in Mariupol
eingeschlossen ist, mit dem nackten Überleben beschäftigt. Aber diejenigen,
die nicht in dieser totalen Bedrängnis sind, organisieren Hilfeleistungen,
machen Analysen und Übersetzungen.
Inga Luther: Ein wichtiger Aspekt ist auch die Aufrechterhaltung der
Kommunikation über die Konfliktlinien hinweg. Einerseits, um an
Informationen heranzukommen, andererseits aber auch, um Dinge organisieren
zu können, etwa Medikamente.
Das heißt, Russinnen und Ukrainerinnen sprechen weiterhin miteinander?
Dana Jioruš: Für die Art von Kommunikation, die wir noch zwei Tage vor der
Invasion hatten, bei der sich alle online treffen und offen miteinander
reden, ist im Moment nicht der Zeitpunkt. Jetzt ist es ein individueller
Austausch: Da kommuniziert eine Aktivistin aus Kiew mit einer Kollegin aus
Russland, um emotionalen Support zu geben.
Das andere ist das ganz Praktische. Wir lesen viel von den großen Städten,
aber es gibt viele kleine Ortschaften, wo Menschen Angehörige haben, bei
denen unklar ist, ob sie in Sicherheit sind. Da kann ein Netzwerk natürlich
helfen: Ich bin auf der Seite und du auf der Seite, kannst du gucken, was
los ist? Da hilft ein gewachsenes Vertrauensverhältnis, auch wenn es fragil
ist und im Moment von neuem Misstrauen durchtränkt.
Empfinden die russischen Aktivistinnen jetzt Rechtfertigungsdruck?
Dana Jirouš: Auf jeden Fall. In dem Moment, wo es um eine Frage von Sein
oder Nichtsein geht, ist die Grenze des Anhörbaren viel enger geworden. Wo
man früher sagen konnte: Okay, wir können jetzt auch mal zwei Positionen
nebeneinander stehen lassen, ist das jetzt fast unmöglich.
Wie hat Ihre Arbeit im Donbass begonnen?
Dana Jirouš: Wir haben Frauen aus unterschiedlichen Konfliktregionen zu
großen Dialogtreffen zusammengebracht. 2016 war die Situation noch sehr
angespannt, teilweise wurde noch Gewalt ausgeübt. Viele Akteurinnen sagten:
In dieser Phase des Konflikts kann es keinen Dialog geben. Aber wir haben
immer die Position vertreten: „Wir müssen auch jetzt schon miteinander
reden“.
Wurde es noch praktischer?
Dana Jirouš: Es gab immer das Anliegen, auch gemeinsam zu handeln und
jenseits der großen, teilweise auch ideologischen Gräben ganz konkrete
Probleme zu lösen: Da ging es zum Beispiel darum, dass Menschen, die [3][in
den sogenannten Volksrepubliken] beziehungsweise nicht ukrainisch
kontrollierten Gebiet der Ukraine lebten, nicht so einfach an ukrainische
Pässe kamen.
Hatten Sie das Gefühl, trotz der kontinuierlichen Zuspitzung der Situation
etwas aufbauen zu können?
Dana Jirouš: Wir haben eine Menge aufgebaut. Das wird jetzt alles nicht
mehr reflektiert. Dort, wo wir eigentlich vorher waren, beim Minsker
Abkommen, ging es um eine Roadmap zur Reintegration der Gebiete in Luhansk
und Donezk in die Ukraine. Da ist nicht alles super gelaufen, aber es gab
einen Raum, um zu überlegen: Was könnte man noch machen, um die Integration
zu ermöglichen?
Inga Luther: Auch auf der internationalen Ebene hat sich jetzt ganz viel
verschoben. Es ist überhaupt nicht mehr klar: Wer verhandelt eigentlich mit
wem? Da ist es natürlich um so schwieriger für zivilgesellschaftliche
Akteurinnen, sich zu beteiligen.
Sehen Sie da eine Perspektive?
Dana Jirouš: Ich habe selten so viel gearbeitet wie in den letzten Wochen.
Die Arbeit muss sich immer wieder neu ausrichten, aber auch das ist nichts
Neues. Friedensarbeit ist Arbeit an Beziehungen.
Inga Luther: Friedensarbeit ist ja viel mehr als Verhandlung zwischen den
Kriegsparteien. Was passiert eigentlich in den verschiedenen
Gesellschaften? Da gucken wir in die Ukraine, aber wir gucken auch
besonders nach Russland und wie wir da unterstützen können, damit
Beziehungen erhalten bleiben und nicht alles wahllos abgebrochen wird.
Haben die Protagonistinnen vor Ort ähnlich viel Zutrauen?
Dana Jirouš: Das Netzwerk besteht aus 50 bis 70 Frauen und jede hat da eine
eigene Perspektive. Natürlich sind viele von den ukrainischen Aktivistinnen
jetzt eher skeptisch, was Friedensarbeit angeht. Aber es kommt auch darauf
an, ob man es schafft, einen Metablick zu bewahren. Es ist nicht nur die
Frage: Bin ich heute bereit, mit jemandem zu sprechen? Irgendwie wird man
in dieser Region wieder miteinander leben müssen; endloser Hass ist keine
Option. Das wissen die meisten unserer Frauen, auch wenn sie heute keine
Ressourcen haben, sich damit auseinanderzusetzen. Aber wir haben auch
ukrainische Kolleginnen, die bereit sind, jetzt einen Dialog mit der
russischen Zivilgesellschaft zu führen.
Inga Luther: Und dann gibt es diejenigen, die sich nicht eindeutig zuordnen
können, die teilweise von verschiedenen Seiten beschuldigt werden oder
Ressentiments ausgesetzt sind. Für die gibt es eine extrem hohe
Notwendigkeit, sie zu hören und sichtbar zu machen.
Auf politischer Ebene wird jetzt viel Hoffnung in [4][Waffenlieferungen an
die Ukraine] gesetzt. Geht das einher mit einer Relativierung der
Friedensarbeit?
Inga Luther: Es gibt da glücklicherweise verschiedene Stimmen. Aber
diejenigen, die sagen, diese Art von Friedensarbeit ist naiv, werden jetzt
stärker. Friedrich Merz hat so etwas öffentlich gesagt, das ist schon
bitter.
Haben Sie schon eine Position dazu?
Inga Luther: Wenn ich gefragt werde: „Bist du denn jetzt für
Waffenlieferungen, ja oder nein?“, dann würde ich sagen: „Das ist jetzt
gerade nicht mein Fokus. Mein Fokus ist es, Leute zu unterstützen, die ohne
Waffen etwas tun.“
Dana Jirouš: Wir geraten in der Debatte über die militärische Aufrüstung
der Ukraine auch in eine schmerzhafte Auseinandersetzung innerhalb des
Netzwerks. Es gibt den Wunsch von manchen unserer Partnerinnen, dass wir
für militärische Unterstützung optieren. Aber für mich heißt Dialog, dass
es die Möglichkeit gibt, auszuhalten, dass wir das vielleicht anders sehen.
So schmerzhaft das unter den jetzigen Umständen ist.
Ist es eine neue Erfahrung, dass die Akteurinnen des Netzwerks eine
Positionierung von Ihnen als deutscher Seite einfordern?
Dana Jirouš: Wir hatten von Anfang an die Auseinandersetzung: Führt der Weg
zum Frieden auch über Waffen? Die Akteurinnen, mit denen wir gearbeitet
haben, sind keine klassischen Friedensakteurinnen. Sie haben so
unterschiedliche Positionen, wie sie eben in der Gesellschaft auch
vertreten sind. Die andere Seite ist: Die Bundesrepublik hat ein enges
Verhältnis zu Russland gepflegt. Von ukrainischen Partnern wurde das immer
auch skeptisch gesehen.
Und wenn Sie die [5][Rede von Selenski] vor dem Bundestag verfolgt haben:
da wird der Bundesrepublik fast schon eine Mitschuld an den Ereignissen
gegeben. Das ist etwas, was im Moment Teile der ukrainischen Bevölkerung so
sehen. Und damit müssen wir uns auch auseinandersetzen. Aber wir haben uns
immer als Teil des Prozesses gesehen, nicht als neutrale Vermittler. Und
das ist auch das, was ich meiner ukrainischen Kollegin sagen kann: Ich bin
bereit, mich diesen schmerzhaften Fragen zu stellen.
19 Mar 2022
## LINKS
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[2] /Flucht-innerhalb-der-Ukraine/!5837049
[3] /Forscherin-ueber-Auswege-fuer-Russland/!5839719
[4] /100-Tage-Ampel/!5839833
[5] https://www.youtube.com/watch?v=S23qkn53tJ4
## AUTOREN
Friederike Gräff
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